9. April 2021 | Arbeitsmarktpolitik
IAB-Prognose 2021: Arbeitsmarkt auf dem Weg aus der Krise
Anja Bauer , Johann Fuchs , Hermann Gartner , Markus Hummel , Christian Hutter , Susanne Wanger , Enzo Weber , Gerd Zika
Die Covid-19-Pandemie hat im vergangenen Jahr deutliche Spuren in der deutschen Wirtschaft hinterlassen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) brach um 4,9 Prozent ein. Auch im Jahr 2021 bestimmt die Pandemie das Wirtschaftsgeschehen. Das BIP wird aber wieder zulegen. Dazu tragen die Aussicht auf eine breitere Verfügbarkeit der Impfstoffe und eine effektivere Teststrategie, die dadurch möglichen Lockerungen sowie die kräftige Entwicklung der Industriekonjunktur bei. Das Vorkrisenniveau wird voraussichtlich Ende dieses Jahres wieder erreicht werden. Insgesamt erwarten wir für das Jahr 2021 einen Anstieg des BIP um 3,4 Prozent. Die Prognoseunsicherheit liegt dabei in einem Intervall von ±0,9 Prozentpunkten.
Wirtschaftliche Erholung ist in Sicht
Die Einschätzungen zur Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt in dieser Prognose können nur unter Annahmen getroffen werden. Wir gehen davon aus, dass es 2021 nach einem Einbruch in den ersten Monaten zu einem ähnlichen Aufwärtstrend kommen wird wie im vergangenen Jahr. Da das BIP infolge des Lockdowns über den Winter weniger stark gesunken ist, fällt die Gegenbewegung dementsprechend schwächer aus. Dank der Impfbemühungen wird die Erholung aber länger anhalten, wenngleich sie sich abflacht. Zuvor ist aufgrund des zunehmenden Infektionsgeschehens aber weiterhin mit restriktiven Maßnahmen zu rechnen.
Im Detail nehmen wir an, dass die Einschränkungen durch den Lockdown, mit Ausnahme der ersten beiden Öffnungsschritte etwa für körpernahe Dienstleistungen und Teile des Einzelhandels, bis Mitte Mai gelten werden. Danach werden die Einschränkungen wieder gelockert. Da die Bundesregierung damit rechnet, dass bis zum Herbst dieses Jahres ein signifikanter Teil der Bevölkerung geimpft sein wird, erwarten wir ab Oktober keine wirtschaftlichen Beeinträchtigungen durch Corona-Schutzmaßnahmen. Branchen, die direkt im Zusammenhang mit dem Tourismus oder mit Großveranstaltungen stehen, werden dennoch weiterhin unter einem Rückgang der Nachfrage leiden.
Exporte, Investitionen und Konsum ziehen trotz Unsicherheiten wieder an
International litt der größte Teil der Volkswirtschaften 2020 unter einer Rezession. Die Welthandelsorganisation geht in ihrer Einschätzung von Oktober 2020 davon aus, dass der Welthandel im vergangenen Jahr um 9,2 Prozent einbrach und sich in diesem Jahr zwar deutlich, aber nicht vollständig erholen wird. Diese Entwicklung wird im deutschen Außenhandel sichtbar. Obwohl sich der Export zum Ende 2020 wieder deutlich besser entwickelte, sank er im vergangenen Jahr um 9,9 Prozent. Der Import nahm um 8,6 Prozent ab.
Die Exporterwartungen des Verarbeitenden Gewerbes trübten sich infolge der Krise massiv ein. Sie scheinen sich am aktuellen Rand allerdings auf einem höheren Niveau als vor der Krise einzupendeln und signalisieren damit einen optimistischeren Ausblick. Positiv wirken auch die globalen Impffortschritte, sodass sich der deutsche Außenhandel 2021 wieder spürbar erholen dürfte.
Bei den Investitionen ist die Lage weiterhin heterogen. Die Bruttoanlageinvestitionen sanken im vergangenen Jahr um 3,5 Prozent. Besonders die Investitionen in Ausrüstungen gingen mit 12,5 Prozent stark zurück. Die Bauinvestitionen legten hingegen um 1,5 Prozent zu. Die Kapazitätsauslastung stabilisierte sich im Jahresverlauf und könnte im ersten Quartal 2021 das Vorkrisenniveau erreichen. Trotz der bestehenden Unsicherheiten werden sich im Zuge der allgemeinen Belebung auch die Investitionen wieder etwas erholen.
Der Konsum ging 2020 insgesamt so stark wie noch nie zuvor zurück: Der private Konsum sank um 6,0 Prozent, der Staatskonsum hingegen wirkte mit einem Anstieg von 3,4 Prozent stabilisierend. Der seit Ende des vergangenen Jahres andauernde Lockdown führte in Bereichen wie Einzelhandel oder Gastronomie zu weiteren Verlusten. Das Konsumklima erfuhr ebenfalls einen erneuten Dämpfer.
Auch wenn Lockerungen in vielen Wirtschaftsbereichen absehbar sind, könnte sich die Nachfrage für bestimmte Wirtschaftsbereiche langfristig ändern. Hinzu kommt, dass in manchen Branchen nicht mit Nachholeffekten zu rechnen ist. Angesichts der staatlichen Einkommensstabilisierung und der gestiegenen Ersparnisse wird der Konsum 2021 mit eintretenden Lockerungen aber wieder anziehen.
Der Arbeitsmarkt ist auf dem Weg aus der Krise
Der plötzliche und gravierende Einbruch der Wirtschaftsleistung im Frühjahr 2020 setzte den Arbeitsmarkt massiv unter Druck. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit war zum größeren Teil direkt auf die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zurückzuführen. Wie Anja Bauer und Enzo Weber in einer 2020 veröffentlichten Studie dargelegt haben, resultierte dieser Anstieg sowohl aus zusätzlich beendeten Beschäftigungsverhältnissen als auch aus weniger Neueinstellungen. Die Zahl der Entlassungen blieb dennoch vergleichsweise begrenzt, die Beschäftigungszahlen stürzten nicht ins Bodenlose.
Im zweiten Lockdown konnten die Auswirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt bisher sogar noch deutlich besser eingedämmt werden. Das IAB-Arbeitsmarktbarometer zeigte früh eine stabile Arbeitsmarktentwicklung an. Dies ist im Vergleich zum Frühjahr 2020 vor allem auf die Erfahrungen im Umgang mit dem ersten Lockdown zurückzuführen. Die Aussicht darauf, dass die Pandemie mithilfe von Impfungen zeitnah in den Griff zu bekommen sein wird, wirkte sich zusätzlich positiv aus. Essenziell für die Entwicklung waren öffentliche Stützungsmaßnahmen wie insbesondere die Kurzarbeit.
Diese Entwicklung passt ins Bild eines deutlich stabiler gewordenen Arbeitsmarktes. Seit der Weltfinanzkrise im Jahr 2009 reagiert die Erwerbstätigkeit in Deutschland wesentlich robuster auf konjunkturelle Schwankungen als in den Zeiten davor. Das zeigen Sabine Klinger und Enzo Weber in einer 2020 publizierten Untersuchung. Da Fachkräfte am Arbeitsmarkt knapper geworden sind, versuchen viele Betriebe, ihre Beschäftigten auch in konjunkturellen Schwächephasen zu halten. Ein solches Horten von Arbeitskräften tritt üblicherweise gerade bei vorübergehenden und externen Schocks auf. Der plötzliche Corona-Einbruch ist dafür in großen Teilen ein typisches Beispiel.
Die enorme Wucht des wirtschaftlichen Schocks hat dennoch zu deutlichen Verschlechterungen bei Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit geführt. Diese werden auch bis zum Ende dieses Jahres noch nicht überwunden sein. Die Neueinstellungen sind stark zurückgegangen und haben sich, anders als die Entlassungszahlen, noch nicht wieder normalisiert.
Die Wirtschaftstätigkeit brach besonders stark in Bereichen ein, die Konjunkturschwankungen üblicherweise weniger ausgesetzt sind. Davon waren häufig Minijobs betroffen. Die Zahl der Minijobber ging stark zurück, da das Horten von Arbeitskräften hier ohne Anspruch auf Kurzarbeitergeld weniger praktiziert wird. Zudem haben sich hunderttausende Personen zumindest zeitweilig vom Arbeitsmarkt zurückgezogen (lesen Sie hierzu auch einen Beitrag von Johann Fuchs, Brigitte Weber und Enzo Weber im IAB-Forum).
Die Arbeitszeit ging vor allem durch Kurzarbeit drastisch zurück
Weiterhin ist die Arbeitszeit vor allem durch Kurzarbeit drastisch gesunken. Die Verringerung der Arbeitszeit schmälert in der Folge des Konjunktureinbruchs zwar die Wirtschaftsleistung und teilweise auch die Einkommen, sie trägt aber auch wesentlich zur Beschäftigungssicherung in Krisenzeiten bei.
Über die Reduktion der Arbeitszeit wurde ein noch deutlich größerer Teil des Einbruchs aufgefangen als in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009. Der Rückgang der Arbeitsproduktivität infolge geringerer Kapazitätsauslastung blieb dagegen eher begrenzt. Ein Teil der wirtschaftlichen Erholung wird sich daher auch in einer Normalisierung der Arbeitszeit widerspiegeln.
Für das Prognosejahr 2021 rechnen wir mit einer schrittweisen Erholung des Arbeitsmarkts. Während der starken Konjunkturerholung nach dem ersten Lockdown kam die Erwerbstätigkeit insgesamt allerdings über eine Stagnation kaum hinaus, wobei es Unterschiede zwischen den Erwerbsformen gab. Es wird deshalb darauf ankommen, dass sich sowohl die Suchaktivität am Arbeitsmarkt als auch die nach wie vor geringe Dynamik bei den Neueinstellungen wieder erhöhen.
Insolvenzen werden die Erholung verzögern, aber nicht zu einem neuem Einbruch führen
Zudem gehen wir davon aus, dass Insolvenzen die Erholung des Arbeitsmarkts zwar verzögern, wenn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ausläuft, aber nicht zu einem weiteren Einbruch führen werden. Coronabedingte Einschränkungen werden den Arbeitsmarkt jedoch noch auf absehbare Zeit belasten. Darüber hinaus wird der strukturelle Wandel in Bereichen wie Automobilindustrie, Einzelhandel und Verkehr eine große Herausforderung darstellen.
Die Erwerbstätigkeit wird sich zwar im Jahresverlauf erholen, aber im Jahresschnitt 2021 aufgrund des statistischen Unterhangs um 80.000 Personen (Prognoseintervall ±120.000) niedriger sein als 2020. Das Vorkrisenniveau wird damit zum Jahresende noch nicht wieder erreicht.
Während die Zahl der Selbstständigen und insbesondere die der Minijobber deutlich sinken werden, wird der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung dagegen nur vorübergehend ausgebremst. Sie wird sich im Prognosezeitraum wieder deutlich erholen.
Gerade für die ersten Monate der Prognose spielt auch eine Rolle, dass die Zahl der Kurzarbeiter deutlich zurückgehen wird. Da sie bereits als erwerbstätig zählen, wird die Beschäftigung dadurch nicht zunehmen.
Die Wirtschaftsbereiche entwickeln sich heterogen
Von der Corona-Krise waren im Jahr 2020 nicht alle Wirtschaftsbereiche gleichermaßen betroffen. Die Zahl der abhängig Beschäftigten ging zwar im zweiten Quartal 2020 überall zurück. Allerdings gab es Bereiche, in denen die Beschäftigung besonders stark einbrach und sich in der Folge kaum erholte. Hierzu zählen vor allem das Produzierende Gewerbe ohne Baugewerbe, die Wirtschaftsbereiche Handel, Verkehr, Gastgewerbe, die Unternehmensdienstleister sowie die Sonstigen Dienstleister.
In den genannten Dienstleistungsbereichen dürfte infolge des zweiten Lockdowns ab Mitte Dezember 2020 auch im ersten Quartal 2021 Beschäftigung abgebaut werden. Insbesondere werden das Gastgewerbe, der Luft- und Landverkehr sowie Kultur-, Sport- und Messeveranstalter auch über das Jahr 2021 hinaus noch Auswirkungen der Covid-19-Pandemie spüren.
Wir gehen dennoch davon aus, dass im Handel, Verkehr und Gastgewerbe ebenso wie bei den Sonstigen Dienstleistern im weiteren Jahresverlauf eine Erholung einsetzen wird. Dennoch wird der Bereich Handel, Verkehr und Gastgewerbe aufgrund des deutlichen statistischen Unterhangs im Jahresdurchschnitt 2021 ein Minus von 30.000 Beschäftigten verzeichnen. Bei den Sonstigen Dienstleistungen, in denen alle Dienstleistungen rund um den Sport, die kulturellen Veranstaltungen und die Erholung verortet sind, erwarten wir in diesem Jahr ebenfalls infolge des Unterhangs im Jahresdurchschnitt einen Rückgang um 10.000 Beschäftigte.
Im Produzierenden Gewerbe begann der Stellenabbau zwar bereits Mitte 2019. Er beschleunigte sich 2020 jedoch im zweiten Quartal und – trotz der Lockerungen – auch im Sommer noch einmal. Dieser Stellenabbau dürfte im Zusammenhang mit gleichzeitigen Transformationen, beispielsweise dem Strukturwandel im Fahrzeugbau, stehen. Da der Konjunkturindex für die Industrieproduktion zuletzt stark zugenommen hat, rechnen wir für 2021 dennoch mit keinem weiteren Beschäftigungsrückgang. Da auch hier ein großer statistischer Unterhang vorliegt, ergibt sich in diesem Jahr ein Minus von 90.000 Beschäftigten.
Das Baugewerbe musste infolge der Covid-19-Pandemie ebenfalls einen Stellenabbau im zweiten Quartal 2020 hinnehmen. Allerdings erholte sich der Bau danach recht zügig und die Beschäftigung nahm wieder zu. Daher gehen wir für 2021 davon aus, dass die Beschäftigung um 30.000 Personen zunehmen wird.
Ähnlich wie der Bau entwickelte sich der Wirtschaftsbereich „Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit“. Die Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus, der Ausbau der Kindertagesbetreuung und generell die Alterung der Gesellschaft führen dazu, dass die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen deutlich steigen wird. Daher erwarten wir für diesen Bereich mit einem Plus von 190.000 Beschäftigten im Jahr 2021 den mit Abstand höchsten Beschäftigungsgewinn.
Auch die Branche „Information und Kommunikation“ verzeichnete nur im zweiten Quartal 2020 einen Beschäftigungsrückgang. Im dritten und vierten Quartal stieg die Zahl der Beschäftigten wieder, allerdings etwas weniger stark als in den Jahren zuvor. Für 2021 gehen wir von einer Zunahme um 40.000 Beschäftigte und damit von einer Rückkehr auf den Wachstumspfad der Vor-Corona-Zeit aus. Wie in den Jahren zuvor wächst dieser Wirtschaftsbereich prozentual am stärksten. Hinter der positiven Beschäftigungsentwicklung steht die durch die Covid-19-Pandemie gestiegene Notwendigkeit, Produktions- und Dienstleistungsprozesse noch mehr zu vernetzen und zu digitalisieren.
Die Arbeitslosigkeit wird im Jahresdurchschnitt um 110.000 Personen zurückgehen
Die Zahl der Arbeitslosen wird 2021 um 110.000 Personen (Prognoseintervall ±85.000) sinken. Für den Anstieg im Jahr 2020 war auch relevant, dass Arbeitslose während der Pandemie nur eingeschränkt in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Fortbildungskurse übergingen oder sich in geringerem Umfang als gewohnt kurzfristig arbeitsunfähig meldeten. Diese Effekte gehen ebenfalls wieder zurück, was die Arbeitslosigkeit zusätzlich senkt.
Arbeitslose, die Arbeitslosengeld I beziehen, werden die zunehmende Erholung im Laufe des Jahres 2021 schneller spüren: Im Jahresdurchschnitt wird die Arbeitslosigkeit im Rechtskreis SGB III (Arbeitslosenversicherung) voraussichtlich 1,02 Millionen Personen umfassen. Dies sind 120.000 Arbeitslose weniger als im Vorjahr. Die Arbeitslosigkeit im Rechtskreis SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) erholt sich langsamer und sinkt im Jahresverlauf nur leicht. Da es aber zum Jahresende 2020 einen statistischen Überhang gab, steigt sie im Jahresdurchschnitt 2021 dennoch um 10.000 Personen.
Das Erwerbspersonenpotenzial sinkt das zweite Jahr hintereinander
Im Zusammenspiel aus demografischer Entwicklung, Erwerbsbeteiligung und Migration sank das Erwerbspersonenpotenzial im Jahr 2020 um 80.000 Arbeitskräfte. Auch im Prognosejahr 2021 übersteigt der demografische Effekt die aus Migration und Erwerbsbeteiligung resultierenden Effekte. Wir prognostizieren insgesamt einen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials um 140.000 Arbeitskräfte auf 47,39 Millionen Erwerbspersonen.
Die Arbeitsstunden liegen noch deutlich unter Vorkrisenniveau
Nachdem die Arbeitszeit im Jahr 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie stark eingebrochen war, nimmt sie im laufenden Jahr wieder deutlich zu, erreicht aber noch nicht den Stand von vor der Krise. Zu der Erhöhung tragen nahezu alle Arbeitszeitkomponenten bei, einzig der Teilzeiteffekt wirkt verkürzend. Insgesamt steigt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit der Beschäftigten im laufenden Jahr um 2,1 Prozent auf 1.313 Stunden, die der Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen um 0,6 Prozent auf 1.816 Stunden. Somit wird die durchschnittliche Arbeitszeit aller Erwerbstätigen im Jahr 2021 mit 1.356 Stunden um rund 25 Stunden (+1,8 %) höher liegen als 2020. Damit wird etwa knapp die Hälfte der pandemiebedingten Arbeitszeitrückgänge wieder aufgeholt.
Die Zahl der konjunkturellen Kurzarbeiter ist infolge des zweiten Lockdowns ab November 2020 wieder gestiegen. Wir erwarten, dass mit zunehmenden Lockerungen und anziehender Konjunktur ein großer Teil der Betriebe die Auslastung wieder steigern kann und die Zahl der Kurzarbeiter im Laufe des Jahres kräftig sinkt. Insbesondere ab dem zweiten Halbjahr 2021 dürften viele Betriebe wieder zu normalen Arbeitszeiten zurückkehren.
In einigen von der Corona-Krise besonders betroffenen Branchen werden die Nachwirkungen der Eindämmungsmaßnahmen allerdings bis zum Jahresende noch nicht überwunden sein. Deshalb dürften sich die Kurzarbeiterzahlen dort noch eine Zeit lang auf einem im Vergleich zum längerfristigen Durchschnitt relativ hohen Niveau bewegen.
Die Zahl der konjunkturellen Kurzarbeiter wird sich im Durchschnitt des Jahres 2021 schätzungsweise auf rund 1,6 Millionen Personen belaufen. Zusammen mit der Saison- und Transferkurzarbeit erwarten wir rund 1,7 Millionen Kurzarbeitende im laufenden Jahr. Bei einem durchschnittlichen Arbeitszeitausfall von 40 Prozent entspricht das rechnerisch einem Beschäftigungsäquivalent von knapp 700.000 Arbeitnehmern.
Nachdem das Arbeitsvolumen im Vorjahr aufgrund der Pandemie so stark eingebrochen ist wie noch nie, steigt es 2021 aufgrund der höheren Arbeitszeit auf 60,63 Milliarden Stunden, obwohl die Erwerbstätigkeit im Jahresdurchschnitt leicht zurückgehen wird.
Fazit
Corona war für den Arbeitsmarkt ein herber Schlag, aber es hätte schlimmer kommen können. Ein umfassender Einbruch konnte vermieden werden. Damit haben sich Vorhersagen erfüllt, die den Arbeitsmarkt auch in der Pandemie grundsätzlich robust gesehen haben (lesen Sie hierzu auch einen Beitrag von Enzo Weber im IAB-Forum).
Dennoch sind die Risiken immens. Je länger die Rückschläge anhalten, desto mehr drohen nicht nur Verfestigung von Arbeitslosigkeit, bleibende Effekte bei den Corona-Jahrgängen der Berufseinsteiger und dauerhafter Rückzug vom Arbeitsmarkt. Die berufliche Aufwärtsentwicklung über Jobwechsel würde ebenfalls geschwächt (mehr hierzu erfahren Sie in einem Beitrag von Anja Bauer und Co-Autoren für das IAB-Forum).
Die Warnsignale gibt es bereits: Die Langzeitarbeitslosigkeit steigt seit Krisenbeginn entgegen dem vorherigen Trend deutlich an. Die Einstellungschancen von Arbeitslosen lagen zuletzt ein Viertel unter Vorjahresniveau – und das nicht nur für Niedrigqualifizierte. Während sich die Konjunktur im dritten Quartal 2020 mit einer „V“-Bewegung stark erholte, kam die Erwerbstätigkeit nicht über ein „L“ hinaus.
Angesichts des strukturellen und technologischen Wandels werden Maßnahmen zur Erhaltung von Arbeitsplätzen nicht genug sein. Nachdem Entlassungen durch Kurzarbeitergeld und andere Maßnahmen in Grenzen gehalten werden konnten, kommt es nun für eine zügige Erholung auf mehr Neueinstellungen an. Diese zu verstärken, würde sowohl die lahmende Wirtschaftstätigkeit in Gang bringen als auch den Wandel und neue Jobs fördern.
Neueinstellungszuschüsse sind deshalb für die Phase nach dem letzten Lockdown ein effektives Mittel, wie Christian Merkl und Enzo Weber in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2020 aufgezeigt haben. Ein Modell mit vorübergehender Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge würde nicht nur Anreize für zügige Einstellungen setzen, sondern auch dafür, sozialversicherungspflichtige Jobs statt Minijobs zu schaffen. Denkbar wäre auch eine Fokussierung auf Berufseinsteiger oder Langzeitarbeitslose. Das neue EU-Programm „Effective Active Support to Employment“ (EASE), das auf eine wirksame aktive Beschäftigungsförderung nach der Covid-19-Krise abzielt, greift den Gedanken auf und bietet Möglichkeiten der Finanzierung für die Mitgliedstaaten.
Der transformative Charakter der Corona-Krise macht zudem Investitionen in Weiterbildung notwendig, damit Qualifikationen und Kompetenzen mit dem Wandel Schritt halten. Auch hier bieten sich sofort wirksame Maßnahmen an. So könnte ein Bildungsbonus an alle gezahlt werden, die in der Arbeitslosigkeit eine geeignete längere zertifizierte Qualifizierung absolvieren. Ein BAföG für Zweitausbildungen als Lohnersatzleistung würde berufliche Umorientierung auch für Menschen in der Mitte des Berufslebens finanziell absichern, so Christian Hutter und Enzo Weber in einer 2020 veröffentlichten Studie. Um Kurzarbeit künftig effektiver mit Qualifizierung zu verknüpfen, sollte ein Konzept mit möglichst flexiblen Weiterbildungsformaten, Beratungsangeboten und finanziellen Anreizen erarbeitet werden. Solche Maßnahmen könnten dem Risiko entgegenwirken, dass Beschäftigung im Umbruch eines beschleunigten technologischen Wandels verlorengeht.
Literatur
Bauer, Anja; Fuchs, Johann; Gartner, Hermann; Hummel, Markus; Hutter, Christian; Wanger, Susanne; Weber, Enzo; Zika, Gerd (2021): IAB-Prognose: Arbeitsmarkt auf dem Weg aus der Krise. IAB-Kurzbericht Nr. 6.
Bauer, Anja; Keveloh, Kristin; Mamertino, Mariano; Weber, Enzo (2020): Wie die Covid-19-Pandemie die Suchprozesse am Arbeitsmarkt beeinflusst. In: IAB-Forum, 06.08.2020.
Bauer, Anja; Weber, Enzo (2020): COVID-19: How much unemployment was caused by the shutdown in Germany? In: Applied Economics Letters, online first, S. 1–6.
Fuchs, Johann; Weber, Brigitte; Weber, Enzo (2020): Rückzug vom Arbeitsmarkt? Das Angebot an Arbeitskräften sinkt seit Beginn der Corona-Krise stark. In: IAB-Forum, 12.08.2020.
Hutter, Christian; Weber, Enzo (2020): Corona-Krise: die transformative Rezession. In: Wirtschaftsdienst, Vol. 100, No. 6, S. 429–431.
Klinger, Sabine; Weber, Enzo (2020): GDP-Employment Decoupling in Germany. In: Structural Change and Economic Dynamics, Vol. 52, S. 82–98.
Merkl, Christian; Weber, Enzo (2020): Raus aus der Neueinstellungskrise! In: Wirtschaftsdienst, Vol. 100, No. 7, S. 507–509.
Weber, Enzo (2020): Corona-Virus: Konjunktur schwächer, Arbeitsmarkt voraussichtlich robust. In: IAB-Forum, 09.03.2020.
Bauer, Anja; Fuchs, Johann; Gartner, Hermann; Hummel, Markus; Hutter, Christian; Wanger, Susanne; Weber, Enzo; Zika, Gerd (2021): IAB-Prognose 2021: Arbeitsmarkt auf dem Weg aus der Krise, In: IAB-Forum 9. April 2021, https://www.iab-forum.de/iab-prognose-2021-arbeitsmarkt-auf-dem-weg-aus-der-krise/, Abrufdatum: 18. December 2024
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Autoren:
- Anja Bauer
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- Christian Hutter
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- Gerd Zika