20. Juli 2021 | Serie „Corona-Krise: Folgen für den Arbeitsmarkt“
„Nine to five“ war gestern: In der Pandemie haben viele Beschäftigte ihre Arbeitszeiten verlagert
Corinna Frodermann , Philipp Grunau , Susanne Wanger , Stefanie Wolter
Infolge der Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie haben viele Beschäftigte ihre tägliche Arbeitszeit verschoben. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen wurde den Beschäftigten in systemrelevanten Berufen mit der Covid-19-Arbeitszeitverordnung mehr Flexibilität abverlangt, denn von April bis Juli 2020 waren dadurch Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz möglich. So wurden beispielsweise Höchstarbeitszeiten verlängert oder Mindestruhezeiten verkürzt.
Zum anderen reduzierten viele Betriebe über entsprechende organisatorische Maßnahmen die Häufigkeit von Kontakten zwischen ihren Beschäftigten. So passte ein Drittel der Betriebe aus Gründen des Infektionsschutzes die Gestaltung der Arbeitszeiten und der Pausen an. Ein Viertel der Betriebe weitete die Möglichkeit des mobilen Arbeitens aus oder führte sie neu ein (lesen Sie hierzu auch den Beitrag „Betrieblicher Arbeitsschutz in der Corona-Krise“ im IAB-Forum). Dabei können versetzte Arbeitszeiten im Homeoffice dazu beitragen, eine Überlastung technischer Systeme zu vermeiden. Nicht zuletzt mussten viele Eltern ihre Arbeitszeit über den Tag flexibler verteilen, um ihre Kinder aufgrund von Schul- und Kitaschließungen oder während des Distanzunterrichts betreuen zu können.
Die aus all diesen Gründen erforderliche höhere zeitliche Flexibilität während der Pandemie erweist sich jedoch als ein durchaus zweischneidiges Schwert. Einerseits trägt sie dazu bei, dass der betriebliche Arbeitsalltag auch in Zeiten von Corona funktioniert und die Beschäftigten Beruf und Betreuungspflichten miteinander vereinbaren können. Andererseits birgt sie auch Risiken. Wenn eine klare zeitliche Abgrenzung von Berufs- und Privatleben fehlt, kann beispielsweise die gesetzliche Ruhezeit von im Regelfall elf Stunden unter Umständen nicht eingehalten werden. Schon deren gelegentliche Unterschreitung geht mit gesundheitlichen Risiken einher. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Nils Backhaus und anderen aus dem Jahr 2019.
Die wichtigsten Befunde zur Veränderung der Arbeitszeitlage im Verlauf der Covid-19-Pandemie werden nachfolgend zusammengefasst. Sie beruhen auf einer Befragung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern privatwirtschaftlicher Betriebe mit mindestens 50 Beschäftigten (siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Demnach sind bestimmte Personengruppen sehr viel stärker von der Verschiebung der Arbeitszeitlage betroffen als andere.
Der Anteil der Beschäftigten, die zu ungewohnten Zeiten arbeiten, sank zwischen April und Oktober 2020 von 26 auf 11 Prozent
Im April 2020, zu Beginn der Covid-19-Pandemie, arbeitete gut ein Viertel der Beschäftigten ganz oder teilweise zu anderen Zeiten als vor der Pandemie, also etwa am Wochenende oder abends. Dieser Anteil nahm über den Sommer wieder ab und sank bis Oktober 2020 auf rund 11 Prozent (siehe Abbildung 1). Dabei änderte nur ein kleiner, im Zeitverlauf zudem sehr stark schrumpfender Teil der Beschäftigten seine Arbeitszeiten vollständig.
Beschäftigte, die ihre Arbeitszeiten verlagern, sind zumindest teilweise unabhängig von der Arbeit anderer. Sie verfügen über einen gewissen Grad an Autonomie bei ihren Tätigkeiten und Entscheidungen. Dies zeigt sich auch in den Daten: Personen, die nach eigenen Angaben viele Entscheidungen selbstständig treffen können – oftmals Beschäftigte mit höherer Ausbildung – haben im Zuge der Pandemie häufiger ihre Arbeitszeit verlagert. Im Oktober 2020 traf dies auf 14 Prozent dieser Beschäftigten zu. Bei Beschäftigten ohne oder mit nur wenig Entscheidungsfreiheit lag dieser Anteil bei 4 Prozent. Zudem haben Beschäftigte im Vertrieb oder in der Verwaltung ihre Arbeitszeit häufiger verlagert als Beschäftigte in der Produktion und in Dienstleistungsbereichen jenseits der Verwaltung.
Beschäftigte im Homeoffice haben ihre Arbeitszeit häufiger verlagert
Die Verlagerung der Arbeit in die eigenen vier Wände erhöht meist die Flexibilität bei der Organisation des Arbeitsalltags. Dies zeigt sich auch bei der Arbeitszeitlage: Beschäftigte im Homeoffice haben die Verteilung ihrer Arbeitszeit pandemiebedingt häufiger geändert als Beschäftigte, die kein Homeoffice nutzen.
Mehr als ein Drittel derjenigen, die zumindest teilweise von zu Hause aus arbeiteten, gab im April 2020 an, zu anderen Zeiten zu arbeiten als noch vor der Pandemie (siehe Abbildung 2). Bei den Beschäftigten, die kein Homeoffice nutzten, waren es nur knapp 15 Prozent. Bis Oktober 2020 sanken diese Anteile deutlich: in der ersten Gruppe auf etwa 18 Prozent, in der zweiten Gruppe auf knapp 5 Prozent.
Dabei arbeiteten insbesondere diejenigen verstärkt zu anderen Zeiten, die bereits vor der Pandemie zumindest teilweise von zu Hause aus gearbeitet hatten: Im April 2020 hatten 43 Prozent der Beschäftigten mit Homeoffice-Erfahrung ihre Arbeitszeiten gegenüber der Zeit vor der Pandemie geändert. Bei denjenigen, die erst während der Pandemie ganz oder teilweise ins Homeoffice wechselten, waren es dagegen 26 Prozent.
Mütter haben ihre Arbeitszeit häufiger verlagert als Väter
Einer der Gründe, die Arbeitszeit in die Abendstunden oder auf das Wochenende zu verlegen, war vermutlich die Kinderbetreuung aufgrund der Schul- und Kitaschließungen während der Covid-19-Pandemie. So haben 33 Prozent der Beschäftigten mit Kind(ern) unter 14 Jahren ihre Arbeitszeiten im April 2020 zumindest teilweise verlagert (siehe Abbildung 3). Bei denjenigen ohne Kinder waren es nur 16 Prozent. Demgegenüber haben Beschäftigte, die sich 2020 um pflegebedürftige Angehörige kümmerten, ihre bisherige Arbeitszeitverteilung beibehalten.
Haben Frauen ihre Arbeitszeit in der Pandemie häufiger verschoben als Männer? Hier ergeben die Analysen ein differenziertes Bild. Bei Beschäftigten ohne Kinder im Haushalt gab es diesbezüglich keine Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern. Bei Beschäftigten mit Kind(ern) unter 14 Jahren verlagerten sowohl Männer als auch Frauen ihre Arbeitszeit überdurchschnittlich häufig. Jedoch traf dies auf Mütter im Schnitt stärker zu als auf Väter.
Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen eines Ende 2020 im IAB-Forum erschienen Beitrags von Claudia Globisch und Christopher Osiander. Demnach haben Eltern in Zeiten geschlossener Schulen und Kitas vorwiegend auf bereits etablierte, meist traditionelle Verteilungsmuster zurückgegriffen. Frauen haben folglich auch in der Pandemie tendenziell die größere Last unbezahlter Sorgearbeit getragen. Die Analyse kann jedoch nicht zeigen, ob Frauen aufgrund ihrer häufig kürzeren Arbeitszeiten die Kinderbetreuung übernehmen konnten oder ob sie ihre Arbeitszeiten an die veränderte Betreuungssituation angepasst haben.
Für die Zufriedenheit mit dem Job scheint es indes keine Rolle zu spielen, ob sich die Lage der Arbeitszeit verändert hat. Dies gilt unabhängig von etwaigen zusätzlichen Kinderbetreuungspflichten. Demnach wäre eine Verlagerung nicht per se als negativ einzustufen. Sie kann vielmehr dabei helfen, akute pandemiebedingte Zusatzbelastungen zu schultern und somit Privatleben und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Insofern mag sie dazu beigetragen haben, dass sich immerhin vier von fünf Beschäftigten während der Pandemie gut von ihrem Arbeitgeber unterstützt fühlten, auch wenn sich zugleich die Hälfte der Beschäftigten als durch die Krise psychisch oder emotional belastet einstufte (lesen Sie dazu den IAB-Kurzbericht 13/2020).
Während des verschärften Lockdowns ab Mitte Dezember 2020 mussten viele Beschäftigte ihre Kinder aufgrund geschlossener Kitas und Schulen erneut selbst betreuen, auch wenn die Notbetreuungen im zweiten Lockdown großzügiger als zu Beginn der Pandemie gehandhabt und von mehr Eltern in Anspruch genommen wurden (lesen Sie dazu einen aktuellen Beitrag von Susanne Wanger und Enzo Weber im IAB-Forum). Dies dürfte wie im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 dazu geführt haben, dass wieder mehr Eltern die Lage ihrer Arbeitszeit entsprechend angepasst haben.
Fazit
Die Covid-19-Pandemie hat die Organisation des Arbeitsalltags und insbesondere die Lage der Arbeitszeit für viele Beschäftigte stark verändert. Betriebe müssen die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln gewährleisten und Kontakte während der Arbeit stark einschränken. Dort, wo es möglich ist, mussten sie Arbeit von zu Hause zulassen. Dies führte ebenso wie geschlossene Betreuungseinrichtungen dazu, dass Eltern mit betreuungspflichtigen Kindern häufiger zu ungewohnten Zeiten arbeiteten als vor der Pandemie.
Wie eine Beschäftigtenbefragung des IAB zeigt, hatte im April 2020 ein Viertel der Befragten ihre Arbeitszeitlage verändert. Bis Oktober 2020 sank dieser Anteil auf 11 Prozent. Mit den steigenden Infektionszahlen und erneuten Schulschließungen ab November 2020 dürfte dieser Anteil zwar in den Folgemonaten wieder gestiegen sein. Aufgrund der niedrigen Inzidenzen im Sommer 2021 dürften viele Beschäftigte zwischenzeitlich jedoch wieder zu den gewohnten Arbeitszeiten zurückgekehrt sein.
Beschäftigte haben ihre Arbeitszeit besonders häufig pandemiebedingt angepasst, wenn sie Homeoffice nutzen und/oder betreuungspflichtige Kinder haben. Letzteres trifft auf Mütter jedoch stärker zu als auf Väter. Dass mehr Menschen als vor der Pandemie etwa am Wochenende oder abends arbeiten, ist Ausdruck der Tatsache, dass die Pandemie Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen zu größerer Flexibilität gezwungen hat. Das ist insofern positiv zu bewerten, als es sowohl den betrieblichen Arbeitsalltag als auch die Wahrnehmung von Betreuungspflichten (zum Beispiel wegen Homeschooling) in der Pandemie vielfach erleichtert hat.
Die erzwungene Flexibilität birgt jedoch zugleich Risiken, denn damit verschwimmen noch stärker als vor der Pandemie die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben. So könnten mit der zeitlichen Entgrenzung des Arbeitstags auch die nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen notwendigen gesetzlichen Ruhezeiten nach Feierabend und am Wochenende an Bedeutung verlieren.
Daten und Methoden
Datengrundlage ist das Linked Personnel Panel (LPP), eine zweistufige Panelbefragung von Betrieben und deren Beschäftigten, die im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfindet. Die Befragung ist repräsentativ für Betriebe der deutschen Privatwirtschaft mit mindestens 50 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Ruf et al. 2020). Die Daten aus der Zeit der Covid-19-Pandemie entstammen einer Online-Zusatzerhebung (Frodermann et al. 2020). Diese richtete sich an Personen, die im Jahr 2019 an der LPP-Beschäftigtenbefragung teilgenommen und dort angegeben hatten, bei ihrer Arbeit digitale Informations- und Kommunikationstechnologien wie Computer, Laptop, Tablet oder Smartphone zu verwenden (85 Prozent der Befragten). Davon haben 2.103 zugestimmt, an einer weiteren Befragung teilzunehmen, die außerhalb des regulären Zwei-Jahres-Rhythmus stattfand. Die Mehrheit der Antworten in der jeweiligen Welle wurde im April (Welle 1), Juni (Welle 2) und Oktober (Welle 3) 2020 gegeben. Im Text werden daher diese drei Monate zur Identifikation der Befragungswellen verwendet.
Die Anteile der Personen, die angegeben haben, teilweise oder ausschließlich zu anderen Tageszeiten oder an anderen Tagen zu arbeiten, sind gewichtet. Dabei wurden Personen ausgeschlossen, die den Arbeitgeber gewechselt haben, freigestellt sind oder eine Arbeitszeit von 0 Stunden haben. Die Ergebnisse können auf die Grundgesamtheit aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten übertragen werden, die a) digitale Informations- und Kommunikationstechnologien während ihrer Arbeit verwenden und b) in privatwirtschaftlichen Betrieben mit mindestens 50 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiten. Dies trifft auf etwa 40 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland zu.
Literatur
Backhaus, Nils; Brauner, Corinna; Tisch, Anita (2019): Auswirkungen verkürzter Ruhezeiten auf Gesundheit und Work-Life-Balance bei Vollzeitbeschäftigten: Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2017. Z. Arb. Wiss. 73, S. 394–417.
Frodermann, Corinna; Grunau, Philipp; Haepp, Tobias; Mackeben, Jan; Ruf, Kevin; Steffes, Susanne; Wanger, Susanne (2020): Online-Befragung von Beschäftigten: Wie Corona den Arbeitsalltag verändert hat. IAB-Kurzbericht Nr. 13.
Globisch, Claudia; Osiander, Christopher (2020): Sind Frauen die Verliererinnen der Covid-19-Pandemie? In: IAB-Forum, 12.11.2020.
Robelski, Swantje; Steidelmüller, Corinna; Pohlan, Laura (2020): Betrieblicher Arbeitsschutz in der Corona-Krise. In: IAB-Forum, 28.10.2020.
Ruf, Kevin; Mackeben, Jan; Haepp, Tobias; Wolter, Stefanie; Grunau, Philipp (2020): Linked Personnel Panel 1819. Arbeitsqualität und wirtschaftlicher Erfolg: Längsschnittstudie in deutschen Betrieben (Datendokumentation der vierten Welle). FDZ-Datenreport Nr. 11.
Wanger, Susanne; Weber, Enzo (2021): Schul- und Kitaschließungen, Krankheit, Quarantäne – die coronabedingten Arbeitsausfälle der Erwerbstätigen steigen auf 59,2 Millionen Arbeitstage. In: IAB-Forum, 08.02.2021.
Frodermann, Corinna ; Grunau, Philipp; Wanger, Susanne; Wolter, Stefanie (2021): „Nine to five“ war gestern: In der Pandemie haben viele Beschäftigte ihre Arbeitszeiten verlagert, In: IAB-Forum 20. Juli 2021, https://www.iab-forum.de/nine-to-five-war-gestern-in-der-pandemie-haben-viele-beschaeftigte-ihre-arbeitszeiten-verlagert/, Abrufdatum: 18. December 2024
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Autoren:
- Corinna Frodermann
- Philipp Grunau
- Susanne Wanger
- Stefanie Wolter