23. April 2024 | Folgen der Covid-19-Pandemie
Die Armutsgefährdung von Vollzeitbeschäftigten ist auch in der Corona-Krise nicht gestiegen
Als armutsgefährdet gelten in Deutschland Personen, die über ein Einkommen von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügen. Die Armutsrisikoquote gibt den Anteil der armutsgefährdeten Personen in einer Gruppe an. Diese Quote ist damit ein relatives Armutsmaß, das sich im Verhältnis zum mittleren Einkommen in der Bevölkerung bemisst.
Erwerbstätige sind unterdurchschnittlich häufig von Armut bedroht
Betrachtet man die Armutsgefährdung von Erwerbstätigen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 15 und 65 Jahren, so zeigt sich, dass Erwerbstätige deutlich seltener von Armut bedroht sind. Als Erwerbstätige zählen hier Personen, die in der Panelbefragung „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) angegeben haben, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen – unabhängig von Art und Umfang der Erwerbstätigkeit. Nähere Informationen zum Datensatz lassen sich aus einem 2019 verfassten Beitrag von Mark Trappmann und anderen entnehmen.
Der Anteil der Erwerbstätigen, die als armutsgefährdet gelten, ging in den 2010er Jahren auf 8,6 Prozent im Jahr 2015 zurück und bewegt sich seither in etwa auf diesem Niveau (siehe Abbildung 1). In der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter insgesamt, dazu zählen beispielsweise auch Arbeitslose sowie Hausfrauen und -männer, ist die Armutsrisikoquote hingegen seit jeher deutlich höher. Sie lag in den Jahren von 2015 bis 2018 zwischen 16,4 und 17,1 Prozent und ging im Jahr 2019 auf 15,3 Prozent zurück. Damit ist die Armutsrisikoquote aller Personen im erwerbsfähigen Alter durchgängig fast doppelt so hoch wie die aller Erwerbstätigen.
Während der Pandemie stieg die Armutsgefährdung von Erwerbstätigen kaum, auch weil es weniger Minijobs gab
Im Jahr 2020, dem ersten Jahr der Pandemie, stieg die Armutsrisikoquote aller Personen im erwerbsfähigen Alter gegenüber 2019 deutlich von 15,3 auf 17,5 Prozent. Der Anstieg bei den Erwerbstätigen fiel dagegen mit einem Zuwachs von 0,2 auf 8,8 Prozent gering aus. Im Jahr 2021 verblieben die Armutsrisikoquoten beider Gruppen auf dem höheren Niveau.
Der geringe Anstieg der Armutsrisikoquote der Erwerbstätigen erklärt sich auch durch den Rückgang von geringfügig Beschäftigten, die unter Erwerbstätigen stärker armutsgefährdet sind, während der Pandemie.
Vor allem zu Beginn der Pandemie kam es zu deutlichen Einbußen: Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit gab es zwischen März und Mai 2020 einen saisonbereinigten Rückgang bei der geringfügigen Beschäftigung um 570.000 Beschäftigte. In den PASS-Daten fällt der Rückgang der geringfügigen Beschäftigung noch stärker aus: Nach Angaben der Befragten übten im Jahr 2021 im Interviewmonat hochgerechnet mehr als eine Million Personen weniger eine geringfügige Beschäftigung aus als im Jahr 2019.
Möglicherweise spielen für diese Diskrepanz die besonderen Umstände während des Erhebungszeitraums eine Rolle. So könnten Befragte bei temporären Einkommensausfällen während des Lockdowns angegeben haben, keiner Beschäftigung nachzugehen, ohne dass eine Abmeldung der Beschäftigung seitens des Arbeitgebers erfolgte.
Während die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Voll- und Teilzeitbeschäftigten laut PASS nahezu unverändert blieb, ist der Anteil geringfügig Beschäftigter zwischen 2019 und 2021 deutlich zurückgegangen. Wären die Zahlen der Voll- und Teilzeitbeschäftigten, der geringfügig Beschäftigten und der Selbstständigen in den Pandemiejahren 2020 und 2021 auf dem Stand von 2019 geblieben, wäre die Armutsrisikoquote von Erwerbstätigen von 8,6 Prozent im Jahr 2019 auf 9,4 Prozent im Jahr 2021 gestiegen.
Gleichzeitig mit dem Rückgang vor allem der geringfügigen Beschäftigung hat der Anteil von nicht erwerbstätigen Personen an der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren im Jahr 2020 erstmals nach einem langjährigen Rückgang zugenommen, was auch zum Anstieg der Armutsrisikoquote in dieser Gruppe beigetragen hat.
Bei der Interpretation der Zahlen ist zu beachten, dass die hier berichteten Armutsrisikoquoten auf den Monatseinkommen basieren, die von den Befragten angegeben wurden. Das Monatseinkommen wird zum Interviewzeitpunkt (Einkommen im Vormonat) erhoben. Der Interviewmonat fiel in den Jahren 2020 und 2021 größtenteils auf die Zeit des ersten (2020) und des zweiten (2021) Corona-Lockdowns in Deutschland. In diesen Monaten dürften insbesondere Erwerbstätige stark von Einkommensverlusten betroffen gewesen sein. Staatliche Hilfszahlungen, die sie danach erhielten, wurden also eventuell noch nicht berücksichtigt.
Zudem waren die Erhebungsmöglichkeiten während der Pandemie eingeschränkt, was sich auf die Genauigkeit der Ergebnisse auswirken kann. Die Ergebnisse ab 2020 sind daher mit Vorsicht zu interpretieren.
Die Armutsgefährdung hängt stark von der Erwerbsform ab
Eine Erwerbstätigkeit verringert im Durchschnitt das Risiko der Armutsgefährdung. Allerdings ist die Gruppe der Erwerbstätigen sehr heterogen. Entsprechend stark variiert die Armutsgefährdung zwischen verschiedenen Untergruppen von Erwerbstätigen. Einen großen Einfluss haben dabei die Arbeitszeit und die Beschäftigungsform (siehe Abbildung 2).
Abhängig Beschäftigte in Vollzeit hatten im Jahr 2019, also vor der Pandemie, eine unterdurchschnittliche Armutsrisikoquote von 5,5 Prozent. Die Armutsrisikoquote von abhängig Teilzeitbeschäftigten fiel mit 11,0 Prozent bereits doppelt so hoch aus. Bei den geringfügig Beschäftigten war die Quote mit knapp 25,5 Prozent nochmals deutlich höher. Bei den Selbstständigen lag sie im Jahr 2019 mit 9,0 Prozent etwas über dem Durchschnitt aller Erwerbstätigen.
Innerhalb der Gruppe der Selbstständigen haben insbesondere Solo-Selbstständige, die häufig nicht vollzeitnah arbeiten, ein niedriges Monatseinkommen (lesen Sie dazu eine 2020 erschienene Studie von Holger Bonin und anderen). Laut PASS lag die Armutsgefährdung bei Solo-Selbstständigen im Jahr 2019 mit 13,4 Prozent (nicht in der Abbildung dargestellt) über dem Durchschnitt aller Selbständigen von 9 Prozent.
Bei den Vollzeitbeschäftigten ist die Armutsgefährdung in den Pandemie-Jahren nicht gestiegen
Bei Vollzeitbeschäftigten veränderte sich die Armutsgefährdungsquote während der Jahre 2021 und 2022 so gut wie nicht. Anders bei den Teilzeitbeschäftigten: Zwar veränderte sich deren Armutsrisikoquote im Jahr 2020 kaum, stieg aber im Jahr 2021 deutlich.
Für geringfügig Beschäftigte und Selbstständige hat sich die Einkommenslage im Jahr 2020, gemessen an der Armutsrisikoquote, tendenziell verschlechtert. Bereits vor der Pandemie war ein hoher Anteil der geringfügig Beschäftigten armutsgefährdet. Dieser Anteil stieg bis 2021 noch einmal auf 27,6 Prozent. Bei Selbstständigen erhöhte sich die Armutsrisikoquote von 9 Prozent im Jahr 2019 auf 13,4 Prozent im Jahr 2020. Im Jahr 2021 ging die Quote wieder auf 10,6 Prozent zurück.
Fazit
Die Armutsgefährdung der Erwerbstätigen insgesamt hat in den ersten beiden Corona-Jahren kaum zugenommen. Darauf deuten PASS-Daten hin, die überwiegend während des ersten und zweiten Lockdowns 2020 und 2021 erhoben wurden. Betrachtet man hingegen alle erwerbsfähigen Personen zwischen 15 und 65 Jahren, zeigt sich ein deutlicher Anstieg.
Die Armutsgefährdung unterscheidet sich stark nach Erwerbsformen. Abhängige Vollzeitbeschäftigte hatten im Jahr 2019 mit 5,5 Prozent eine unterdurchschnittliche Armutsrisikoquote, geringfügig Beschäftigte sind hingegen häufig armutsgefährdet. Zwischen 2019 und 2021 haben viele geringfügig Beschäftigte ihre Beschäftigung verloren, was den Anstieg der Armutsgefährdungsquote bei den Erwerbstätigen gedämpft, aber die Armutsgefährdungsquote aller Personen zwischen 15 und 65 Jahren tendenziell erhöht haben dürfte.
Bis zum Jahr 2021 hat sich die Armutsrisikoquote von Vollzeitbeschäftigten kaum verändert, bei Teilzeitbeschäftigten stieg die Armutsquote im Jahr 2021 hingegen deutlich. Auch für geringfügig Beschäftigte und Selbstständige hat sich während der Pandemiejahre 2020 und 2021 die Einkommenslage gemessen an der Armutsrisikoquote tendenziell etwas verschlechtert.
Zu beachten ist bei den Ergebnissen, dass die Befragungen in einem schwierigen Umfeld stattfanden, was sich auf die Qualität der Daten auswirken könnte. Zudem beziehen sich die Ergebnisse auf Zeiträume, in denen sich die Eindämmungsmaßnahmen zur Pandemiebekämpfung besonders stark auf die Lebens- und Arbeitssituation ausgewirkt haben dürften.
In aller Kürze
- Im Jahr 2020 stieg die Armutsrisikoquote aller Personen zwischen 15 und 65 Jahren gegenüber 2019 deutlich von 15,3 auf 17,5 Prozent an. Der Anstieg bei den Erwerbstätigen fiel dagegen im gleichen Zeitraum mit einem Zuwachs von 0,2 auf 8,8 Prozent gering aus, wie Auswertungen der Daten des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) zeigen.
- Der geringe Anstieg der Armutsrisikoquote der Erwerbstätigen erklärt sich auch durch den Rückgang von geringfügig Beschäftigten, die unter Erwerbstätigen stärker armutsgefährdet sind, während der Pandemie.
- Die Armutsgefährdung unterscheidet sich stark nach Erwerbsformen. Abhängige Vollzeitbeschäftigte hatten im Jahr 2019 mit 5,5 Prozent eine unterdurchschnittliche Armutsrisikoquote. Die Armutsrisikoquote von Teilzeitbeschäftigten fiel 2019 mit 11,0 Prozent doppelt so hoch aus wie bei Vollzeitbeschäftigten und geringfügig Beschäftigte wiesen mit knapp 25,5 Prozent eine nochmals deutlich höhere Armutsrisikoquote im Jahr 2019 auf. Unter Selbstständigen waren mit 9,0 Prozent etwas mehr Personen als im Durchschnitt aller Erwerbstätigen armutsgefährdet.
- Bis zum Jahr 2021 hat sich die Armutsrisikoquote von Vollzeitbeschäftigten kaum verändert, bei Teilzeitbeschäftigten hat sie im Jahr 2021 gegenüber 2019 von 11,0 auf 14,9 Prozent deutlich zugenommen. Auch bei geringfügig Beschäftigten und Selbständigen hat die Armutsgefährdung in den Jahren 2020 und 2021 tendenziell zugenommen.
Literatur
Bundesagentur für Arbeit, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung, Berichte (2022): Arbeitsmarkt kompakt – Auswirkungen der Corona-Krise.
Bonin, Holger; Krause-Pilatus, Annabelle; Rinne, Ulf (2020): Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland (Aktualisierung 2020). IZA Research Report No. 93.
Trappmann, Mark; Bähr, Sebastian; Beste, Jonas; Eberl, Andreas; Frodermann, Corinna; Gundert, Stefanie; Schwarz, Stefan; Teichler, Nils; Unger, Stefanie; Wenzig, Claudia (2019): Data Resource Profile: Panel Study Labour Market and Social Security (PASS). In: International Journal of Epidemiology, Volume 48, Issue 5, S. 1411–1411g.
Bild: andrey gonchar/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240423.01
Beste, Jonas; Bruckmeier, Kerstin (2024): Die Armutsgefährdung von Vollzeitbeschäftigten ist auch in der Corona-Krise nicht gestiegen, In: IAB-Forum 23. April 2024, https://www.iab-forum.de/die-armutsgefaehrdung-von-vollzeitbeschaeftigten-ist-auch-in-der-corona-krise-nicht-gestiegen/, Abrufdatum: 12. December 2024
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Autoren:
- Jonas Beste
- Kerstin Bruckmeier