20. März 2024 | Interviews
„Die Beschäftigung bleibt trotz schwacher Konjunktur robust“
Herr Weber, die Erholung der deutschen Wirtschaft verzögert sich weiter. Woran liegt das?
Dass die deutsche Wirtschaft auch weiterhin nur wenig Tritt findet, liegt hauptsächlich daran, dass die Binnennachfrage durch hohe Inflationsraten und steigende Zinsen ausgebremst worden ist. Auch die Auslandsnachfrage zeigt sich nach wie vor schwach. Momentan hellen sich die Konjunkturerwartungen zwar etwas auf, aber die Einschätzungen der aktuellen Lage bleiben noch getrübt. Dementsprechend erwarten wir für 2024, dass sich die Erholung noch einige Monate verzögert und die Konjunktur erst in der zweiten Jahreshälfte wieder moderat anzieht.
Wie wirkt sich das auf den Arbeitsmarkt aus?
Die anhaltend schwache Konjunktur hat die Arbeitsmarktentwicklung natürlich gedämpft. Die Arbeitslosigkeit hat über das gesamte vergangene Jahr zugenommen. Bei der Langzeitarbeitslosigkeit zeigen sich weiter Verfestigungstendenzen. Ausgelöst wurde der aktuelle Wirtschaftsabschwung durch die Energiekrise. Die hat nicht nur die Produktion gesenkt, sondern auch die Schaffung neuer Stellen behindert. Die hohe Inflation beeinträchtigte zudem die Entwicklung in beschäftigungsintensiven Dienstleistungsbereichen. Eine Entlassungswelle sehen wir aber nicht. Gemessen an der negativen Konjunktur hält sich der Arbeitsmarkt vergleichsweise gut, zuletzt gab es wieder positivere Signale. Da Arbeitskräfte knapper werden, versuchen viele Betriebe, ihre Beschäftigten zu halten, auch wenn die Konjunktur schwächelt.
Welche Folgen hat die schlechte Wirtschaftsentwicklung für die Beschäftigtenzahlen?
Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass sich der Aufwärtstrend in der Beschäftigung fortsetzen wird, nachdem es im vergangenen Sommer noch einen Dämpfer gab. Erneut erweist sich die Entwicklung der Beschäftigung als robust.
Personalengpässe begrenzen in vielen Bereichen das Beschäftigungswachstum
Gilt das für alle Branchen?
Wir rechnen tatsächlich für die meisten Wirtschaftsbereiche mit einem Beschäftigungsaufbau oder wenigstens einer Stagnation. In der Pflege wächst der Bedarf aufgrund der Alterung, in der Erziehung mit dem Kita-Ausbau, im Handwerk unter anderem wegen der Energiewende und in der IT im Zuge der Digitalisierung. Eine ungünstigere Entwicklung sehen wir allerdings im Verarbeitenden Gewerbe, auf dem Bau und im Handel, was wir auf die hohen Zins- und Materialkosten, die inflationsbedingten Kaufkraftrückgänge und die Folgen der Energiekrise zurückführen. Auch die Personalengpässe begrenzen in vielen Bereichen das Beschäftigungswachstum. Mit der Verrentung der Babyboomer dürfte sich die grundsätzliche Arbeitskräfteknappheit noch verschärfen.
Der Fachkräftebedarf bleibt also hoch, während sich gleichzeitig die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt. Droht uns ein zweigeteilter Arbeitsmarkt?
Insgesamt haben sich die Jobchancen von Arbeitslosen tatsächlich nicht wieder nachhaltig erholt, nachdem sie mit Beginn der Pandemie eingeknickt waren. Entsprechend liegt die Langzeitarbeitslosigkeit deutlich über dem Vor-Corona-Niveau. Dies spiegelt sich auch in der Arbeitslosigkeit von Niedrigqualifizierten wider, die ebenfalls deutlich über dem Stand von 2019 liegt. Der Mismatch zwischen den Qualifikationsniveaus hat also in der Tat zugenommen – das Qualifikationsniveau der Arbeitslosen und die Anforderungen der offenen Stellen klaffen immer weiter auseinander. Zwischen verschiedenen Berufen ist eine solche Tendenz aber nicht ersichtlich.
Die Wirtschaft befindet sich durch KI und die grüne Transformation in fundamentalen Umbrüchen
Unter welchen Bedingungen könnte Deutschland endlich wieder auf einen wirtschaftlichen Aufschwung hoffen?
Ein klarer Aufschwung wäre auf eine expansive, transformationsorientierte Entwicklung angewiesen. Die Wirtschaft befindet sich durch KI und die grüne Transformation in fundamentalen Umbrüchen. Ich sehe darin außergewöhnliche Chancen für Deutschland, eine neuartige Wertschöpfung aufzubauen. Diese Chancen nicht zu ergreifen, wäre dagegen riskant – dann droht das Land seine angestammten Stärken zu verlieren.
Was muss getan werden, um diese Chancen nicht zu verpassen?
Wenn hochwertige Jobs in Deutschland weiterentwickelt und etabliert werden sollen, müssen neue Geschäftsfelder besetzt und Umbrüche initiiert werden. Wirtschaftspolitisch kommt es auf eine entschiedene Investitionsförderung und Technologieentwicklung an. Darauf muss auch die Arbeitsmarktpolitik ausgerichtet werden. Wenn Jobs zu Ende gehen, ist eine gezielte Weiterentwicklung von Beschäftigten in verwandte aufstrebende Bereiche zentral, in denen Kompetenzen und Arbeitserfahrung weiter genutzt werden können.
Blicken Sie trotz der zähen Lage weiterhin optimistisch auf dieses und nächstes Jahr?
Ja. Trotz des Wirtschaftsabschwungs ist auf den Arbeitsmarkt Verlass. Die Beschäftigung wird nicht einknicken. Tatsächlich ist der Anteil der Beschäftigten, die arbeitslos werden, auf dem zweitniedrigsten Niveau seit dem Wirtschaftswunder. Das sichert Einkommen und bewahrt die Volkswirtschaft damit vor einer ausgeprägten Rezession. Aber damit verhindern wir nur Schlimmeres – für einen durchgreifenden Aufschwung braucht es mehr.
Literatur
Bauer, Anja et al. (2024): IAB-Prognose 2024: Die Beschäftigung steigt, aber die Arbeitslosigkeit auch. IAB-Kurzbericht Nr. 6.
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240320.01
Autoren:
- Christiane Keitel