„Acht Jahre lang hatte ich einen der besten Jobs aller Zeiten“, stellt Petra Wagner gleich zu Beginn des Gesprächs klar und wirkt dabei ein bisschen nostalgisch. „Ich war Gleichstellungsbeauftragte by heart und aus voller Überzeugung.“
Als der Wasserkocher piept, füllt sie zwei Tassen mit heißem Wasser und bietet eine Auswahl an Bio-Tees an, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Außerdem hat sie in ihrem hellen, großzügigen Büro, das sie in wenigen Tagen abgeben wird, einen runden Tisch mit vier Stühlen, die zum Gespräch einladen. Eine Schale voller Süßigkeiten steht bereit – und irgendwo wartet bestimmt auch eine Packung Taschentücher, falls nötig. Doch vor allem hat Petra Wagner eine große Portion Kampfgeist für alle, die ihre Unterstützung und ihren Rat suchen.
Angefangen hat Petra Wagner im IAB einst als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Bibliothek. Als Soziologin und Mutter einer Tochter war das Thema Frauenerwerbstätigkeit mit all seinen Facetten immer schon ihr Steckenpferd. Sie betreute im IAB die Dokumentation der zugehörigen Fachpublikationen und erarbeitete sich aus ganz persönlichem Interesse eine breite Expertise dazu.
Einige Jahre engagierte sie sich im Personalrat des IAB. 2016 entschied sie sich, für das Amt der Gleichstellungsbeauftragten zu kandidieren. „Das war für mich ein folgerichtiger Schritt“, sagt Petra Wagner. Ein weiteres Mal stellte sie sich 2020 zur Wahl auf, beide Male gemeinsam mit ihrer Stellvertreterin und langjährigen engen Kollegin Susanne Kohaut.
„Die Gleichstellung am Arbeitsmarkt ist noch längst nicht Realität“
„Das Bundesgleichstellungsgesetz verpflichtet alle Dienststellen des Bundes, Gleichstellungsbeauftragte zu bestellen“, erklärt Petra Wagner. „Unsere Aufgabe ist es, in unseren Organisationen eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, insbesondere von Frauen, zu verhindern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.“
Zwar klingt es für die meisten Menschen inzwischen selbstverständlich, dass Frauen und Männer in Deutschland gleichberechtigt sind, doch die Gleichstellung ist längst nicht immer Realität. „Gerade wir im IAB kennen die Statistiken und wissen, dass es auf dem Arbeitsmarkt immer noch anders aussieht. Es gibt die gläserne Decke bei Führungskräften, es gibt den Gender Pay Gap und vielerorts herrschen noch alte Rollenbilder vor.“
Petra Wagner ist deshalb überzeugt, dass es im Kampf für Geschlechtergerechtigkeit und Familienfreundlichkeit weiterhin viel zu tun gibt – in manchen Bereichen sogar noch mehr als vor einigen Jahren. Dabei betont sie, dass beides am IAB bereits einen hohen Stellenwert genießt. „Im Institut herrscht zu diesen Themen eine sehr konstruktive Gesprächskultur“, lobt sie. Das Portfolio an Unterstützungsmaßnahmen für Frauen sei breit, es gebe etwa ein Mentoring-Programm für junge Frauen und Möglichkeiten zum Führen in Teilzeit.
„Auch bei den Beschäftigtenzahlen sind wir auf einem guten Weg.“ Im Verwaltungspersonal waren weibliche Mitarbeitende am IAB schon immer leicht in der Mehrheit. Doch nun stellen Frauen auch unter den Forschenden einen immer größeren Anteil – inzwischen fast fünfzig Prozent. „Von den Führungskräften mit Personalverantwortung sind jetzt knapp 40 Prozent Frauen“, erläutert Petra Wagner. „Dies liegt auch daran, dass dieses Thema der Institutsleitung ein Anliegen ist.“
Insgesamt stellt sie der Führungsriege des IAB ein gutes Zeugnis aus. „Mit meinen Themen rannte ich bei ihnen normalerweise offene Türen ein. Meist ging es weniger darum, ob Maßnahmen nötig sind, nur über das Wie diskutierten wir. Von anderen Gleichstellungsbeauftragen weiß ich, dass das keinesfalls selbstverständlich ist.“
Jede Woche tauschte Petra Wagner sich in einem Treffen mit der Institutsleitung und der Personalabteilung über Personalthemen aus. Außerdem war sie über die Jahre hinweg bei einer Vielzahl von Vorstellungsgesprächen am IAB dabei, um dort auf Geschlechtergerechtigkeit zu achten. Auch jeder Personalfall, der dem Personalrat vorgelegt wird, ging über ihren Schreibtisch. Ihre Stellvertreterin nahm bei der Auswahl der Promotionsstipendiat*innen und Tenure Track-Kandidat*innen teil, dem hausinternen Verfahren zur Entfristung für promovierte Forschende.
Sie konnte selbst entscheiden, wo sie sich einbringt
Als Gleichstellungsbeauftragte hat Petra Wagner keine Vorgesetzten, die ihr Weisungen erteilen könnten, und das sei auch gut so, betont sie: „Die Selbstwirksamkeit ist das Beste an dem Job. Deine Arbeit kann einen Unterschied machen. Das hat mich angetrieben.“ Sie bleibt dabei auch selbstkritisch. „Eine Person allein kann nicht alle Themen abdecken. Selbst mit Susanne als Stellvertreterin und überaus wichtiger Unterstützerin galt für mich: Ich musste immer Prioritäten setzen, Entscheidungen treffen, wo ich mich einbringe.“
Um herauszufinden, wo ihre Arbeit am dringendsten nötig war, wartete sie deshalb nicht nur, bis jemand auf sie zukam. Sie ging selbst auf die Mitarbeitenden des IAB zu. So stieß sie auf ein Thema, das insbesondere der jüngeren Generation ein Anliegen ist: Diversität sichtbar zu machen, vor allem auch über die Sprache. „Wenn wir etwa von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern reden, meinen wir Frauen und Männer. Doch die geschlechtliche Vielfalt reicht darüber hinaus. An diesem Punkt müssen alle von uns für sich selbst entscheiden: Wollen wir alle mit meinen – oder eben nicht?“
Sie sah es als Aufgabe ihres Amtes, auch dieses Thema voranzubringen. So initiierte sie einen Diskurs im IAB zur geschlechtergerechten Sprache mit umfassender Diskussion und breiter Berücksichtigung der Meinungsvielfalt unter den Mitarbeitenden, an dessen Ende ein interner Leitfaden verabschiedet wurde. „Dieser Leitfaden zeigt auf, welche Möglichkeiten ich habe, wenn ich inklusiv formulieren will“, sagt sie. „Er gibt Orientierung, ist jedoch nicht verbindlich.“ Das IAB lässt etwa Genderzeichen zu, empfiehlt allerdings neutrale Formulierungen.
Neben den Gesprächen im Institut nahm sie auch an den Führungskräfterunden teil, um Themen aufzuspüren und „ihren Senf dazuzugeben“, wie sie sagt, wenn zum Beispiel organisatorische Änderungen diskutiert wurden.
Aktuell steht im IAB etwa die Umsetzung von Desk-Sharing an: Künftig werden viele Mitarbeitende flexibel die vorhandenen Schreibtische und offene Büros nutzen. Petra Wagners Anliegen ist dabei, dass Teilzeitkräfte nicht benachteiligt werden. „Teilzeitkräfte sind meistens Frauen“, sagt sie. „Das liegt daran, dass sie oft zu Hause den Hauptteil der Betreuungsaufgaben stemmen – und vielleicht morgens erstmal die Kinder zur Kita bringen müssen, bevor sie es ins Büro schaffen, um sich dort einen Platz zu suchen.“
Das bringt sie neben der Gleichstellung der Geschlechter zum zweiten wichtigen Aufgabenfeld einer Gleichstellungbeauftragten: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Immer wieder hatte sie im Lauf der Jahre schwangere Forscherinnen in ihrem Büro sitzen, die vertraulich Petra Wagners Rat wegen Karrieresorgen suchten. Einige steckten mitten in der Promotion, die meisten waren von befristeten Arbeitsverträgen betroffen, wie sie in der Wissenschaft üblich sind. Aber es kamen auch junge Väter, die Anliegen zu ihren Elternzeiten hatten. Und Frauen wie Männer, die sich Gedanken darüber machten, wie sie die Pflege von Angehörigen und ihre berufliche Tätigkeit unter einen Hut bringen können.
Die Pandemie war ein Rückschlag
Die Pandemie war ein Rückschlag für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Lockdowns erwischten die ganze Welt kalt. „Als Forschungsinstitut war für uns das Thema Homeoffice zwar keine so große Hürde wie für andere“, erinnert sich Petra Wagner. „Vor allem die Forschenden waren mit Mobilarbeit bereits vertraut. Doch dafür stellte sich uns ein ganz anderes Problem.“ Das hat mit der Art und Weise zu tun, wie die Wissenschaft arbeitet und Karrieren bewertet: orientiert am Output des Einzelnen, gezählt in referierten Vorträgen und wissenschaftlichen Publikationen.
„Besonders die jungen Mütter waren aber plötzlich von Betreuungspflichten aufgrund der Schul- und Kitaschließungen und Kontaktverbote betroffen. Darunter litt ihre wissenschaftliche Produktivität enorm“, erzählt Petra Wagner. „Gleichzeitig konnten andere IAB-Kollegen aufgrund der wegfallenden Konferenzen und anderer Verpflichtungen so viel forschen und publizieren wie nie.“ Gerade bei befristeten Arbeitsverträgen, bei Promotionsvorhaben oder im hausinternen Tenure-Track-Verfahren habe das nicht nur berechtigte Karrieresorgen geschürt, sondern auch Existenzängste. Eltern und Nachwuchswissenschaftler*innen kamen zu Petra Wagner und suchten Hilfe.
Dem intensiven Engagement der Gleichstellungsbeauftragten ist es zu verdanken, dass das IAB damals nicht nur sehr frühzeitig erkannte, wie die Schere zwischen den Beschäftigten auseinander ging, sondern auch, welche Karriererisiken in Einzelfällen drohten. Petra Wagner kämpfte dafür, dass den Betroffenen wissenschaftliche Hilfskräfte an die Seite gestellt wurden, dass Fristen großzügig verlängert und Homeoffice-Regelungen flexibel gehandhabt wurden. „Wir versuchten, so viel Entlastung und Unterstützung zu schaffen wie möglich.“
Sie betont, dass es dabei nicht nur darum ging, die aktuellen Notlagen aufzufangen, sondern auch darum, ein Auge auf die weiteren Entwicklungen zu haben. „Meine größte Sorge war, dass sich die Nachteile, die Frauen in dieser frühen Phase ihrer akademischen Karriere erfuhren, nachhaltig negativ auf ihre Karriere auswirken.“
Eine Sorge, die nicht unberechtigt war. Internationale Studien zeigen inzwischen, wie sich die Pandemie bis heute auf die Wissenschaftslandschaft auswirkt: Nicht nur der „Gender Publication Gap“ sei größer geworden. In einigen Bereichen ist auch der Anteil der männlichen Wissenschaftler in Führungspositionen an Universitäten und Forschungsinstituten wieder gestiegen.
Dank der schnellen Maßnahmen sieht Petra Wagner die Gleichstellung am IAB durch die Pandemie nicht nachhaltig zurückgeworfen. Die Institutsleitung und die nächste Gleichstellungsbeauftragte werden das Thema weiter im Blick behalten, hofft sie.
#MeToo in der Wissenschaft
Ein zweites Thema, das von außen auf das IAB zurollte und in ihrer Amtszeit aufschlug, war die #MeToo-Debatte. Unter diesem Hashtag begannen Betroffene 2017 in den sozialen Medien, Fälle von sexuellen Übergriffen, Missbrauch und Diskriminierung in der Filmbranche öffentlich zu machen. Die Debatte kulminierte in einer umfangreichen Auseinandersetzung mit solchen Vorfällen in vielen anderen Bereichen – auch in der Wissenschaft. In der Ökonomie startete die Debatte, als die American Economic Association, eine der größten Vereinigungen von Wirtschaftswissenschaftler*innen auf der Welt, hunderte Fälle öffentlich machte.
„Diese längst überfällige Diskussion schwappte aus der USA auf die deutsche Ökonomie über, auf Hochschulen und Forschungsinstitute“, erläutert Petra Wagner. Dieses Thema geht ihr nahe, das spürt man. Doch schon immer war sie unerschrocken darin, im IAB sensible Themen anzusprechen und Diskussionen anzustoßen – selbst, wenn sie weh tun.
„Es geht um Sensibilisierung und Prävention“, sagt sie. „Gerade die Führungskräfte müssen sich bewusst sein, welche Hierarchien und Abhängigkeiten in der Wissenschaft herrschen, und dass es in ihrer Verantwortung liegt, Diskriminierung oder Belästigung zu verhindern. Aber auch alle anderen müssen hinsehen statt wegsehen.“ Das gelte insbesondere für Konferenzen, bei denen in relativer Anonymität viele Personen aufeinanderträfen.
Aktuell entwickeln die Institutsleitung und die Personalabteilung einen Strauß von Maßnahmen und Gesprächsangeboten – seien es Workshops oder die Bildung von sogenannten Awareness-Teams, die bei Veranstaltungen als geschulte Ansprechpersonen dienen, um gegen Diskriminierung oder bei übergriffigem Verhalten einzuschreiten.
„In meine Amtszeit fiel es, auf dieses Thema aufmerksam zu machen und ihm im IAB ein breites Podium zu geben“, sagt Petra Wagner. „Die Umsetzung der Maßnahmen zu begleiten, das wird Aufgabe meiner Nachfolgerin sein.“ Fast klingt sie dabei, als fiele es ihr schwer, loszulassen.
Doch sie sagt, es ist der richtige Schritt, jetzt das Amt zu übergeben. „Acht Jahre sind ein perfekter Zeitraum“, findet sie. „In acht Jahren habe ich gelernt, wie der Hase läuft, habe mir längerfristige Ziele setzen können und ein paar Dinge vorangebracht. Jetzt ist es an der Zeit, dass die nächste Generation übernimmt, die wieder andere Themen und andere Herangehensweisen hat.“
Neue Herausforderungen
Die nächsten Jahre werden für ihre Nachfolgerin weitere Herausforderungen bereithalten, davon ist sie überzeugt. „Wir steuern in der Wissenschaft in einen Fachkräftemangel hinein. Schon allein deshalb ist es wichtig, dass wir jungen Frauen attraktive Angebote machen und noch familienfreundlicher werden“, sagt Petra Wagner. „Das IAB muss sich mit seinen Jobperspektiven keinesfalls verstecken. Besonders wenn es um Entfristungen geht, um die es in der restlichen Wissenschaftslandschaft in Deutschland nach wie vor schlecht bestellt ist.“
Sie selbst kehrt in den Bereich Informationsmanagement und Bibliothek zurück, eine Aufgabe, der sie mit Vorfreude entgegensieht. „Vor allem auf meine Kolleginnen und Kollegen freue ich mich“, sagt sie. „Auch wenn die Zeit mit ihnen begrenzt ist.“
Noch zwei Jahre hat Petra Wagner bis zur Rente. Wird sie sich im Ruhestand nicht langweilen? „Ach was.“ Sie zwinkert verschmitzt. „Nur weil ich nicht mehr arbeite, werde ich ja nicht inaktiv.“ Auf die Frage nach Hobbys, die sie dann ausüben könnte, ist sie allerdings das erste Mal im ganzen Gespräch sprachlos. Dann lacht sie laut auf. „Was für eine Frage. Mein Hobby ist und bleibt die Gleichstellung.“
Denn auch in ihrer freien Zeit ist sie frauenpolitisch engagiert. Kürzlich wurde sie in den Vorstand von „erfolgsfaktor FRAU e. V.“ gewählt. Der bundesweit auftretende Verein kämpft für mehr Frauen in Fach- und Führungspositionen und klärt auf über geschlechterstereotype Denkweisen. Petra Wagner setzt sich dort seit einigen Monaten auch gegen frauenfeindliche Aussagen rechtsextremer Parteien ein, mit der Initiative „Frauen gegen RechtsX“. Das Thema brennt ihr aktuell enorm unter den Nägeln, wie sie sagt. „Gleichstellung braucht Demokratie! Wir müssen aufpassen, dass unsere Gesellschaft nicht einen Schritt zurück macht.“
Sie selbst ist keine, die viel zurückblickt, sondern immer nach vorne. Mit ihrer Nachfolgerin Nicoleta Socaciu tauscht sie sich aktuell zwar noch aus, um ihr die nötigen Informationen zu übergeben und auch ein paar Ratschläge – die Nicoleta aber gar nicht brauche, wie Petra Wagner betont. „Sie wird den breiten Spielraum des Amtes mit ihren eigenen tollen Ideen füllen.“ Sie lächelt zuversichtlich.
Petra Wagner wäre eben nicht Petra Wagner, wenn sie nicht anderen Frauen die gleiche Stärke zutraut wie sich selbst.
Autoren:
- Christiane Keitel