26. Juli 2022 | Interviews
Einsparungen beim Sozialen Arbeitsmarkt hätten auch soziale Folgewirkungen
Worin besteht aus Ihrer Sicht die zentrale Aufgabe der Eingliederungsleistungen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende? Und halten Sie das für 2023 geplante Budget für angemessen?
Joachim Wolff: Die Eingliederungsleistungen sollen Menschen, die Arbeitslosengeld-II beziehen, dabei unterstützen, ihren Lebensunterhalt mittelfristig aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Die Hilfen umfassen die Einschaltung Dritter bei der Arbeitsvermittlung, Qualifizierungen, öffentlich geförderte Beschäftigung sowie Lohnkostenzuschüsse. Angesichts der erheblichen Risken der verschiedenen aktuellen Krisen für die allgemeine Arbeitsmarktsituation sollte gerade das Budget für langzeitarbeitslose Menschen nicht oder zumindest nicht allzu stark gekürzt werden.
Welche Konsequenzen hätten entsprechende Kürzungen aus Ihrer Sicht für die Fördermöglichkeiten der Jobcenter?
Wolff: Das 2019 geschaffene Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ unterstützt die Arbeitsaufnahme von besonders arbeitsmarktfernen Personen und stärkt dadurch auch ihre sozialen Teilhabemöglichkeiten. Es ist daher nicht überraschend, dass eine große Mehrheit der Jobcenterleitungen in einer Befragung des IAB in diesem Instrument eine wichtige Weiterentwicklung ihrer Fördermöglichkeiten sieht. Aus ihrer Sicht schließt es eine Lücke im Förderangebot, die im Grunde seit Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende besteht. Zudem wurde das Instrument bewusst für privatwirtschaftliche Betriebe geöffnet, was unter Umständen mit einer Anschlussperspektive für die Betroffenen verbunden ist.
Gellermann: „Es bedarf einer längerfristig stabilen Finanzierung.“
Jan Gellermann: Die Sicht auf dieses Instrument teile ich. Sollten die Kürzungen wie geplant umgesetzt werden, könnten die Fördermöglichkeiten für Personen, die bereits sehr lange nicht mehr am Erwerbsleben teilhaben konnten, drastisch erschwert werden. Bei dem Instrument, das Sie ansprechen, handelt es sich um eine mehrjährige Förderung mit Lohnkostenzuschüssen für Arbeitgeber, die eine langzeitarbeitslose Person sozialversicherungspflichtig einstellen. Positive Effekte entfalten sich aber nicht von heute auf morgen. Ein solches Instrument bedarf daher auch einer längerfristig stabilen Finanzierung.
Wolff: Bei starken Kürzungen würden die Jobcenter also ein wichtiges Instrument weniger nutzen können, wodurch die geschlossene Lücke im Förderangebot wieder aufzubrechen droht.
Markus Promberger: Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass es – wie bereits angesprochen – bei dieser Förderung nicht nur um die Teilhabe am Arbeitsmarkt geht, wie es der Name des Instruments suggeriert, sondern dass der durch die Förderung ermöglichte Zugang zum Arbeitsleben ein Schlüssel für weitere soziale wie materielle Teilhabeprozesse ist. Wenn wir das Budget für die Förderung von Arbeitsmarktteilhabe reduzieren, verringern wir nicht nur die Arbeitsmarktchancen von Menschen, die sonst kaum eine Stelle finden, sondern handeln uns auch höhere Risiken in anderen Lebensbereichen ein. Vereinzelung und Rückzug aus dem sozialen Leben, weiter zunehmende Erwerbsferne, auch bei den Kindern der betroffenen Familien, abnehmende Zugehörigkeitserfahrungen, soziale Desintegration und Spaltung. Die Förderung der Teilhabe am Erwerbsleben ist unabdingbar, um weitere soziale Probleme zu vermeiden.
Promberger: Die Förderung der Teilhabe am Erwerbsleben ist unabdingbar, um weitere soziale Probleme zu vermeiden.
Was könnten Kürzungen in diesem Bereich für die Förderungsempfänger bedeuten?
Promberger: Zum einen kann es sein, dass die Zahl der verfügbaren Förderplätze kleiner wird, zum anderen, dass bestimmte Elemente der Förderung wegfallen oder seltener angeboten werden.
Gellermann: Zu diesen Elementen gehören nicht zuletzt das Weiterbildungsbudget und die „ganzheitliche beschäftigungsbegleitende Betreuung“ der Geförderten. Die ist ein wichtiges Unterstützungsformat für die Zielgruppe. In der Zeit des Leistungsbezuges haben sich häufig Probleme angehäuft, bei deren Bearbeitung Hilfe benötigt wird. Zum Teil waren diese Probleme auch der Grund für die lange Arbeitslosigkeit.
Um welche Probleme geht es dabei?
Gellermann: Zum Beispiel Überschuldung, gesundheitliche oder persönliche Krisen, Konflikte im Betrieb oder in der Familie. Zudem: Wer nach 10 oder 15 Jahren wieder in Beschäftigung kommt, hat zuweilen Schwierigkeiten, wieder in die Beschäftigtenrolle zu finden. Dazu zählen auch der Umgang mit Leistungsdruck und die Reorganisation des privaten Alltags. Diese Dinge zu bearbeiten und die Beschäftigung zu stabilisieren, gehört nicht zu den regulären Aufgaben des Fallmanagements der Jobcenter. Aber die ganzheitliche beschäftigungsbegleitende Betreuung kann hier entscheidend helfen, so sie mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist.
In den ersten drei Jahren wurde für das Instrument mehr als eine Milliarde Euro ausgegeben – ohne die Ausgaben der zugelassenen kommunalen Träger – und rund 70.000 Förderungen begonnen. Amortisieren sich diese Ausgaben zumindest zum Teil, weil dadurch langfristig mehr Personen eine ungeförderte Beschäftigung aufnehmen?
Forschungsergebnisse auch zu den Vorgängerinstrumenten lassen vermuten, dass die Zielgruppe ohne die Förderung nahezu keine Chance auf eine ungeförderte Beschäftigung hätte – und es wäre unrealistisch zu unterstellen, dass mögliche langfristig positive Wirkungen auf die ungeförderte Beschäftigung hoch genug wären, um die Ausgaben zu amortisieren. Vielmehr geht es darum, einer begrenzten Zahl von extrem arbeitsmarktfernen Personen zumindest zeitweise den Zugang zum Erwerbsleben zu ermöglichen, wobei mit der Zeit immer wieder andere Personen zum Zuge kommen sollten. Zur Wahl steht also diese Möglichkeit auch zukünftig beizubehalten oder aber der Rückfall in einen Zustand, der zur Recht dafür kritisiert wurde, dass es kein adäquates Förderangebot für besonders arbeitsmarktferne Leistungsberechtigte gab. Inwieweit sich diese Investition amortisiert, ist vor allem gesellschaftlich und nicht rein finanziell zu bewerten.
Wolff: Inwieweit sich Investitionen in den Sozialen Arbeitsmarkt amortisieren, ist vor allem gesellschaftlich und nicht rein finanziell zu bewerten.
Peter Kupka: Wir betrachten die Grundsicherung nicht als rein arbeitsmarktpolitisches, sondern zugleich als sozialpolitisches Gesetz. Dem Aspekt der Schaffung sozialer Teilhabe, die auch als Ziel im Gesetz verankert ist, kommt in dem Instrument und damit auch bei der Evaluation ein wesentlicher Stellenwert zu. Die Umsetzung dieses Ziels, das wie gesagt einen gesellschaftlichen Wert darstellt, würde unter einer Kürzung der Eingliederungsleistungen erheblich leiden.
Promberger: Und soziale Teilhabe hört sich erstmal abstrakt an – doch es gehören so elementare Dinge dazu, wie Menschen außerhalb der eigenen Familie zu treffen, Kontakte zu knüpfen, auch im Betrieb, regelmäßig sinnvoll tätig zu sein und dafür einen Lohn zu bekommen. All das erlaubt einem, sich zugehörig und nicht als Außenseiter zu fühlen. Und Teilhabe am Arbeitsmarkt ist ein universaler Schlüssel dafür; ohne Arbeit ist soziale Teilhabe schwer herzustellen.
Welche Finanzierung wünschen sich die Jobcenter für die „Teilhabe am Arbeitsmarkt?
Kupka: Auch wenn die finanzielle Lage der Jobcenter, die wir befragt haben, teils sehr unterschiedlich ausfällt, betonen die Jobcenter, wie wichtig eine ausreichende und verlässliche Finanzierung des Instruments ist. Diese kann auch außerhalb des Eingliederungsbudgets liegen, damit die Finanzierung nicht in Konflikt mit anderen Eingliederungsleistungen gerät. In unserer Studie konnten wir beobachten, dass Jobcenter sich mit der Förderung teilweise zurückgehalten haben, weil sie die langfristige Mittelbindung als problematisch ansahen. Die aktuelle Diskussion scheint ihnen Recht zu geben.
Kupka: Jobcenter haben sich mit der Förderung teilweise zurückgehalten, weil sie die langfristige Mittelbindung als problematisch ansahen.
Promberger: Insgesamt ist das Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ also genau am richtigen Platz. Wir sehen, dass die Jobcenter gut damit umgehen können und es für ein passendes Instrument halten. Wir sehen, dass die Förderbeschäftigung genau die Personen erreicht, für die sie gedacht ist – Menschen, deren letzte Erwerbstätigkeit schon so lange her ist, dass sie nur schwer in den Arbeitsmarkt zurückkommen. Wir sehen auch, dass sich mindestens während, oft auch nach der Maßnahme die Teilhabe der Betroffenen positiv entwickelt; manche schaffen sogar wieder den Sprung auf einen ungeförderten Job, andere fühlen sich schlicht besser und als nützlicher Teil der Gesellschaft durch Erwerbsbeteiligung, neue Kontakte und Erfahrungen, einen Lohn. Die Kürzung der Eingliederungsbudgets würde hier Risiken gesellschaftlicher Desintegration erhöhen, die in den letzten Jahren ohnehin bereits angewachsen sind.
Gellermann: So gewendet, wäre es der Einschnitt bei einem Programm, das sich auch gegen die Vererbung sozialer Ungleichheit richtet.
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20220726.03
Autoren:
- Martin Schludi