Die deutsche Wirtschaft und der deutsche Arbeitsmarkt stecken nunmehr schon im dritten Jahr in einer Schwächephase fest. Trotzdem zeigt sich die IAB-Prognose verhalten optimistisch. Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“, spricht im Interview darüber, was den Arbeitsmarkt im laufenden Jahr voraussichtlich erwartet.

Portraitfoto Prof. Enzo Weber

Prof. Dr. Enzo Weber leitet den Forschungsbereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am IAB.

Herr Weber, im dritten Jahr wirtschaftlicher Stagnation – wie würden Sie die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt in einem Satz zusammenfassen?

Ich würde sagen, der deutsche Arbeitsmarkt befindet sich aktuell im Zangengriff von Wirtschaftskrise und Fachkräftemangel.

Was bedeutet das für die Arbeitslosenzahlen im laufenden Jahr?

Der zähe Wirtschaftsabschwung hat die Arbeitsmarktentwicklung gedämpft. Die Arbeitslosigkeit nimmt seit Mitte 2022 zu. Das IAB-Arbeitsmarktbarometer lässt uns erwarten, dass dieser Trend zunächst anhält. Eine wirtschaftliche Belebung wird die Entwicklung allerdings verbessern. Wenn im zweiten Halbjahr die Konjunktur anzieht, wären wieder erste Rückgänge der Arbeitslosigkeit zu erwarten. Im Jahresdurchschnitt wird die Zahl der Arbeitslosen dennoch deutlich steigen.

Eindeutig hinterlässt der Wirtschaftsabschwung auch seine Spuren bei der Beschäftigung

Auch die Entwicklung der Beschäftigung hat sich seit 2022 weiter abgeflacht. Wie sehen Sie dort den Trend?

Eindeutig hinterlässt der Wirtschaftsabschwung auch seine Spuren bei der Beschäftigung. Gemessen an der negativen Konjunktur hält sie sich insgesamt dennoch vergleichsweise gut. Die Beschäftigungsentwicklung war zuletzt zweigeteilt: Einerseits sehen wir schrumpfende Branchen wie Industrie, Bau und Zeitarbeit, andererseits wachsen Branchen wie Pflege, Gesundheit und Erziehung. Aufgrund dieser ausgleichenden positiven Effekte, der grundsätzlichen Robustheit der Arbeitsmarktentwicklung und der erwarteten Stabilisierung der Konjunktur gehen wir davon aus, dass die Erwerbstätigkeit wieder an einen schwachen Aufwärtstrend anknüpfen kann. Bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wird abermals ein neuer Höchststand erreicht. Der Anstieg beruht allerdings allein auf der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung, wohingegen die Zahl der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten sinkt.

Wie sieht es bei den offenen Stellen aus?

Im Bestand sehen wir zwar noch vergleichsweise viele Stellen offen.  Aber die Intensität der Stellenschaffung ist niedrig, die Unternehmen melden historisch wenige neue Stellen. Auch die Jobchancen von Arbeitslosen haben sich nicht wieder erholt, nachdem sie mit Pandemiebeginn 2020 und im Jahr 2022 eingeknickt waren.

Und doch sprechen Sie zugleich von Fachkräftemangel. Wie geht das zusammen?

Das liegt daran, dass die Wirtschaftskrise auf einen voranschreitenden demografischen Wandel trifft. Auf der einen Seite sind in einigen wachsenden Bereichen, wie etwa soziale Dienstleistungen, Arbeitskräfte enorm knapp. Auch technische Fachkräfte in Bereichen wie Infrastruktur, Energie und Rüstung werden für die Transformation dringend gebraucht. Andererseits ist die Arbeitslosigkeit zuletzt aber deutlich gestiegen. Der Grund dafür ist, dass seit Corona der Mismatch auf dem Arbeitsmarkt zwischen den Qualifikationsniveaus und den Anforderungsniveaus der Stellen zugenommen hat. Dies spiegelt sich vor allem in der Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten wider, die ebenfalls deutlich über dem Stand von 2019 liegt.

Wie könnte man hier gegensteuern?

Wichtig wäre eine gezielte Weiterentwicklung von Arbeitskräften in aufstrebende Bereiche, in denen deren Qualifikation und Arbeitserfahrung genutzt werden können. Firmen und Arbeitsmarktpolitik müssen hier Hand in Hand arbeiten: bei der Beratung, Vermittlung, Qualifizierung und Förderung der Mobilität.

Aus eigener Kraft wäre aktuell keine zeitnahe und durchgreifende Erholung der Wirtschaft absehbar

Wird das angekündigte Finanzpaket der Bundesregierung den erhofften Anschub für Wirtschaft und Arbeitsmarkt bringen?

Aus eigener Kraft wäre aktuell keine zeitnahe und durchgreifende Erholung der Wirtschaft absehbar. Doch das angekündigte Finanzierungspaket hat durchaus einen Umfang, der stärkere Konjunktureffekte auslösen kann – auch wenn die Effekte verzögert auftreten werden. Entscheidend ist dabei die Ausgestaltung, um eine möglichst hohe Wachstumswirkung über zusätzliche Wertschöpfung, höhere Effizienz, mehr Wettbewerb und technologische Erneuerung zu erreichen.

 

Literatur

Gartner, Hermann; Hellwagner, Timon; Hummel, Markus: Hutter, Christian; Lochner, Benjamin; Wanger, Susanne; Weber, Enzo; Zika, Gerd (2025): IAB-Prognose 2025: Zwischen Schwächephase und Investitionsimpulsen. IAB-Kurzbericht Nr. 3.

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20250321.01

 

Keitel, Christiane (2025): „Die Wirtschaftskrise trifft auf einen voranschreitenden demografischen Wandel“, In: IAB-Forum 21. März 2025, https://www.iab-forum.de/iab-prognose-2025-wirtschaftskrise-trifft-auf-demografischen-wandel/, Abrufdatum: 21. March 2025

 

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