1000 Euro im Monat – einfach so und für jeden. Das ist die Kernidee des bedingungslosen Grundeinkommens, um dessen Für und Wider seit Jahren leidenschaftlich gestritten wird – nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der Öffentlichkeit. So blieb denn auch bei den Nürnberger Gesprächen, die am 7. Mai 2018 im Heilig-Geist-Saal der Frankenmetropole stattfanden, kaum ein Stuhl leer. Und auch die zahlreichen, teils emotionalen Wortbeiträge aus dem Publikum zeigten: Das Thema trifft einen Nerv.

Diese Erfahrung machten auch Heinrich Alt, ehemals Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, und Prof. Anke Hassel, Direktorin des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Beide hatten sich in Beiträgen für die Süddeutsche Zeitung (Alt / Hassel) klar gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ausgesprochen – und sich damit viele persönliche Angriffe eingehandelt.

Möller: „Selbst Ein-Euro-Jobber fühlen sich noch glücklicher als Arbeitslose“

Dabei ist es weniger das Ziel, das Gegner und Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens trennt – nämlich finanzielle Absicherung und soziale Teilhabe der Menschen sicherzustellen –, als der Streit darüber, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Dies machte IAB-Direktor Joachim Möller in seinem Einführungsvortrag deutlich. Arbeit sei für die einen wie die anderen ein sinnstiftendes Element. Auch das IAB könne hierzu mit einer Vielzahl von Belegen aufwarten – etwa dem Befund, dass sich selbst Ein-Euro-Jobber noch glücklicher fühlen als Arbeitslose.

Unterschiedliche Modelle des bedingungslosen Grundeinkommens

In der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen bleibt vielfach unbeachtet, dass es eine Vielzahl an unterschiedlichen Modellen gibt, die teilweise in ganz unterschiedliche Richtungen gehen. Dies machte Ronald Blaschke deutlich, Mitgründer des Netzwerks Grundeinkommen und Herausgeber mehrerer Bücher zum Thema. Vereinfacht gesprochen stehen sich das „neoliberale Modell“, das beispielsweise der Ökonom Thomas Straubhaar verficht, und das „humanistische Modell“, das unter anderem von Blaschke selbst befürwortet wird, gegenüber. Im ersten Modell sollen alle bisherigen Sozialleistungen durch das bedingungslose Grundeinkommen ersetzt werden, im zweiten wird das bedingungslose Grundeinkommen zusätzlich  gezahlt. Dass die finanziellen und verteilungspolitischen Implikationen – trotz der gleichen Begrifflichkeit – unterschiedlicher kaum sein könnten, liegt auf der Hand (eine Übersicht über die verschiedenen Modelle finden Sie hier).

Blaschke will denn auch – anders als die Vertreter des neoliberalen Modells – weder den Mindestlohn, das Wohngeld oder andere Sozialleistungen abschaffen. Im Gegenteil: Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung möchte er am liebsten zu einer Bürger/-innenversicherung ausbauen. Auch die Jobcenter und Arbeitsagenturen sollen weiterhin Beratungsleistungen anbieten. Wegfallen könne aber die „Bedürftigkeitsprüfungsmaschinerie“ von Hartz IV, die „Sozialdetektive“, die „Sanktionen“. Stattdessen geht es Blaschke um das „Menschenrecht der selbstbestimmten Lebensgestaltung“ und um „Befähigungsförderung“.

Hassel: „Arbeit ist wichtig für die soziale Integration“

Prof. Dr. Anke Hassel

Prof. Dr. Anke Hassel, Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung

WSI-Chefin Anke Hassel überzeugt er damit nicht. Ihr geht es um „gute Arbeit für alle zu guten Löhnen“. Die Menschen, so glaubt sie, wollen arbeiten. Die Begegnung am Arbeitsplatz sei essenziell für die soziale Integration. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, so ihre Befürchtung, werde Arbeit entwertet. Arbeitgeber hätten dann keine Scheu mehr davor, Beschäftigte mit Hungerlöhnen abzuspeisen. Auch sieht die Forscherin, die stattdessen für deutlich höhere Löhne am unteren Rand plädiert, keine breite politische und gesellschaftliche Akzeptanz für ein bedingungsloses Grundeinkommen – was Blaschke mit dem Hinweis kontert, dass beispielsweise auch das Frauenwahlrecht nur gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt werden konnte.

Als weiteren Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens hatten die Veranstalter Georg Schürmann eingeladen, Chef der Nachhaltigkeitsbank Triodos Deutschland. Schürmann warnt davor, Menschen auf Erwerbsarbeit zu reduzieren. Die Digitalisierung der Wirtschaft werde zu deutlichen Jobverlusten führen. In der Finanzbranche fielen jährlich gut drei Prozent der Stellen weg. Dabei seien es sogar eher die Höherqualifizierten, deren Stellen als erstes wegrationalisiert würden. Angesichts dieser Entwicklung könne ein Grundeinkommen den Menschen ein kreatives und selbstbestimmtes Leben ermöglichen.

Alt: „Wenn wir Flüchtlingen ein bedingungsloses Grundeinkommen anbieten, wären die Integrationsbemühungen tot.“

Heinrich Alt

Heinrich Alt, Ehemaliges Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit

Heinrich Alt indes hält das Szenario, dass Deutschland bald die Arbeit ausgehe, für unrealistisch. Schon vor Jahrzehnten habe etwa der Soziologe Ralf Dahrendorf das „Ende der Arbeitsgesellschaft“ ausgerufen. Dass auch heute wieder derartige Unkenrufe erschallen, ist nach Alts Einschätzung dem Umstand geschuldet, dass „wir zwar sehr deutlich sehen, welche Jobs wegfallen, aber nicht, welche hinzukommen“. Mit Hassel weiß Alt sich zudem einig, dass Erwerbsarbeit für viele Menschen der Schlüssel zur sozialen Integration sei. „Wenn wir unseren Flüchtlingen ein bedingungsloses Grundeinkommen anbieten, dann sind die Integrationsbemühungen tot.“, glaubt der ehemalige BA-Manager. Außerdem gebe es schon heute ein Grundeinkommen für vier Millionen Menschen, die Grundsicherung beziehen, weil sie krank sind, Kinder versorgen oder Angehörige pflegen – nur eben nicht bedingungslos. „Jeder sollte selbst für seinen Unterhalt verantwortlich sein. Nur wenn er das nicht kann, springt die Gesellschaft ein.“

Schürmann: Stärkere Besteuerung der Wertschöpfung

Georg Schürmann

Georg Schürmann, Geschäftsleiter der Triodos Bank N.V. Deutschland

Natürlich sind auch die hohen Kosten des Grundeinkommens und die Frage, wie diese finanziert werden sollen, ein Knackpunkt. Blaschke beziffert die Kosten seines Modells unterm Strich auf 400 Milliarden – und möchte diese vor allem durch höhere Steuern für Spitzenverdiener und Vermögende gegenfinanzieren. Schürmann hingegen setzt insbesondere auf eine Wertschöpfungssteuer, wie sie auch vom Ökonomen Thomas Straubhaar für die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens vorgeschlagen wurde. Während Blaschke es lediglich für eine Frage des politischen Willens hält, die erforderlichen Steuermehreinnahmen zu generieren, warnt Alt davor, dass zu hohe Steuern zwangsläufig Ausweichreaktionen provozieren, etwa indem Reiche ihren Wohnsitz ins Ausland verlagern und die Schwarzarbeit wieder zunimmt.

Blaschke: Lebensphasenspezifische Einführung des Grundeinkommens

Ronald Blaschke

Ronald Blaschke, Mitgründer des Netzwerks Grundeinkommen und Herausgeber mehrerer Bücher zum Thema

Wie könnte ein schrittweiser Systemwechsel hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen aussehen? Hier empfiehlt Blaschke eine lebensphasenspezifische Einführung. So hält er eine allgemeine Grundrente nach skandinavischem Vorbild ebenso für wünschenswert wie eine Kindergrundsicherung oder staatlich finanzierte Sabbaticals für die Pflege von Angehörigen. Auch die Abschaffung der Sanktionen im Hartz-IV-Bereich wäre aus Blaschkes Perspektive ein Schritt in die richtige Richtung.

„Wir können ein Paradies haben“

Gerhard Schröder

Moderator Gerhard Schröder vom Deutschlandradio

Gegen Ende der Diskussion öffnete Moderator Gerhard Schröder, Journalist beim Deutschlandradio, die Runde für Fragen und Kommentare aus dem Publikum – und hatte angesichts der Flut an engagierten Wortmeldungen seine Mühe, sowohl den Zeitrahmen ein-, als auch die teils überschießenden Emotionen in Zaum zu halten. Welche hochgesteckten Erwartungen sich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen mitunter verbinden, zeigte exemplarisch die Wortmeldung  eines freischaffenden Künstlers. „Wir können ein Paradies haben“, ruft er in den Saal und preist das Grundeinkommen als Beitrag zur Stärkung der Demokratie. Ganz anders der Nürnberger DGB-Chef Stephan Doll, der im bedingungslosen Grundeinkommen einen Plan der Arbeitgeber wittert, sich überschüssiger Arbeitskräfte auf Kosten der Allgemeinheit zu entledigen.

Riedel: „Ich habe Sorge vor der Spaltkraft eines bedingungslosen Grundeinkommens.“

Harald Riedel

Harald Riedel,  Nürnberger  Stadtkämmerer

Zu den Skeptikern zählt auch Nürnbergs Stadtkämmerer Harald Riedel, der stellvertretend für den erkrankten Oberbürgermeister Ulrich Maly das Schlusswort zur Veranstaltung sprach. „Ich habe Sorge vor der Spaltkraft, die mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens verbunden wäre“, und verleiht seiner Sorge Nachdruck, indem er die Probe aufs Exempel wagt – und die rund 350 Zuhörerinnen und Zuhörer bittet, sich per Handzeichen als Befürworter oder Gegner eines bedingungslosen Grundeinkommens zu outen. Sogleich spaltet sich das Auditorium darüber in zwei annähernd gleich große Lager – was einmal mehr den Riss deutlich macht, der auch die Gesellschaft insgesamt in dieser Frage durchziehen dürfte.

 

Die Nürnberger Gespräche werden von der Bundesagentur für Arbeit, unter Federführung des IAB, und der Stadt Nürnberg ausgerichtet.

Die Veranstaltung steht auch als Videocast zur Verfügung.

Kontakt: Martin.Schludi@iab.de

Alle Fotos: Jutta Palm-Nowak, IAB