29. Mai 2018 | Betriebliche Arbeitswelt
Big Data bei der BA: Neue Erkenntnisse zum Suchverhalten am Arbeitsmarkt
Die Entwicklung am Arbeitsmarkt wird meist mit Hilfe der Zahl der Arbeitslosen, der Beschäftigten und der offenen Stellen beschrieben. Obwohl diese Größen ohne Zweifel eine bedeutende Rolle für das Arbeitsmarktgeschehen spielen, bilden sie dennoch das Verhalten der Akteure am Arbeitsmarkt nur sehr eingeschränkt ab. Ob Menschen in Arbeit kommen, hängt zum Beispiel entscheidend davon ab, wie intensiv Arbeitslose nach einer offenen Stelle suchen und Arbeitgeber sich um die Besetzung derselben bemühen. Auch die Aktivitäten der Arbeitsvermittler, die als Schnittstelle zwischen beiden Seiten fungieren, haben einen Einfluss darauf, ob Arbeitslose und offene Stellen zusammenkommen.
Damit stellt sich die Frage, wie die Such- und Vermittlungsintensität, auch über die Zeit, gemessen werden kann. Entsprechende Daten verbessern die Möglichkeiten, die Funktionsweise des Arbeitsmarkts zu analysieren. Das entscheidende Stichwort lautet hier: Matchingeffizienz. Sie wird in bisherigen Modellen implizit als eine Konstante behandelt und gibt an, wie effizient der Arbeitsmarkt funktioniert, wie schnell also Arbeitslose und passende Stellen zusammengebracht („gematched“) werden.
Faktisch ist die Matchingeffizienz jedoch keine Konstante, sondern eine Variable, die in Abhängigkeit von unterschiedlichen Faktoren höher oder niedriger ausfallen kann. So dürfte die Suchintensität der Beteiligten von der Arbeitsmarktanspannung, der Konjunktur und anderen Faktoren abhängen. Mit der Ermittlung der Suchintensität – und der Vermittlungsintensität als Pendant aufseiten der Aktivität der Vermittler – böte sich also die Chance, deutlich mehr über die Funktionsweise des Arbeitsmarkts zu erfahren.
Such- und Vermittlungsintensität variieren im Zeitverlauf
Ein Beispiel hierfür sind Zusammenhänge über den Konjunkturverlauf: In Rezessionen steigt üblicherweise die Zahl der Arbeitslosen, die der offenen Stellen nimmt ab. Aber was lässt sich über die Suchintensität der Arbeitslosen sagen? Steigt sie, weil es nun mehr Aufwand erfordert, eine Stelle zu finden, oder sinkt sie, weil sich die Betroffenen dann schlechtere Chancen ausrechnen? Und verstärken Arbeitgeber ihre Suchaktivitäten in Zeiten, in denen Arbeitskräfte knapp werden?
Auch das Verhalten des dritten Akteurs, des Arbeitsvermittlers, kann im Zeitverlauf variieren. Steigt zum Beispiel der Anteil von Arbeitslosen mit niedrigen Jobchancen, so könnten Arbeitsagentur und Jobcenter unter Umständen die Betreuung gerade für schwierige Fälle intensivieren. Denkbar wäre beispielsweise, dass die Stellensuche über den Standard hinaus umfassender gestaltet oder die Betreuungsrelation verbessert wird. Dies würde sich auch in zusätzlichen Seitenaufrufen im Vermittlungs- und Betreuungssystem niederschlagen. Im Idealfall sollte sich damit die Matchingeffizienz verbessern.
BA-Jobbörse und VerBIS bieten neuartige Auswertungsmöglichkeiten
Die Intensität eines bestimmten Verhaltens von Akteuren lässt sich natürlich deutlich schwerer messen als Personenzahlen. Online-Systeme der Bundesagentur für Arbeit bieten hier aber neue Möglichkeiten der wissenschaftlichen Auswertung von „Big Data“, also von sehr komplexen Massendaten.
Ein Beispiel ist die Jobbörse der BA – ein Online-Arbeitsmarkt, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer nutzen können, um Arbeits- und Ausbildungsplätze anzubieten oder zu suchen. Hier finden sich demnach Einträge von Stellen und Arbeitslosen, die bei der BA gemeldet sind. Die Jobbörse kann aber auch von nicht gemeldeten Nutzern verwendet werden.
Ein anderes Beispiel für eine Datenquelle, die neuartige Auswertungen erlaubt, ist das BA-interne Softwaresystem „VerBIS“ (Vermittlungs-, Beratungs- und Informationssystem), auf das die Arbeitsvermittler in Arbeitsagenturen und Jobcentern sowie der Arbeitgeberservice zugreifen.
Die Anzahl der Zugriffe auf die Webseiten der oben beschriebenen Plattformen erreicht sehr schnell enorme Ausmaße. Die interne BA-Anwendung „NetMind“ ermöglicht die Messung derartiger Massendaten. Sie enthält Daten zu Seitenaufrufen aus der Jobbörse sowie aus VerBIS. Die Anzahl der Aufrufe aller relevanten Seiten lässt sich für beliebige Zeiträume seit dem 30. September 2015 feststellen. Daraus wiederum lassen sich erste Zeitreihen der Seitenaufrufe aus bestimmten Kategorien generieren. So lässt sich für die Jobbörse recht genau feststellen, welche Seiten von Arbeitnehmern (oder Arbeitslosen) und welche von Arbeitgebern aufgerufen wurden.
Außerdem lassen sich für VerBIS die wichtigsten Seiten identifizieren, die eng mit den zentralen Aufgaben der Arbeitsvermittler verknüpft sind. Sie können demnach von den Seitenaufrufen unterschieden werden, die in Verbindung mit allgemeinen Verwaltungsaufgaben erfolgen. So können auf dieser Basis erstmals Daten über die Aktivitäten der Arbeitsvermittler generiert werden. Dies verspricht neue Erkenntnisse über deren Rolle im Vermittlungsprozess, zumal diese in der einschlägigen Makro-Literatur bislang noch nicht näher betrachtet wurde. Sowohl für VerBIS als auch für die Jobbörse werden dabei Gesamtzahlen von Seitenaufrufen gemessen. Das Verhalten einzelner Personen wird also nicht erfasst.
Die Abbildungen 1 und 2 zeigen den Verlauf der Zahl der kalenderbereinigten Seitenaufrufe von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus der Jobbörse von November 2015 bis Dezember 2017. Dabei handelt es sich um aggregierte aktivierte Seitenaufrufe, also solche, bei denen Nutzerinnen und Nutzer über das Öffnen hinaus auf der Seite aktiv waren.
Die aggregierten Klicks der Arbeitnehmerseite enthalten beispielsweise die Suche nach offenen Stellen in der BA-Jobbörse, das Öffnen von Stellenangeboten und das Verwalten der eigenen Stellengesuche. Der Arbeitgeberseite werden Aktivitäten wie das Verwalten der eigenen Stellenangebote sowie das gezielte Suchen nach Bewerbern zugerechnet. Ebenfalls abgetragen sind die Übergänge von Arbeitslosen in eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt. Daran lässt sich also ablesen, zu wie vielen Übergängen in Beschäftigung es nach der Suche tatsächlich gekommen ist.
Obwohl der bisher erfasste Zeitraum kurz ist, sind starke Schwankungen zu sehen. Dies dürfte aber in erster Linie an jahreszeitlichen Effekten liegen. So suchen die Arbeitnehmer in der (Vor-)Weihnachtszeit seltener nach Stellen, und auch die Rekrutierungsaktivitäten der Betriebe gehen in dieser Zeit zurück. Sobald längere Zeitreihen zur Verfügung stehen, lassen sich solche Effekte mittels Saisonbereinigung herausrechnen und ökonometrisch fundierte Ergebnisse zur Rolle der Such- und Vermittlungsintensität erzielen.
Suchintensive Phasen gehen mit hohen Abgängen aus Arbeitslosigkeit einher
Insbesondere für Arbeitnehmer besteht ein – unter Umständen zeitverzögerter – Zusammenhang zwischen Suchintensität in der Jobbörse und Jobübergängen. So waren in Zeiten intensiver Suche, beispielsweise im Frühjahr 2016 und 2017, die Abgänge in den ersten Arbeitsmarkt hoch, während in weniger intensiven Suchphasen, beispielsweise im Winter und während der Sommerferien, die Abgänge eher gering ausfallen. Entsprechend beträgt die Korrelation mit den Abgängen in den ersten Arbeitsmarkt 0,54 (für eine Verzögerung von einer Periode 0,58). Ein verzögerter Effekt auf die Abgänge wird besonders in Phasen intensiver Suche deutlich.
Bei der Suchintensität der Arbeitgeber zeigt sich ein ähnliches Bild. Hier gehen suchintensive Phasen, insbesondere im Frühjahr 2016 und 2017, ebenfalls mit hohen Abgängen aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung einher. Und auch hier gehen Suchaktivität und Übergänge im Sommer zurück.
Allerdings ist die Korrelation der Arbeitgeber-Suchaktivitäten mit den Abgängen in Beschäftigung geringer als bei den Suchaktivitäten der Arbeitnehmer. So beträgt die Korrelation hier 0,37 (beziehungsweise 0,34 für eine Verzögerung von einer Periode). Ein Grund für die etwas schwächere Korrelation ist, dass sich der Anstieg der Arbeitgeber-Suchaktivitäten ab Herbst 2016 nicht in vermehrten Abgängen niederschlug. Eine mögliche Erklärung für eine Zunahme der Suchintensität könnten die gute konjunkturelle Entwicklung und die sich daraus ergebenden Arbeitskräfteengpässe sein. Die IAB-Forschung wird sich diesem Thema künftig verstärkt widmen.
Neben Arbeitgebern und Arbeitsuchenden agieren am Arbeitsmarkt zusätzlich Vermittler, welche beide Seiten zusammenbringen. Auch zwischen den Aktivitäten der Arbeitsvermittler und den Übergängen aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung besteht ein enger zeitlicher Zusammenhang (siehe Abbildung 3). Dabei geht es unter anderem um Tätigkeiten wie das Auflisten von Stellengesuchen oder das Erstellen von Vermittlungsvorschlägen.
Ähnlich wie bei den Aktivitäten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern treten auch im Bereich der Vermittlung starke, vermutlich saisonale Schwankungen auf. So ist die Vermittlungsintensität wiederum im Frühjahr relativ hoch und in der Vorweihnachtszeit niedriger. Die Korrelation der Vermittlungsaktivitäten mit den Abgängen in den ersten Arbeitsmarkt beträgt 0,50 (beziehungsweise 0,45 für eine Verzögerung von einer Periode).
Abbildung 4 stellt eine Auswahl elementarer Vermittlungstätigkeiten den Übergängen in Beschäftigung gegenüber. Auch hier lassen sich Korrelationen der zentralen Vermittlungsaktivitäten mit den Abgängen in den ersten Arbeitsmarkt messen. Diese betragen 0,54 (Stellengesuche auflisten), 0,56 (Stellenangebote auflisten) und 0,55 (Vermittlungsvorschlag erstellen) sowie 0,60, 0,48 und 0,43 analog für eine Verzögerung von einer Periode.
Dieses Muster erscheint insofern plausibel, als Vermittlungsvorschläge unmittelbar zur Besetzung einer vakanten Stelle führen können und daher ihre Wirkung auf den Arbeitsmarkt sofort entfalten sollten, während die Suche nach passenden Bewerbern oder Stellen der Erstellung eines konkreten Vermittlungsvorschlages vorausgeht und somit womöglich erst verzögert zu einem Übergang in den ersten Arbeitsmarkt führt. Die Tatsache, dass bestimmte Vermittlungstätigkeiten höhere Korrelationen aufweisen als die Vermittlungstätigkeiten insgesamt, unterstreicht die Notwendigkeit einer detaillierteren Betrachtung.
Fazit
Mit den hier beschriebenen Datenquellen sind schon in naher Zukunft neuartige und profundere Analysen des Arbeitsmarktgeschehens möglich als bislang. Perspektivisch könnten auch weitere laufend anfallende Daten aus der BA-Jobbörse für die wissenschaftliche Nutzung erschlossen werden, insbesondere zum Suchverhalten. So könnte die Suchintensität nicht nur über die Zahl der Seitenaufrufe, sondern auch über den räumlichen Suchradius gemessen werden. Zudem könnte untersucht werden, wie sich Merkmale wie Qualifikation, Beruf oder Region auf die Suchdauer auswirken. Denkbar wären auch Analysen zum Zusammenhang zwischen der Dauer von Arbeitslosigkeit oder der Vakanzdauer bei offenen Stellen und der Suchintensität. Das IAB wird Projekte in dieser Richtung weiter voranbringen.
Hartl, Tobias; Hutter, Christian; Weber, Enzo (2018): Big Data bei der BA: Neue Erkenntnisse zum Suchverhalten am Arbeitsmarkt, In: IAB-Forum 29. Mai 2018, https://www.iab-forum.de/big-data-bei-der-ba-neue-erkenntnisse-zum-suchverhalten-am-arbeitsmarkt/, Abrufdatum: 21. November 2024
Autoren:
- Tobias Hartl
- Christian Hutter
- Enzo Weber