Wirkt Corona wie ein Brennglas, das negative Entwicklungen der Wirtschaft beschleunigt? Diese Frage stand im Mittelpunkt der diesjährigen Fachtagung „Wissenschaft trifft Praxis“. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft diskutierten mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Sozialpartnern und der Öffentlichkeit über betriebliche Herausforderungen vor, während und nach der Covid-19-Krise.

Die zweitägige Fachtagung „Wissenschaft trifft Praxis“ widmete sich in diesem Jahr den Potenzialen und Schwierigkeiten, denen sich Betriebe in Deutschland – auch angesichts der anhaltenden Covid-19-Krise – mit Blick auf die Arbeitswelt gegenübersehen. Auf der Basis aktueller Forschungsergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis befassten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in zwei Keynotes und vier Sessions sowohl mit dem gegenwärtigen Zustand der Betriebe als auch mit Handlungsoptionen für die Politik, die sich daraus ableiten lassen. Die Konferenz fand am 14. und 15. Juni aufgrund der coronabedingten Einschränkungen virtuell statt und wurde zudem live auf dem YouTube-Kanal des IAB gestreamt.

Porträt des IAB-Direktors Professor Bernd Fitzenberger, PhD

Prof. Bernd Fitzenberger, PhD, Direktor des IAB.

IAB-Direktor Prof. Bernd Fitzenberger, PhD, sieht Licht am Ende des Corona-Tunnels: Während die negative Krisenbetroffenheit von mehr als der Hälfte der befragten Betriebe Ende Mai 2020 ihren Höhepunkt erreichte, ging sie mit dem Rückgang des Infektionsgeschehens im Sommer und Frühherbst zurück, sagte Fitzenberger in seiner Begrüßungsrede.

Der darauffolgende erstaunliche Aufschwung im dritten Quartal sei zwar durch die zweite Corona-Welle gebremst worden, sodass die Krisenbetroffenheit wieder das Niveau der ersten Welle erreichte. Seit März 2021 gehe die Betroffenheit der Betriebe von der Krise jedoch kontinuierlich zurück, sagte Fitzenberger zum Auftakt der Tagung – ein Anlass zur Hoffnung.

Wie sieht die neue Normalität in der Arbeitswelt aus?

Prof. Dr. Jutta Rump ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen und Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability. Sie fokussierte sich in ihrer Keynote darauf, wie die neue Normalität in der Arbeitswelt aussieht und wie Wirtschaft und Arbeitgeber in Deutschland mit der Disruption umgehen.

Rump sieht in Zukunft drei große Wandlungsprozesse: die digitale, die ökonomische und die ökologische Transformation. Die digitale Transformation war bereits vor der Pandemie wesentlich, hat aber durch sie eine andere Geschwindigkeit und Intensität erfahren. Das gelte auch für andere Megatrends, so Rump. Corona wirke wie ein Brandbeschleuniger und führe dazu, dass Themen, die schon vor der Krise bedeutend waren, weiter an Bedeutung gewinnen.

Die Zukunft des Homeoffice

Philipp Grunau

IAB-Forscher Dr. Philipp Grunau.

Die erste Session befasste sich mit verschiedenen Aspekten rund um das Thema Homeoffice. IAB-Forscher Dr. Philipp Grunau beschäftigte sich in seinem Vortrag damit, wie sich die Nutzung von Homeoffice vor und während der Covid-19-Pandemie entwickelt hat. War das Arbeiten von zu Hause aus vor der Pandemie eher ein Randphänomen, so hat die Nutzung von Homeoffice im weiteren Verlauf deutlich zugenommen.

Der Einsatz von Homeoffice geht dabei mit der pandemischen Entwicklung einher: Im Laufe des Sommers 2020 gingen die Fallzahlen und damit auch die Nutzung von Homeoffice zurück. Als die Zahl der Infizierten wieder stieg, wurde wieder vermehrt auf die Möglichkeit des Arbeitens von zu Hause aus zurückgegriffen. Grunau wies darauf hin, dass sich eine große Gruppe der Beschäftigten auch in Zukunft mehr Homeoffice als vor der Pandemie wünscht. Betriebsbefragungen hätten jedoch ergeben, dass nur 18 Prozent der Unternehmen mehr Heimarbeit anbieten wollen als vor der Pandemie. Sie habe den bestehenden Trend zu mehr Homeoffice beschleunigt.

„Du kannst im Büro in L.A. sitzen, aber im Projektteam in Köln arbeiten“

Marcel Menge, Senior Vice President Operations bei der ESL Gaming GmbH, sprach über den Büro-Alltag, Remote-Teams und die Herausforderung der Zusammenarbeit. Das Besondere an der ESL Gaming GmbH: Die Arbeitsorganisation erfolgt global, mehr als 500 Mitarbeitende in 13 Ländern arbeiten für das Kölner Unternehmen.

Der Grund hierfür ist überraschend: Die Firma sucht Menschen, die ihr Hobby im Beruf ausleben wollen. „Da findet man lokal nicht überall genug, deswegen haben wir damit angefangen, global zu suchen“, sagte Menge. Für die Ausgestaltung der Arbeit im Homeoffice hat sich die Firma von Unternehmen, die schon vor der Pandemie Erfahrungen mit Homeoffice gemacht hatten, anregen lassen.

Flexibilität braucht Verbindlichkeit

Michael Vollert, Kommissarischer Unterabteilungsleiter Arbeitsrecht beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), beschrieb das Gesetzesvorhaben des Arbeitsministeriums zu mobiler Arbeit. „Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten waren wir eher hintendran“, sagte Vollert.

Kern des Referentenentwurfs des BMAS ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, in der Beginn, Dauer, Umfang und Verteilung der mobilen Arbeit klar geregelt sind. Homeoffice sei erst in der Pandemie zur Selbstverständlichkeit geworden, so Vollert. Ein Gesetz hierzu bleibe weiter auf der Tagesordnung.

Dr Ute Leber

IAB-Forscherin Dr. Ute Leber.

Welche Folgen hat die Covid-19-Pandemie für die betriebliche Berufsausbildung?

In der zweiten Session stand die betriebliche Berufsausbildung im Mittelpunkt. Dr. Ute Leber setzt sich in ihrer Forschung am IAB unter anderem mit den Folgen der Covid-19-Krise für die betriebliche Berufsausbildung auseinander. Sowohl während der Wirtschafts- und Finanzkrise als auch in der aktuellen Krise sei die Anzahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge deutlich zurückgegangen. In der Corona-Krise habe sie das niedrigste Niveau seit der Wiedervereinigung erreicht.

Leber machte deutlich, dass der Kriseneffekt auf beiden Marktseiten erkennbar ist: Die Anzahl der Bewerbungen ging zurück, zugleich wurde das Angebot an Ausbildungsplätzen reduziert. Mögliche Konsequenzen dieser Entwicklung könnten zukünftig fehlende Fachkräfte und schlechtere Einstellungschancen für Jugendliche sein, so die IAB-Forscherin.

„Diesen Weg werden wir hoffentlich nie wieder aufgeben“

Jan Niehuis ist als Personalleiter für die Nürnberger Standorte der Siemens AG zuständig und befasst sich mit der betrieblichen Ausbildung im Unternehmen. Die Pandemie brachte auch hier eine Reihe von Herausforderungen mit sich. So mussten Recruiter aufgrund der coronabedingten Einschränkungen alternative Kontaktmöglichkeiten entwickeln. Dabei ist eine Reihe an neuen Instrumenten entstanden: eine Online-Messe mit individuellen Beratungsgesprächen, virtuelle Auswahltage und mehr. Niehuis zog eine positive Bilanz der virtuellen Lösungen: „Diesen Weg werden wir hoffentlich nie wieder aufgeben!“

Der Ausbildungsmarkt schrumpft seit Jahren – durch Corona droht ein weiterer Subtanzverlust

Daniel Gimpel ging in seinem Vortrag darauf ein, wie eine „Generation Corona“ verhindert werden könne. „Es wird nicht die letzte Krise sein, deshalb sind Veränderungen notwendig“, sagte der Ausbildungsexperte vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Der Ausbildungsmarkt sei wie der Arbeitsmarkt stark konjunkturabhängig. Die Pandemie habe sich merklich auf die Ausbildungsqualität ausgewirkt, sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite.

Um der Corona-Krise, Zukunftsängsten und einem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen, müsse der Ausbildungsmarkt strukturell angepasst und krisensicher gestaltet werden. Der DGB schlage deswegen eine Ausbildungsgarantie mit einem umlagefinanzierten Zukunftsfonds vor, so Gimpel.

Wie haben sich Stellenbesetzungsprozesse in der Corona-Krise aus betrieblicher Sicht verändert?

In der dritten Session ging es um verschiedene Aspekte rund um den Personalbedarf von Betrieben. Prof. Dr. Nicole Gürtzgen leitet den Forschungsbereich „Arbeitsmarktprozesse und Institutionen“ am IAB und hat eine Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Arbeitsmarktforschung, an der Universität Regensburg inne. Sie beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit Neueinstellungen während der Covid-19-Pandemie.

Wie haben sich Stellenbesetzungsprozesse aus betrieblicher Sicht verändert? Mit der Corona-Krise ist die Zahl der offenen Stellen eingebrochen und die Arbeitslosigkeit angestiegen. Dies spiegelt sich in einer geringeren Arbeitsmarktanspannung, d.h. in einer höheren Arbeitslosen-Stellen-Relation wider. Die Folge: Betriebe müssen bei der Einstellung weniger Kompromisse machen und haben weniger Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen.

Die demografische Entwicklung lässt das inländische Erwerbspersonal weiter schrumpfen

Anton Klaus von der Bundesagentur für Arbeit fokussierte sich auf Fachkräfte-Engpässe im Pandemie-Jahr 2020. Die Covid-19-Pandemie hat sich im vergangenen Jahr in verschiedener Hinsicht auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt: Die Zahl der Arbeitslosen stieg im Jahresdurchschnitt und der Bestand gemeldeter Stellen verringerte sich im Vergleich zu 2019.

Engpässe zeigten sich vor allem im Bereich der Pflege und der medizinischen Berufe, im Bereich der Bau- und Handwerksberufen und in einigen IT-Berufen. Die demografische Entwicklung lasse das inländische Erwerbspersonal weiter schrumpfen, so Klaus. Das dürfte mittelfristig erneut zu einer höheren Nachfrage nach Fachkräften führen.

Personaldienstleister mussten Spagat zwischen Kurzrabeit und Einsatz in systemrelevanten Berufen meistern

Ingrid Hofmann ist Geschäftsführende Alleingesellschafterin der I.K. Hofmann GmbH, einem der größten Personaldienstleister in Deutschland und Österreich. Sie sprach über den Spagat, zwischen Kurzarbeit und Einsatz in systemrelevanten Berufen, den Personaldienstleister in der Corona-Krise meistern mussten.

Ab März 2020 konnte das in ihrem Unternehmen installierte Corona-Aktions-Team nur Vermutungen darüber anstellen, wie es weitergeht. Woche für Woche wurden tausende Mitarbeitende von Kunden abgemeldet, der Umsatz fiel von 35 auf 13 Millionen Euro. In dieser Zeit waren zugleich rund 5.000 Angestellte in systemrelevanten Tätigkeiten beschäftigt. So musste ihr Unternehmen neue Mitarbeitende einstellen, während andere Beschäftigte Kurzarbeitergeld bezogen.

In puncto Kosten-Nutzen-Relation schneidet das Kurarbeitergeld als Maßnahme am besten ab

Prof. Dr. Lutz Bellmann

Prof. Dr. Lutz Bellmann, Leiter des Forschungsbereichs „Betriebe und Beschäftigung“.

Prof. Dr. Lutz Bellmann, Leiter des Forschungsbereichs „Betriebe und Beschäftigung“ am IAB und Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Arbeitsökonomie, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, sprach in seiner Keynote über Kurzarbeit in der Covid-19-Krise.

Während des ersten Lockdowns erhielten in Deutschland knapp sechs Millionen Beschäftigte Kurzarbeitergeld – das sind viermal mehr als in der Großen Rezession 2008/2009. Bellmann wies darauf hin, dass für Personen in Haushalten mit höherem Einkommen seltener Kurzarbeitergeld gezahlt wurde und Personen mit der Option auf Homeoffice weniger häufig in Kurzarbeit waren. Dabei senkten höhere allgemeine und berufliche Bildungsabschlüsse die Wahrscheinlichkeit, in Kurzarbeit tätig zu sein.

Nicht nur Gesundheitsberufe sind vom Ansteckungsrisiko betroffen

Der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz war Thema der vierten Session. Dr. Anja Bauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IAB, sprach über das berufliche Ansteckungspotenzial im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie. Sie identifizierte relevante Einzelindikatoren, die jeweils Aufschluss darüber geben, welche Einzeltätigkeiten ein besonderes Risiko für eine Infektion beinhalten. Die beruflichen Ansteckungsrisiken seien ein Indikator dafür, in welchen Tätigkeiten spezifische Arbeitsschutzmaßnahmen notwendig sind, erklärte Baue,r und machte deutlich, dass nicht nur Gesundheitsberufe von einem hohen Ansteckungsrisiko betroffen sind.

Betriebliche Strategien zur Bekämpfung der Pandemie kommen zunehmend in der Arbeitswelt an

Porträtfoto von Laura Pohlan

IAB-Forscherin Dr. Laura Pohlan.

IAB-Forscherin Dr. Laura Pohlan setzte sich in ihrem Vortrag mit dem betrieblichen Arbeitsschutz während der Covid-19-Pandemie auseinander. Die Bedeutung des betrieblichen Arbeits- und Infektionsschutzes habe im Arbeitsalltag deutlich zugenommen, so Pohlan.

Die Betriebe stünden dabei während der Krise vor doppelten Herausforderungen: Ökonomische Folgen wie Lieferengpässe müssen bewältigt werden, gleichzeitig müssen Abstands- und Hygieneregeln im Arbeitsalltag etabliert werden.

Psychische Belastungen nehmen zu: Maßnahmen sind notwendig

Prof. Dr. Lars Adolph, wissenschaftlicher Leiter „Produkte und Arbeitssysteme“ in der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, ging der Frage nach, wie gut die Umsetzung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards gelungen ist. Betriebe hätten unter Unsicherheiten schnell reagiert und sukzessive Handlungsoptionen konkretisiert, stellte Rudolph fest. So wurden von 17 in der Arbeitsschutzregel vorgesehenen Maßnahmen durchschnittlich 11,1 Maßnahmen umgesetzt. Trotzdem nähmen psychische Belastungen an Bedeutung zu. Hierzu seien entsprechende Angebote und Maßnahmen notwendig.

Podiumsdiskussion

Zum Abschluss der Tagung diskutierten Anja Piel, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands des DGB, Dr. Anna Robra, Abteilungsleiterin „Arbeitsmarkt“ bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Prof. Dr. Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB und Honorarprofessor für Arbeitsmarktforschung am Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie der Universität Regensburg, und Prof. Dr. Werner Widuckel, Inhaber des Lehrstuhls für Personalmanagement und Arbeitsorganisation in technologieorientierten Unternehmen an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, über Homeoffice, staatliche Förderungen während der Pandemie und Prämien bei der Rückkehr aus der Kurzarbeit.

Homeoffice und Präsenz: Die Mischung macht‘s

Porträtfoto von Prof. Dr. Werner Widuckel

Prof. Dr. Werner Widuckel, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Werner Widuckel plädierte dafür, die Präsenzkultur nicht gänzlich aufzugeben, da nicht alle über Arbeitsbedingungen verfügen, die für das Homeoffice notwendig sind, oder weil sie die Arbeit im Betrieb schlicht bevorzugen. Die Führungskultur müsse neu hinterfragt werden. Mitarbeitende sollen mehr unterstützt werden, es müsse ihnen aber auch mehr vertraut werden. Anja Piel machte deutlich, dass Homeoffice kein rechtsfreier Raum sei: Unternehmen müssten mögliche Überlastungen der Mitarbeitenden im Blick behalten.

Weil in vielen Bereichen nicht die Arbeitszeit, sondern die Ergebnisse wichtig seien, ist laut Ulrich Walwei eine ausgewogene Mischung aus Arbeit im Homeoffice und in Präsenz von besonderer Bedeutung. Allerdings eigne sich Homeoffice eher im Bereich der Wissensarbeit. Sie sei auch eine Chance, gute Beschäftigte zu rekrutieren. Anna Robra wies darauf hin, dass Homeoffice Führungskräfte und Mitarbeitende vor neue Herausforderungen stelle. Jedes Unternehmen müsse dabei seinen eigenen Weg finden.

Kurzarbeit ist ein wichtiges Instrument zur Beschäftigungssicherung

Trotz der staatlichen Förderung während der Corona-Krise habe der Arbeitsmarkt schwere Zeiten erlebt, sagte Ulrich Walwei. Kurzarbeit und Homeoffice hätten dazu geführt, dass Beschäftigung gesichert werden konnte. Werner Widuckel bewertete die Grundrichtung der staatlichen Maßnahmen als richtig, auch wenn beispielsweise bei der Absicherung von Solo-Selbständigen strukturelle Defizite bestünden. Wichtig sei es, die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu erhalten.

Porträtfoto von Dr. Ulrich Walwei

Prof. Dr. Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB.

Auch Anna Robra nannte Kurzarbeit als ein wichtiges Instrument, um Beschäftigung zu erhalten. Gleichzeitig seien durch die Maßnahme hohe Kosten entstanden, die perspektivisch der Bund decken müsse. Anja Piel warnte, dass das Risiko der Insolvenz für viele Betriebe noch nicht gebannt sei.

Sollten Anreize für Unternehmen geschaffen werden, damit sie Beschäftigte aus der Kurzarbeit holen?

Den richtigen Zeitpunkt für eine Beendigung der Sonderreglungen festzulegen, sie schwierig, sagte Ulrich Walwei mit Blick auf die weitere Entwicklung der Pandemie. Wenn man tatsächlich zum Alltag zurückkehren könne, müsse das Kurzarbeitergeld abgebaut werden. Je früher dies geschehen könne, desto eher könnten Betriebe Beschäftigte zurückholen oder neues Personal einstellen.

Große Konzerne seien nicht auf eine Prämie angewiesen, um Beschäftigte aus der Kurzarbeit zurückzugholen, erklärte Werner Widuckel. Sie sei aber für kleine und mittelständische Unternehmen eine wichtige Hilfe. Auch Anja Piel zufolge ist es richtig, Anreize für Betriebe zu schaffen, um Menschen wieder aus der Kurzarbeit zu holen. „Wir laufen in einen massiven Fachkräftemangel hinein, eigentlich schon übermorgen, wenn die Babyboomer in Rente gehen“, sagte Anna Robra. Wichtig sei nun, keine weiteren Belastungen für Unternehmen zu schaffen, damit diese wiedereinstellen könnten.

„Wir kommen nicht so aus der Krise, wie wir reingegangen sind“

Anja Piel bewertete die Krise als Impuls für ein Umdenken. So müsse noch einmal überdacht werden, wie Personal zukünftig geführt werden soll. Hierzu seien Weiterbildungsmaßnahmen wie „Führen auf Distanz“ notwendig. Dazu müssten Betriebe auch mit Betriebsräten ins Gespräch kommen. Anna Robra betonte, dass die Digitalisierung nicht „nice to have“ sei, sondern in Zukunft integraler Bestandteil alltäglichen Arbeitens sei: „Hier müssen wir wirklich besser werden.“ Flexibilität und Vereinbarkeit seien weitere wichtige Faktoren, bei denen man aus der Krise lernen könne.

Werner Widuckel unterstrich, dass Flexibilität bei Präsenzarbeit und Homeoffice wichtig sei, um der Pandemie zu begegnen. Das Festhalten an Konventionen bewertete er als wenig hilfreich. „Wir kommen nicht so aus der Krise, wie wir reingegangen sind“, machte Ulrich Walwei deutlich. Es sei nun nötig, das Beste aus verschiedenen Welten zusammenzubringen. Die Menschen müssten einerseits im Hinblick auf die Digitalisierung befähigt werden. Andererseits müsse man sich darüber klarwerden, welche anderen Kompetenzen das Arbeitsleben gut tragen, und dürfe das Zwischenmenschliche dabei nicht außer Acht lassen, so Walwei. Auch das habe die Krise gezeigt.

Bellmann, Lutz; Kaltwasser, Lena; Koch, Theresa; Kubis, Alexander; Popp, Martin; Segert-Hess, Nadine (2021): Die Covid-19-Krise treibt Entwicklungen voran, die bereits vorher begonnen haben, In: IAB-Forum 1. Oktober 2021, https://www.iab-forum.de/die-covid-19-krise-treibt-entwicklungen-voran-die-bereits-vorher-begonnen-haben/, Abrufdatum: 17. November 2024