Die Wissenschaftswelt vernetzt sich global immer stärker. Auch das IAB verortet sich zunehmend international. Prof. Yuliya Kosyakova, Leiterin der Forschungsbereichs „Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung“ am IAB, und IAB-Direktor Prof. Bernd Fitzenberger sprechen im Interview über die Chancen, Erfolge und Herausforderungen, die damit verbunden sind.

Was bedeutet Internationalität für Sie in diesen besonderen Zeiten?

Yuliya Kosyakova: Aufgrund meiner persönlichen Geschichte und Erfahrung verkörpere ich quasi selbst das Konzept der Internationalität (lacht). Ich habe eine Zuwanderungsgeschichte, habe in verschiedenen Ländern gearbeitet, forsche zu internationalen Themen und bin international vernetzt. Für mich heißt Internationalität vor allem, über nationale Grenzen hinweg mit anderen Menschen in Verbindung zu stehen. Dieser grenzüberschreitende Austausch ist für uns alle von Vorteil.

Bernd Fitzenberger: Internationalität ist die Erweiterung des eigenen Horizonts. Meine Promotion in den USA war für mich der Schlüssel zu meiner Karriere, auch wenn ich nach der Promotion wieder nach Deutschland zurückgegangen bin. Ich gehöre zu der Generation, die die europäische Integration hin zur heutigen Europäischen Union miterlebt hat. Diese unglaubliche Erfolgsgeschichte hat mein politisches Denken stark geprägt. International denken und lokal verwurzelt sein, so verorte ich mich.

Das IAB soll seine Internationalisierung vorantreiben, das ist eine Empfehlung durch den Wissenschaftsrat, dem wichtigsten wissenschaftspolitischen Beratungsgremium der Bundesregierung. Worauf legt das Institut dabei aktuell den Fokus?

Fitzenberger: Internationalisierung hat für das IAB mehrere Dimensionen. Die drei wichtigsten spiegeln sich in unseren Aufgabenfeldern: Forschung, Datengenerierung und Politikberatung.

In der Forschung ist unser Hauptanliegen aktuell die systematische internationale Vernetzung. Das IAB pflegt bereits unglaublich viele bilaterale Netzwerke, einzelne Forscherinnen und Forscher kooperieren mit hochkarätigen Forschenden in den unterschiedlichsten Ländern. Als Institut selbst waren wir in der Vergangenheit jedoch weniger stark systematisch vernetzt, und das bauen wir aus. Etwa mit dem ELMI-Netzwerk, das wir gemeinsam mit dem Luxemburger Forschungsinstitut LISER gegründet haben. Das ist ein Netzwerk der europäischen Einrichtungen der Arbeitsmarktforschung, in dem wir uns nicht nur zur Forschung, sondern auch zur internationalen Politikberatung austauschen.

Die Forschungsthemen des IAB entwickeln sich zunehmend international.

Kosyakova: Auch die Forschungsthemen des IAB entwickeln sich zunehmend international. Das Institut leistet zum Beispiel einen bedeutenden Beitrag zur Migrations- und Integrationsforschung nicht nur in Deutschland, sondern international. Nicht zuletzt aufgrund unserer Befragungen, die wir in Kooperation mit dem Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg und dem Sozio-oekonomischen Panel am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin durchführen. Unsere weltweit einmalige Längsschnittbefragung von Geflüchteten ermöglicht es uns, Geflüchtete über Jahre zu begleiten und ihre Integrationsfortschritte zu verfolgen. Bald starten wir das „International Mobility Panel“ , um unser Verständnis internationaler Migrationsbewegungen weiter zu vertiefen.

Bei den internationalen Kooperationen spielt das IAB auf einer ganz breiten Klaviatur.

Welche Formen der internationalen Forschungskooperationen fördert das IAB genau?

Fitzenberger: Hier spielt das IAB auf einer ganz breiten Klaviatur. Für die persönliche Vernetzung ermöglichen wir etwa unseren Mitarbeitenden, an internationalen Tagungen teilzunehmen, und fördern internationale Forschungsaufenthalte. Zugleich veranstalten wir selbst internationale Tagungen und laden Gastforschende zu uns ein. Für die internationale Forschungslandschaft übernimmt das IAB gezielt Aufgaben und schafft dadurch Kontakte und Sichtbarkeit, etwa über das bereits erwähnte ELMI-Netzwerk. Auch in den führenden Fachgesellschaften sind wir präsent. Außerdem sind wir gefragte Gesprächspartner von internationalen Organisationen, und dieser Austausch führt oft zu weiteren interessanten Forschungsaufträgen ans IAB.

Kosyakova: Das IAB hat über die Jahre einige eigene Veranstaltungsformate entwickelt. Etwa die „Special Lecture Series“, bei der wir regelmäßig hochkarätige internationale Forschende einladen, um ihre aktuellen Arbeiten bei uns in Nürnberg vorzustellen. Das ist eine tolle Gelegenheit, auch für junge Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, mit diesen Personen ins Gespräch zu kommen. Um in der Forschung wahrgenommen zu werden, ist es auch wichtig, dass wir in internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften gut vertreten sind – und das sind wir. Das IAB ist im jüngsten Ranking der Wirtschaftswoche auf Platz 4 der forschungsstärksten Institute im deutschsprachigen Raum, vor uns lagen nur die Institute der Notenbanken. Das verschafft auch internationale Sichtbarkeit. In der Soziologie existiert kein solches Ranking, aber auch dort sind wir auf einem sehr guten Weg.

Also muss das IAB sich nicht verstecken im Vergleich mit anderen Institutionen?

Kosyakova: Absolut nicht.

Fitzenberger: Wir spielen in unserem Fachgebiet international eine bedeutende Rolle. Unser Vorteil ist, dass wir seit Jahren eine sehr systematische Personalentwicklung in diese Richtung betreiben, und dass wir uns fachlich auf die Arbeitsmarkt- und Berufsforschung fokussieren. Das ermöglicht es uns, auf unserem Gebiet, das in der Forschung boomt, sehr innovativ zu sein.

Bei der Internationalisierung der Daten geht es vor allem darum, die Daten des IAB weltweit verfügbar für Nutzende zu machen. Was ist dabei die größte Herausforderung?

Kosyakova: Eine Herausforderung ist sicherlich die Gewährleistung des Datenschutzes an den vielen internationalen Zugangspunkten für Forschende, die das IAB in den europäischen Nachbarländern, aber auch in Nordamerika bietet.

Fitzenberger: Der Datenschutz hat immer Priorität. Unsere Daten sind auch keine einfachen Schätze, bei denen man nur die Schatzkiste öffnen muss, sondern man muss sie sich erst erschließen. Damit externe Forschende aus anderen Ländern nicht nur gute Forschung mit unseren deutschen Daten betreiben, sondern auch Implikationen für die deutsche Politik herausarbeiten können, müssen wir ihnen mit den Daten auch immer umfassende Erklärungen an die Hand geben, quasi ein internationales Handbuch. Diese Herausforderungen werden von unserem Forschungsdatenzentrum ausgezeichnet bewältigt.

Wir leben Internationalität auch innerhalb der deutschen Politikberatung.

Wenn es um die Internationalisierung der Politikberatung geht: Wie stark ist das IAB in diesem Bereich vertreten, etwa in Brüssel?

Kosyakova: Ich kann vor allem für mein Forschungsthema sprechen, Migration und Integration. Damit sind wir in Brüssel durchaus präsent, um etwa zur Integration von Geflüchteten zu beraten. Mit einer Delegation der Bundesagentur für Arbeit war das IAB kürzlich auch in den Niederlanden, Dänemark und Norwegen, um sich zu diversen Themen mit den dortigen Akteuren auszutauschen und Wissen zu erlangen, das nachher wiederum Basis für eine internationale Politikberatung ist.

Just heute Morgen habe ich außerdem für Führungskräfte der Jobcenter einen Vortrag gehalten, über die Integration ukrainischer Geflüchtete im internationalen Vergleich. Wir haben darüber diskutiert, wie andere Länder vorgehen, was sie anders machen als Deutschland, und was wir voneinander lernen können. Das ist gelebte Internationalität innerhalb der deutschen Politikberatung.

Wenn die EU auf deutsche Arbeitsmarktthemen schaut, schaut sie auf das IAB.

Fitzenberger: Dazu möchte ich zunächst betonen, dass das IAB einen klaren gesetzlichen Auftrag zur Politikberatung in Deutschland hat, wo wir aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Doch dies steht in keinem Widerspruch zu unserer internationalen Verortung, im Gegenteil. Gerade von Ländervergleichen kann auch die deutsche Politik enorm profitieren. Und für Deutschland sind politische Entscheidungen auf internationaler Ebene von größter Bedeutung.

Tatsächlich beraten wir auch international erfolgreich. Oft über individuelle Expertise – einige Mitarbeitende im IAB weisen international gefragtes Wissen in ihren Fachgebieten auf, so wie Yuliya. Sie erhalten deshalb viele Anfragen. Auch im Netzwerk der europäischen Arbeitsverwaltungen sind IAB-Mitarbeitende regelmäßig als Gesprächspartner geladen, ebenso bei der OECD oder der ILO, der internationalen Arbeitsorganisation. Zwar ist das kein institutionalisierter Beratungsauftrag, aber wenn die EU oder andere internationale Organisationen auf deutsche Arbeitsmarktthemen schauen, schauen sie auf das IAB. Dadurch wirken wir in der Politikberatung über die Landesgrenzen hinaus.

Sehr spannend finde ich die Rolle der Bundesagentur für Arbeit und des IAB auch im kleinräumigen Austausch in Grenzgebieten, etwa mit Nachbarregionen in Frankreich, Österreich oder Dänemark. Das sind zwar zum Teil sehr lokale Beratungsprojekte, die aber über die Grenze von Deutschland hinaus gehen. Und mit denen wir bei den internationalen Partnern der BA und den Akteuren der Fachpolitik grenzübergreifend sichtbar sind. Unser regionales Forschungsnetz, das diese lokalen Beratungstermine betreut, hat damit ebenfalls eine internationale Dimension.

Wir benötigen eine Welcome-Kultur, bei der es darum geht, Internationalität praktisch zu leben.

Die Internationalisierung des IAB geschieht nicht nur nach außen, mit Kooperationen und Forschungsthemen, sondern auch nach innen. Wie lebt das IAB seine eigene Internationalisierung?

Kosyakova: Das Institut lebt ja durch uns Mitarbeitende – und von uns bringen inzwischen immer mehr einen Migrationshintergrund mit oder sind zum Forschungsaufenthalt aus dem Ausland hier. Wir lernen dabei nicht nur fachlich, sondern auch kulturell unglaublich viel voneinander. Allein in unserem Forschungsbereich können wir in elf verschiedenen Sprachen „Dankeschön“ sagen.

Fitzenberger: Diese Vielfalt schätze ich sehr. Als Arbeitgeber sind wir stark daran interessiert, qualifizierte Arbeitskräfte, sowohl Forschende als auch Nichtforschende, aus dem Ausland für das IAB zu gewinnen, und sehen darin ein hohes Potenzial. Dafür benötigen wir eine Welcome-Kultur, bei der es darum geht, Internationalität praktisch zu leben.

Welche Herausforderungen bringt eine solch vielfältige Belegschaft für das Institut als Arbeitgeber mit sich?

Fitzenberger: Jedes Land hat seine Besonderheiten, auch unseres. Gerade die vielen administrativen Prozesse, die es in Deutschland gibt, erfordern von uns eine enge Unterstützung der neuen Mitarbeitenden, damit sie sich hier zurechtfinden.

Kosyakova: Auch die internen, teils noch sehr national ausgerichteten Strukturen als Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit sind eine Herausforderung. Für einige bürokratische Vorgänge ist etwa Deutsch als Amtssprache erforderlich. Dafür haben wir inzwischen ein internes Netzwerk, in dem sich die internationalen Kolleginnen und Kollegen austauschen und gegenseitig helfen, etwa mit Übersetzungen. Aber wir sammeln auch Probleme und besprechen mit der Institutsleitung und der Personalabteilung, wo es noch hakt.

Das IAB meistert gut den Balanceakt zwischen nationalen Aufgaben und internationaler Ausrichtung.

Internationale Forschungseinrichtung und nationale Dienststelle: Wie bewältigt das IAB diesen Spagat?

Kosyakova: In der Soziologie gibt es das Konzept der „Dual Identity“. Ich bin eine international ausgerichtete Forscherin, aber ich habe hier im Institut mein berufliches Zuhause und meine nationalen Aufgaben. Ich verbinde diese Welten, indem ich Erkenntnisse aus dem internationalen Kontext für nationale Aufgaben nutze und umgekehrt. Aus dieser Perspektive ist es gar nicht mehr so schwer, Internationalität und Nationalität unter einen Hut zu bringen. Außerdem, das mag ich so am IAB: Wir ruhen uns nicht auf Routinen aus, sondern wir lernen weiter und überlegen, was wir zukünftig verbessern können. Kurzum: Das IAB meistert gut den Balanceakt zwischen nationalen Aufgaben und internationaler Ausrichtung.

Fitzenberger: Ich sehe es auch so, dass wir diesen Spagat sehr gut bewältigen. Wir können das Beste beider Welten nutzen. Als Teil der BA sind wir stets im engen Austausch mit deutscher Praxis und Fachpolitik und betreiben auf dieser Basis eine nationale Politikberatung, die gehört wird. Als Teil der weltweiten Forschungscommunity betreiben wir innovative Forschung und gewinnen exzellente Forschende für uns. Und aus deren Forschungsergebnissen gewinnen wir wiederum Antworten für unsere nationalen Aufgaben. Beide Seiten profitieren voneinander.

Wenn wir über zukünftige Entwicklungen sprechen, sollten wir außerdem immer Europa im Blick behalten. Wenn der Stellenwert der europäischen Politik zunimmt, dann wird auch unser nationaler Auftrag immer europäischer werden. Wir sollten Nationalität und Internationalität nicht als Gegensätze sehen, sondern als Zusammenspiel.

 

Bild: Kurt Pogoda, IAB

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240701.01

 

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