10. Juni 2021 | Serie „Corona-Krise: Folgen für den Arbeitsmarkt“
Einbruch am Arbeitsmarkt ging zulasten von Helfertätigkeiten
Die Nachfrage nach Arbeitskräften wird nicht nur durch konjunkturelle Einflüsse beeinflusst, sondern auch durch strukturelle Änderungen am Arbeitsmarkt. Sie werden beispielsweise durch technischen Fortschritt hervorgerufen. Um Veränderungen bei der Beschäftigung von und der Nachfrage nach Arbeitskräften unterschiedlicher Qualifikationsniveaus genauer abbilden zu können, wird im Folgenden das Konzept des beruflichen Anforderungsniveaus herangezogen. Hierbei handelt es sich nicht um die formale Qualifikation, die eine Person erworben hat, sondern um Kenntnisse und Fertigkeiten, die in der Regel benötigt werden, um eine berufliche Tätigkeit auszuüben.
Helfertätigkeiten setzen keine oder nur eine maximal einjährige Ausbildung voraus. Für die Tätigkeiten von Fachkräften wird eine Berufsausbildung benötigt. Spezialisten- oder Expertentätigkeiten schließlich erfordern den Abschluss einer Meister-/Technikerausbildung oder einen Hochschulabschluss.
Rund 58 Prozent der Tätigkeiten erfordern einen Berufsabschluss
Rund 58 Prozent der Tätigkeiten, die von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausgeübt werden, erfordern einen Berufsabschluss. Für gut 27 Prozent der Tätigkeiten wird ein akademischer Abschluss oder eine Meister-/Technikerausbildung benötigt. 15 Prozent der Tätigkeiten wiederum erfordern keine besonderen Ausbildungsnachweise.
Über längere Zeit stieg sowohl die Beschäftigung von hochqualifizierten Arbeitskräften als auch die Beschäftigung von Arbeitskräften im Helferbereich vergleichsweise stark. Die Beschäftigung von Fachkräften mit Berufsausbildung nahm ebenfalls zu, aber in geringerem Umfang (siehe Abbildung 1).
Seit dem Wirtschaftsabschwung 2018 ist keine derartige Polarisierungstendenz mehr zu beobachten. Das Beschäftigungswachstum im Helferbereich verlor seither deutlich an Schwung. In der Corona-Krise kam es hier sogar zu einem Rückgang der Beschäftigung. Auch die Zahl der Fachkräfte stagnierte und ist in der aktuellen Krise leicht rückläufig. Der Bestand an Personen mit den beruflichen Anforderungsniveaus „Spezialist“ oder „Experte“ hingegen ist trotz Corona-Krise in den ersten drei Quartalen 2020 gestiegen, wenn auch in einem erheblich geringeren Ausmaß als zuvor.
Betriebliche Nachfrage nach Arbeitskräften zieht wieder an
Im Unterschied zur Zahl der Beschäftigten sind die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten offenen Stellen in der Corona-Krise auch für Experten- oder Spezialisten-Tätigkeiten gesunken (siehe Abbildung 2). Im vierten Quartal 2020 hat die Zahl der offenen Stellen erstmals seit Krisenausbruch wieder leicht zugenommen. Dabei fiel die Trendumkehr bei Helfertätigkeiten etwas stärker aus als bei Fachkräften sowie bei Experten und Spezialisten.
Zu beachten ist dabei allerdings, dass die Besetzung einer offenen Stelle nicht zwingend zu mehr Beschäftigung führen muss, da ein Teil der Stellen ausgeschrieben wird, um Personal zu ersetzen. Der Beschäftigtenumschlag und damit der Ersatzbedarf fällt im Helferbereich überdurchschnittlich groß aus (siehe Abbildung 3 und Infokasten „Messkonzept der begonnenen Beschäftigungsverhältnisse und Definition des Beschäftigtenumschlags“). Während dort pro Quartal rund acht Prozent der Beschäftigten eingestellt oder entlassen wurden, ist dieser Wert für die höheren Anforderungsniveaus nur rund halb so groß.
Ein wichtiger Grund hierfür dürften die unterschiedlichen Kosten der Personalbeschaffung sein, denn die Akquise von Experten und Spezialisten sowie von Fachkräften ist deutlich teurer als die von Helfern. Eine Studie von Ronald Bachmann und anderen aus dem Jahr 2020 zeigt außerdem, dass Arbeitskräfte mit komplexen Tätigkeiten tendenziell eine geringere Auswahl an Jobs haben und deswegen weniger dazu neigen, den Betrieb zu wechseln.
Nicht alle offenen Stellen werden der Bundesagentur für Arbeit gemeldet
Die Betrachtung der bei der BA gemeldeten Stellen wird dadurch eingeschränkt, dass diese nur einen Teil des Stellenmarktes abbilden. Im vierten Quartal 2020 waren rund 38 Prozent der offenen Stellen dort gemeldet. Diese Meldequote sinkt mit höherem Anforderungsniveau. Eine Hochrechnung auf Basis der IAB-Stellenerhebung, die auch nicht bei der BA gemeldete offene Stellen umfasst, zeigt insgesamt aber einen sehr ähnlichen Verlauf des Stellenangebots (siehe Abbildung 4):
- Seit dem Jahr 2019 geht die Zahl der offenen Stellen zurück. Diese Entwicklung hat sich durch die Corona-Krise nochmals deutlich verschärft.
- Der Rückgang des Stellenangebots betrifft sowohl Helfertätigkeiten als auch Tätigkeiten für Fachkräfte, Experten oder Spezialisten.
- Die Abnahme der offenen Stellen fällt für Helfer und Fachkräfte größer aus als für Experten und Spezialisten.
Fazit
Sowohl für Helfer als auch für Fachkräfte ist ein Rückgang der offenen Stellen und der Zahl der Beschäftigten zu verzeichnen. Bei den Experten- und Spezialisten-Tätigkeiten ging dagegen lediglich das Stellenangebot zurück – und auch das nur geringfügig. Dies deutet darauf hin, dass Betriebe verstärkt versuchen, diese Beschäftigtengruppe weiter im Betrieb zu halten. Denn wenn Betriebe diese gut qualifizierten und am Markt teils sehr stark gefragten Arbeitskräfte nach Ende der Krise wieder einstellen möchten, ist dies unter Umständen ein schwieriges und nicht selten kostspieliges Unterfangen. Um dies zu vermeiden, gehen immer mehr Unternehmen dazu über, Arbeitskräfte auch in Krisenzeiten zu horten.
Grundsätzlich tun Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gut daran, die Investitionen in Aus- und Weiterbildung aufrechtzuerhalten beziehungsweise zu erhöhen. Denn passende Qualifikationen erleichtern berufliche Umbrüche und verhindern so längere Phasen der Arbeitslosigkeit.
Messkonzept der begonnenen Beschäftigungsverhältnisse und Definition des Beschäftigtenumschlags
In der BA-Statistik werden Übergänge über den Beginn oder das Ende eines Beschäftigungsverhältnisses abgebildet. Dies betrifft etwa Übernahmen von Auszubildenden durch den Betrieb, die als neu begonnenes Beschäftigungsverhältnis erfasst werden. Weiterhin werden Meldekonstellationen mit zum Teil täglichen An- und Abmeldungen beim gleichen Betrieb berücksichtigt. Beispielsweise werden Tagelöhner teils mehrmals im gleichen Monat zur Sozialversicherung an- und wieder abgemeldet.
Im Rahmen der IAB-Stellenerhebung werden diese mehrfachen Einstellungsprozesse einer Person beim selben Betrieb vom Betrieb signifikant seltener als Neueinstellung berichtet. Nicole Gürtzgen und Benjamin Küfner weisen deshalb im FDZ-Methodenreport 2/2021 darauf hin, dass es bei der Verwendung der begonnenen Beschäftigungsverhältnisse auf Basis der Statistik der BA zu abweichenden Ergebnissen im Vergleich zu Betriebsbefragungen wie der IAB-Stellenerhebung kommen kann.
Zu Berechnung des Beschäftigtenumschlags (auch Churning-Rate genannt) auf Basis der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wird die von Mario Bossler und Richard Upward im Research Handbook on Employee Turnover vorgeschlagene Definition verwendet. Der Beschäftigtenumschlag wird berechnet als die an der Beschäftigung normierte Summe von begonnenen und beendeten Beschäftigungsverhältnissen innerhalb eines Zeitraums. Sie wurde vorher um den Betrag der absoluten Beschäftigungsänderung (Mehrbedarf) bereinigt.
Literatur
Bachmann, Ronald; Demir, Gökay; Frings, Hanna (2020): Labour Market Polarisation, Job Tasks and Monpsony Power, IZA Discussion Paper No. 13989.
Bossler, Mario; Upward, Richard (2016): Employee turnover and the expansion and contraction of employers. In: G. Saridakis & C. L. Cooper (Hrsg.), Research handbook on employee turnover, (New Horizons in management), Cheltenham: Elgar, S. 305–346.
Gürtzgen, Nicole; Küfner, Benjamin (2021): Hirings in the IAB Job Vacancy Survey and the administrative data – an aggregate comparison, FDZ-Methodenreport Nr. 2 (en).
Kubis, Alexander; Popp, Martin (2021): Einbruch am Arbeitsmarkt ging zulasten von Helfertätigkeiten, In: IAB-Forum 10. Juni 2021, https://www.iab-forum.de/einbruch-am-arbeitsmarkt-ging-zulasten-von-helfertaetigkeiten/, Abrufdatum: 17. November 2024
Autoren:
- Alexander Kubis
- Martin Popp