6. Dezember 2024 | Serie „Evaluation von Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik“
Gründungszuschuss: Potenzielle Mitnahmeeffekte sind deutlich geringer als angenommen
Im Sozialgesetzbuch (SGB) sind verschiedene finanzielle Fördermöglichkeiten für Arbeitslose, die sich selbstständig machen wollen, vorgesehen. Für arbeitslose Bürgergeldempfänger im Rechtskreis des SGB II gibt es beispielsweise das Einstiegsgeld für Selbstständige, das den Übergang in eine selbstständige Tätigkeit finanziell fördert (lesen Sie dazu auch den IAB-Kurzbericht 27/2013 von Stefan Bernhard und anderen). Im Folgenden liegt der Fokus jedoch auf dem Gründungszuschuss: Er ist seit 2007 die einzige Möglichkeit im Rechtskreis des SGB III, die Gründung eines eigenen Unternehmens aus dem Arbeitslosengeldbezug zu fördern.
Zum Jahresende 2011 wurde der Gründungszuschuss grundlegend reformiert. Seitdem erhalten Geförderte finanzielle Unterstützung von der Arbeitsagentur für mindestens sechs Monate in Höhe ihres vorherigen Arbeitslosengeldes sowie eine Pauschale von 300 Euro pro Monat, die für die soziale Absicherung der Geförderten gedacht ist. Sind sie auch nach sechs Monaten noch selbstständig und besteht weiterhin Unterstützungsbedarf, kann ein Antrag auf Weiterförderung in Höhe von 300 Euro für weitere neun Monate gestellt werden.
Die Evaluationsliteratur zeigt insgesamt eine hohe Wirksamkeit der Förderung mit einem Gründungszuschuss auf die Erwerbstätigkeit und auf das Einkommen der Geförderten, so zum Beispiel die Studie von Marco Caliendo und Stefan Tübbicke aus dem Jahr 2020.
Ein bislang weniger beachtetes Thema in diesem Kontext sind sogenannte Mitnahmeeffekte. Diese liegen vor, wenn geförderte Personen auch ohne finanzielle Unterstützung ein Unternehmen gegründet hätten. Streng genommen handelt es sich nach einer Studie von Marco Caliendo und anderen aus dem Jahr 2015 allerdings erst dann um wirkliche Mitnahmeeffekte, wenn die Personen auch ohne Förderung gegründet hätten und die Förderung keinen Effekt auf den Erfolg der Gründung gehabt hätte.
In der politischen Debatte wird dieser zweite Aspekt oft übergangen und ausschließlich auf die erste Dimension abgestellt. So zeigen Auswertungen von Befragungsdaten durch Stefan Bernhard und andere aus dem Jahr 2015, dass etwa 57 Prozent der mit den Gründungszuschuss Geförderten angeben, dass sie höchstwahrscheinlich auch ohne die Förderung gegründet hätten. Weil dabei ein potenzieller Effekt auf den Erfolg der Gründung unberücksichtigt bleibt, wird hier oft von potenziellen Mitnahmeeffekten gesprochen.
Darüber hinaus gibt es bei solchen Auswertungen ein weiteres Problem: Die retrospektive Befragung der Geförderten nach der Gründung führt womöglich zu einer Verzerrung, da Personen im Nachgang einer erfolgreichen Gründung möglicherweise die Rolle der Förderung unterschätzen und ihren eigenen Anteil am Erfolg der Gründung überschätzen.
Deshalb wird in der hier vorgestellten Studie die Größenordnung potenzieller Mitnahmeeffekte mithilfe der Reform des Gründungszuschusses zum Jahresende 2011 ermittelt. Dies geschieht auf Basis von Paneldaten auf Arbeitsagenturebene für die Jahre 2009 bis 2014 (für weitergehende Informationen siehe Infokasten „Daten und Methoden“ oder die 2024 veröffentlichte Studie von Stefan Tübbicke).
Die Reform hat die Eintrittszahlen in den Gründungszuschuss drastisch reduziert
Außer einer moderaten Absenkung der effektiven Förderhöhe und der Anhebung der benötigten Restanspruchsdauer auf Arbeitslosengeld zum Antragszeitpunkt war die Umwandlung des Gründungszuschusses von einer Pflicht- in eine Ermessensleistung die wohl größte und wichtigste Änderung. Diese hat bewirkt, dass 2012 – also im Jahr nach der Reform – ein Großteil der Anträge auf den Gründungszuschuss abgelehnt wurde. Dies erfolgte meist mit Verweis auf den Vermittlungsvorrang in abhängige Beschäftigung, wie Stefan Bernhard, Katalin Evers und Michael Grüttner in ihrer Studie aus dem Jahr 2015 zeigen. Die Eintrittszahlen in den Gründungszuschuss sind infolgedessen im Zuge der Reform drastisch zurückgegangen und seitdem kaum wieder gestiegen.
Abbildung 1 zeigt in der ersten Grafik (Abbildung 1a) die Eintrittsrate in mittels Gründungszuschuss geförderte Selbstständigkeit im Zeitverlauf. In der zweiten Grafik (Abbildung 1b) wird die Übergangsrate von Arbeitslosigkeit in Selbstständigkeit insgesamt dargestellt – also unabhängig davon, ob sie mit dem Gründungszuschuss gefördert wurde oder nicht.
Beide Grafiken unterscheiden zwischen zwei Gruppen von Arbeitsagenturbezirken: Arbeitsagenturen in der ersten Gruppe hatten vor der Reform relativ hohe Ausgaben für den Gründungszuschuss bezogen auf die Zahl der Arbeitslosen im SGB III. Bei der zweiten Gruppe waren die Ausgaben hierfür dagegen relativ gering. Für die Zuordnung zu den beiden Gruppen wurde der Median der Ausgaben pro Arbeitslosen in den jeweiligen Arbeitsagenturen im Jahr 2010 genutzt.
Die Ergebnisse sprechen eine klare Sprache: Bei denjenigen Arbeitsagenturen, die vor der Reform relativ hohe Ausgaben für die Förderung mittels Gründungszuschuss hatten, gehen die Eintrittszahlen deutlich stärker zurück als bei Arbeitsagenturen, deren Ausgaben hierfür vor der Reform relativ niedrig waren (siehe Abbildung 1a). Ähnlich sieht es für die Übergangsraten in Selbstständigkeit insgesamt aus, auch wenn hier der Unterschied im Rückgang zwischen den beiden Gruppen an Arbeitsagenturen etwas kleiner ausfällt (siehe Abbildung 1b).
Diese Beobachtung liefert bereits starke Hinweise darauf, dass es höchstwahrscheinlich potenzielle Mitnahmeeffekte gibt: Würden diese keine Rolle spielen, müsste die Differenz im Rückgang der Eintrittsraten in den Gründungszuschuss in etwa der Differenz im Rückgang der Übergangsraten in Selbstständigkeit insgesamt entsprechen. Ansonsten finden manche Übergänge, die ohne die Reform gefördert worden wären, jetzt ungefördert statt.
Dies spricht dafür, dass ein gewisser Anteil an Gründungen aus Arbeitslosigkeit auch ohne Förderung stattgefunden hätte. Dies gilt zumindest dann, wenn die Reform keine weiteren Effekte auf die Politik der Arbeitsagenturen hinsichtlich der Aufnahme einer Selbstständigkeit aufweist. Solche Effekte können beispielsweise entstehen, wenn Agenturen, die besonders von der Reform des Gründungszuschusses betroffen waren, stattdessen auf Maßnahmen zur Heranführung an eine selbstständige Tätigkeit setzen. Da die Eintrittszahlen in solche Maßnahmen im SGB III nur einen Bruchteil der Eintrittszahlen in den Gründungszuschuss ausmachen, erscheinen größere Verzerrungen solcher Art allerdings unwahrscheinlich.
Ähnliches gilt für Effekte auf verstärkte Vermittlungsbemühungen der Integrationsfachkräfte bezüglich der Aufnahme einer ungeförderten Selbstständigkeit. Aus Befragungsdaten zur Reform des Gründungszuschusses wissen wir, dass nur etwa 10 Prozent der Gründerinnen und Gründer aus Arbeitslosigkeit angeben, dass ihnen von der Arbeitsagentur oder der Industrie- und Handelskammer zu einer Gründung geraten wurde. Deshalb erscheint auch hier eine größere Verzerrung durch weitere, potenziell unbeobachtete Reformeffekte auf die ermittelten Mitnahmeeffekte unwahrscheinlich.
Potenzielle Mitnahmeeffekte können erstmals valide und ohne Zuhilfenahme von Befragungsdaten ermittelt werden
Die Relation zwischen den Reformeffekten auf die Übergangsrate in Selbstständigkeit und den Reformeffekten auf die Eintrittsraten in den Gründungszuschuss liefert Evidenz dafür, wie hoch potenzielle Mitnahmeeffekte tatsächlich sind (zur Berechnung siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Ist zum Beispiel der Reformeffekt auf die Eintritte in Selbstständigkeit insgesamt nur halb so groß wie der Effekt auf die Eintritte in den Gründungszuschuss, spricht dies für einen Anteil an potenziellen Mitnahmen in Höhe von 50 Prozent.
Hier wurden potenzielle Mitnahmen für zwei verschiedene Spezifikationen ermittelt: Die erste Spezifikation kontrolliert lediglich für zeitkonstante Unterschiede zwischen Arbeitsagenturen sowie für deutschlandweite Trends über die Zeit. Die zweite Spezifikation nutzt zusätzliche Kontrollvariablen wie die Bevölkerungsdichte oder den Gewerbesteuerhebesatz, da diese einen deutlichen Einfluss auf das Gründungsgeschehen im jeweiligen Arbeitsagenturbezirk haben können und somit die Schätzergebnisse noch robuster und präziser machen.
Die hier präsentierten Schätzwerte liefern Hinweise dafür, dass potenzielle Mitnahmeeffekte deutlich kleiner sind, als die Befragungsdaten nahelegen: Laut der ersten Spezifikation handelt es sich bei 42 Prozent aller mit Gründungszuschuss geförderten Gründungen um potenzielle Mitnahmen. Die zweite und aufgrund ihrer höheren Präzision präferierte Spezifikation weist noch geringere potenzielle Mitnahmeeffekte von 24 Prozent aus (die Effekte sind alle statistisch signifikant auf dem 1-Prozent-Niveau).
Legt man den Schätzwert mit Kontrollvariablen zugrunde, dann ist der tatsächliche Umfang von potenziellen Mitnahmen um fast 60 Prozent niedriger, als die Auswertungen von retrospektiven Befragungsdaten suggerieren.
Fazit
Mithilfe des natürlichen Experiments der Reform des Gründungszuschusses zum Jahresende 2011 können potenzielle Mitnahmeeffekte erstmals valide und ohne die Zuhilfenahme von Befragungsdaten ermittelt werden. Die Ergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache: Die Gefahr potenzieller Mitnahmen bei der Förderung von SGB-III-Arbeitslosen mit einem Gründungzuschuss ist in Wirklichkeit wesentlich kleiner, als die Retrospektivbefragung von Geförderten nahelegt.
Zudem bestätigen die Ergebnisse, dass der Gründungszuschuss deutliche Wirkungen auf das Gründungsgeschehen aus Arbeitslosigkeit hat: Die überwiegende Mehrheit dieser Gründungen hätte nicht stattgefunden, wenn es diese Förderung nicht geben würde. Daher ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung in ihrem geplanten SGB-III-Modernisierungsgesetz Maßnahmen vorsieht, um den Gründungszuschuss wieder attraktiver zu machen.
Daten und Methoden
Die vorliegende Analyse basiert auf jährlichen regionalen Paneldaten auf Ebene der 156 Arbeitsagenturbezirke in Deutschland. Die Daten enthalten sowohl Informationen zu den Übergangsraten von Arbeitslosen im Rechtskreis SGB III in eine Selbstständigkeit, die mit dem Gründungszuschuss gefördert wurde, als auch zu Übergangsraten in geförderte oder ungeförderte Selbstständigkeit insgesamt.
Übergangsraten werden hier definiert als Zahl der Übertritte pro 1.000 Arbeitslose im SGB III. Diese Daten stammen von der Statistik der Bundesagentur für Arbeit und umfassen die Jahre 2009 bis 2014. Sie werden angereichert mit Informationen zur Bevölkerungsdichte, dem Pro-Kopf-Einkommen, dem Gewerbesteuersatz sowie dem Anteil folgender Gruppen am Bestand der Arbeitslosen insgesamt: Langzeitarbeitslose, unter 25-Jährige, über 55-Jährige, Frauen, Personen ohne eine Berufsausbildung oder Studium sowie Migranten.
Für die Analyse wird ein Differenzen-von-Differenzen-Ansatz verwendet. Hierbei werden besonders betroffene Arbeitsagenturbezirke, also Regionen, die vor der Reform des Gründungszuschusses relativ hohe Ausgaben pro potenziell förderberechtigter Person hatten, verglichen mit weniger betroffenen Bezirken, also Regionen mit relativ geringen Ausgaben für diese Förderung. Schätzwerte der Reformeffekte werden mittels Panel-Regressionen mit fixen Effekten für Arbeitsagenturen und Jahre ermittelt.
Eine erweiterte Spezifikation enthält ebenfalls die oben genannten Kontrollvariablen. Verschiedene Sensitivitätschecks, unter anderem die Kontrolle für arbeitsagenturspezifische lineare beziehungsweise quadratische Trends, liefern sehr ähnliche Schätzergebnisse zu den hier präsentierten Resultaten.
Für die Ermittlung der Mitnahmeeffekte werden die Reformeffekte auf die Eintrittsraten in Selbstständigkeit insgesamt mit den Reformeffekten auf die Eintrittsraten in den Gründungszuschuss ins Verhältnis gesetzt. Subtrahiert man diesen Quotienten von Eins, erhält man einen Schätzwert für die Größenordnung der Mitnahmeeffekte.
In aller Kürze
- Der Gründungszuschuss bietet finanzielle Unterstützung für Personen, die sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig machen wollen.
- Wirkungsanalysen zeigen hohe positive Fördereffekte auf die Beschäftigung und das Erwerbseinkommen der geförderten Gründerinnen und Gründer.
- Eine Reform des Gründungszuschusses Ende 2011 führte zu einer drastischen, dabei aber regional sehr unterschiedlichen Reduktion der Förderzahlen. Die hier präsentierte Studie nutzt dieses natürliche Experiment, um potenzielle Mitnahmeeffekte zu ermitteln.
- Potenzielle Mitnahmen liegen dann vor, wenn Gründer oder Gründerinnen auch ohne die Förderung gegründet hätten. Für solche Gründungen besteht ein Mitnahmerisiko, allerdings handelt es sich nur dann um tatsächliche Mitnahmen, wenn die Förderung auch keinen Einfluss auf den Erfolg der Gründung hatte.
- Die Ergebnisse zeigen, dass das Risiko von Mitnahmen um bis zu 60 Prozent kleiner ist, als durch die retrospektive Befragung von Geförderten suggeriert wird.
- Der Gründungszuschuss hat somit einen beachtlichen Einfluss auf das Gründungsgeschehen aus Arbeitslosigkeit.
Literatur
Bernhard, Stefan; Evers, Katalin; Grüttner, Michael (2015): Der Gründungszuschuss nach seiner gesetzlichen Neuregelung: Die Folgen des Kurswechsels. IAB-Kurzbericht Nr. 21.
Bernhard, Stefan; Pongratz, Hans; Wolff, Joachim (2013): Einstiegsgeld im SGB II: Wie Jobcenter Gründungen fördern. IAB-Kurzbericht Nr. 27.
Bundesregierung (2024): Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung.
Caliendo, Marco; Hogenacker, Jens; Künn, Steffen; Wießner, Frank (2015): Subsidized start-ups out of unemployment: a comparison to regular business start-ups. Small Business Economics, 45, S. 165–190.
Caliendo, Marco; Tübbicke, Stefan (2020): New evidence on long-term effects of start-up subsidies: Matching estimates and their robustness. Empirical Economics, 59, S. 1605–1631.
Tübbicke, Stefan (2024): Money for nothing? Evidence on the effects of start-up subsidies on transitions from unemployment to self-employment. Economics Letters, 235, 111539.
Bild: Stockfotos-MG/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20241206.01
Tübbicke, Stefan (2024): Gründungszuschuss: Potenzielle Mitnahmeeffekte sind deutlich geringer als angenommen, In: IAB-Forum 6. Dezember 2024, https://www.iab-forum.de/gruendungszuschuss-potenzielle-mitnahmeeffekte-sind-deutlich-geringer-als-angenommen/, Abrufdatum: 12. December 2024
Diese Publikation ist unter folgender Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Autoren:
- Stefan Tübbicke