Frauen verdienen im Schnitt noch immer deutlich weniger als Männer. Die Gründe sind vielfältig und noch nicht vollständig geklärt. Zu den bislang wenig beachteten Einflussfaktoren zählen geschlechtsspezifische Persönlichkeitseigenschaften. Sie dürften insbesondere bei individuellen Gehaltsverhandlungen einen nicht unerheblichen Unterschied machen.

Darüber, dass Männer im Schnitt deutlich mehr verdienen als Frauen, wird schon seit Jahren heftig debattiert. In praktisch allen Staaten bringen berufstätige Frauen im Durchschnitt weniger Geld nach Hause als Männer. Die Gründe hierfür sind vielfältig: So wählen Frauen und Männer unterschiedliche Berufe und treffen unterschiedliche Bildungsentscheidungen. Zudem verlaufen die Karrieren von Männern und Frauen auch innerhalb derselben Berufe unterschiedlich. Insbesondere die Erziehung von Kindern trägt zum Lohnrückstand bei, da Frauen diese Aufgabe im Allgemeinen häufiger übernehmen.

Doch selbst wenn man all diese Faktoren herausrechnet und nur Männer und Frauen mit den gleichen Berufen, in den gleichen Branchen, mit der gleichen Bildung und der gleichen Arbeitsmarkterfahrung vergleicht, bleibt immer noch eine Lohnlücke von etwa 10 Prozent. Es muss also noch andere Gründe für die Lohnlücke geben. Neben einer – möglicherweise unbewussten – Diskriminierung von Frauen könnten weitere Unterschiede zwischen den Geschlechtern eine Rolle spielen, die bislang in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion noch nicht hinreichend berücksichtigt wurden.

Wie Persönlichkeitseigenschaften zu Lohnlücken führen könnten

Ein relativ junger Erklärungsansatz sind unterschiedliche Persönlichkeitseigenschaften von Frauen und Männern. Die Forschung, insbesondere aus der Psychologie, hat gezeigt, dass sich Frauen und Männer in ihren Persönlichkeitsmerkmalen tendenziell unterscheiden. So sind Frauen risiko- und konfliktscheuer als Männer. Die ökonomische Forschung, zum Beispiel eine Studie von Guido Heineck und Silke Anger aus dem Jahr 2010, zeigt zudem, dass es einen statistischen Zusammenhang zwischen bestimmten Persönlichkeitseigenschaften und der Höhe der Löhne gibt. Vor dem Hintergrund dieser beiden Forschungsstränge wäre also denkbar, dass Persönlichkeitsmerkmale zumindest einen Teil der Lohnlücke zwischen den beiden Geschlechtern erklären.

In einer aktuellen Studie hat der Autor dieses Beitrags nun genau diesen Sachverhalt untersucht. Darin werden verschiedene Kanäle analysiert, über die Persönlichkeitseigenschaften die Geschlechterlohnlücke beeinflussen könnten. Einer dieser Kanäle sind Gehaltsverhandlungen. Wie etwa Linda Babcock und Sara Laschever in einer 2009 erschienenen Studie zeigen, verhandeln Frauen weniger häufig um Gehaltserhöhungen. Dies könnte auch eine Folge von Unterschieden in den Persönlichkeitseigenschaften sein.

Gerade weil Frauen im Durchschnitt konfliktscheuer sind, könnten sich beispielsweise Männer in Gehaltsverhandlungen eher durchsetzen und deshalb trotz gleicher Produktivität mehr verdienen. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Gewissenhaftigkeit könnten sich auch auf die Produktivität auswirken. Wenn sich dieses Merkmal zwischen Männern und Frauen unterscheidet, könnte es zur Lohnlücke zwischen den Geschlechtern beitragen.

Ein weiterer wichtiger Kanal könnte die Berufswahl sein. Eine Studie von Katrin John und Stephan Thomsen aus dem Jahr 2014 zeigt, dass Persönlichkeitseigenschaften eng mit der Berufswahl verknüpft sind. Wenn Männer zum Beispiel aufgrund ihrer Persönlichkeitsmerkmale eher höher bezahlte Berufe wählen, könnte dies ebenfalls die Lohnlücke vergrößern.

Schließlich wäre es möglich, dass sich Männer und Frauen nicht unbedingt in ihren Persönlichkeitseigenschaften unterscheiden, diese aber unterschiedlich bewertet werden. Risikobereitschaft als Eigenschaft etwa könnte einem typisch männlichen Stereotyp entsprechen und so für Männer von Vorteil sein, nicht aber für Frauen, da dieses Persönlichkeitsmerkmal nicht dem typisch weiblichen Stereotyp entspricht.

Eine unterschiedliche Bewertung der gleichen Merkmale könnte außerdem schon beim Zugang zu bestimmten Berufen eine Rolle spielen. So wäre es denkbar, dass Extraversion bei Männern die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine bestimmte Stelle zu erhalten, bei Frauen aber, die sich auf die gleiche Stelle bewerben, anders bewertet wird und sie die Stelle deshalb nicht erhalten.

Die Studie hat sich ebenfalls mit der Frage befasst, ob sich der Effekt von Persönlichkeitseigenschaften je nach Gehaltsniveau unterscheidet. Solche Eigenschaften könnten beispielsweise zwar in hoch bezahlten Jobs, bei denen individuelle Gehaltsverhandlungen häufiger sind, die Lohnsetzung beeinflussen, nicht jedoch bei niedriger bezahlten Jobs. Denn diese sind zum Beispiel öfter durch Tarifverträge gedeckt.

Im Sozio-oekonomischen Panel werden unterschiedliche Persönlichkeitseigenschaften erhoben

Um die möglichen Wirkungsmechanismen empirisch zu untersuchen, nutzt die Studie Befragungsdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), das seit 1984 jährlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erhoben wird. In einigen Wellen enthält die Befragung Fragenblöcke zu Persönlichkeitseigenschaften, konkret zu den „Big Five“ (Neurotizismus, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Offenheit), der Kontrollüberzeugung, der Reziprozität und der Risikoaversion (siehe Infokasten „Persönlichkeitseigenschaften im Sozio-oekonomischen Panel“).

Persönlichkeitseigenschaften im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP)

Das Sozio-oekonomische Panel enthält verschiedene Maße, um Persönlichkeitseigenschaften zu messen. Die folgenden werden in der Analyse verwendet:

Das Big-Five-Modell misst fünf Aspekte von Persönlichkeit auf einem Kontinuum mit jeweils folgenden Endpunkten:
– Extraversion erfasst Geselligkeit versus Reserviertheit.
– Neurotizismus erfasst emotionale Labilität versus Stabilität.
– Verträglichkeit erfasst Kooperationsbereitschaft versus Egoismus.
– Gewissenhaftigkeit erfasst Zielstrebigkeit versus Ungenauigkeit.
– Offenheit für neue Erfahrungen erfasst Wissbegierigkeit und Neugier versus Präferenz für Bekanntes.

Zusätzlich enthält der Datensatz einen Index für externale Kontrollüberzeugung. Er bildet ab, inwieweit Befragte glauben, den Gang ihres Lebens selbst kontrollieren zu können. Ein höherer Wert bedeutet, dass Individuen ein Ereignis eher als Ergebnis externer Faktoren wahrnehmen anstatt als Konsequenz des eigenen Handelns.

Die Daten beinhalten außerdem Maße für positive und negative Reziprozität. Diese messen, inwieweit Personen auf positives Verhalten ebenfalls positiv reagieren oder negatives Verhalten sanktionieren.

Ein weiteres Maß ist die Risikobereitschaft. Sie erfasst, inwieweit Befragte bereit sind, Risiken einzugehen, oder sich risikoscheu verhalten.

Deskriptive Auswertungen dieser Daten zeigen, dass sich erwerbstätige Männer und Frauen bei fast allen Maßen unterscheiden (siehe Abbildung 1). Demnach sind Männer im Durchschnitt deutlich risikobereiter als Frauen. Zugleich weisen Männer geringere Werte bei Verträglichkeit und Neurotizismus auf. Letzteres bedeutet, dass sie sich weniger Sorgen machen und weniger schnell nervös werden. Frauen hingegen zeigen mehr Offenheit für neue Erfahrungen, höhere Werte bei der Extraversion sowie eine im Durschnitt höhere Gewissenhaftigkeit. Insgesamt zeigen sich also deutliche Geschlechterunterschiede, die sich im Lohnniveau niederschlagen könnten.

Abbildung 1 zeigt die Geschlechterunterschiede bei folgenden Persönlichkeitsmerkmalen: Neurotizismus, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Offenheit, externale Kontrollüberzeugung, Reziprozität und Risikoaversion. Dabei zeigt sich, dass Männer ein höheres Maß Risikobereitschaft und Reziprozität aufweisen als Frauen, während Frauen bei den anderen Persönlichkeitsmerkmalen höhere Werte erreichen als Männer. Quelle: SOEP v32, 1991–2015, eigene Berechnungen. © IAB

Die genderspezifische Lohnlücke in den Daten der Studie beträgt 26 Prozent. Um den Anteil, der durch Persönlichkeitseigenschaften erklärt werden kann, zu bestimmen, müssen andere geschlechtsspezifische Unterschiede herausgerechnet werden. So unterscheiden sich Männer und Frauen etwa hinsichtlich der Bildung, der Arbeitsmarkterfahrung oder auch hinsichtlich der Firmen, in denen sie arbeiten.

Um diese Effekte herauszurechnen, nutzt die Studie eine sogenannte Dekompositionsmethode. Damit lässt sich für jedes Persönlichkeitsmerkmal ermitteln, wie groß dessen Beitrag zur Lohnlücke ist. Unterschiedliche Charakteristika können hierbei durch Mittelwertunterschiede zwischen den Gruppen zur Lohnlücke beitragen, etwa weil Frauen im Durchschnitt risikoscheuer sind als Männer, oder durch unterschiedliche Entlohnung einzelner Merkmale, etwa weil Frauen für risikoreiches Verhalten nicht besser entlohnt werden, Männer aber schon. Die Dekompositionsanalyse liefert somit ein differenziertes Bild über die Zusammensetzung der Geschlechterlohnlücke.

Persönlichkeitseigenschaften erklären 7 bis 9 Prozent der Geschlechterlohnlücke

Die Ergebnisse der Dekomposition zeigen, dass Persönlichkeitseigenschaften 7 bis 9 Prozent der durchschnittlichen Lohnlücke erklären können, also etwa 2,3 Prozentpunkte der 26-prozentigen Lücke, die sich aus den vorliegenden Daten ergibt. Zum Vergleich: In den USA erklären laut einer Studie von Francine Blau und Lawrence Kahn Geschlechterunterschiede in der Arbeitsmarkterfahrung etwa 15 Prozent der Lohnlücke. Insofern ist der Beitrag von Persönlichkeitseigenschaften hierzulande zwar moderat, aber keineswegs zu vernachlässigen.

Betrachtet man die Ergebnisse der Studie genauer, so zeigt sich, dass vor allem Geschlechterunterschiede bei Verträglichkeit und Kontrollüberzeugung die Ergebnisse beeinflussen. So ist denkbar, dass „verträglichere“ Personen bei Gehaltsverhandlungen defensiver auftreten. Ebenso könnte eine hohe externale Kontrollüberzeugung darauf hindeuten, dass man seltener Gehaltsverhandlungen anstrebt, weil man sich davon ohnehin nur wenig verspricht.

Wenn also, wie in Abbildung 1 gezeigt, Frauen einen höheren Grad an Verträglichkeit aufweisen, könnte dies dazu führen, dass Frauen auch bei Gehaltsverhandlungen eher nachgeben. Die Studie findet hingegen kaum Hinweise darauf, dass Männer und Frauen für die gleichen Merkmale unterschiedlich entlohnt werden. So ist etwa die Korrelation zwischen Neurotizismus und Lohn für Männer und Frauen nicht signifikant unterschiedlich.

Die Ergebnisse der Analyse ändern sich kaum, wenn man die Effekte der Berufswahl herausrechnet. Systematische Geschlechterunterschiede in der Berufswahl, die durch Persönlichkeitseigenschaften bedingt sind, scheinen also eine untergeordnete Rolle zu spielen.

Abbildung 2 zeigt, dass der prozentuale Anteil der geschlechtsspezifischen Lohnlücke, der durch Persönlichkeitseigenschaften erklärt wird, mit der Lohnhöhe steigt. Dieser liegt bei sehr niedrigen Löhnen nur zwischen zwei und drei Prozent, und steigt bei hohen Einkommen auf fast zwölf Prozent. Quelle: SOEP v32, 1991–2015, eigene Berechnungen. © IAB

Persönlichkeitseigenschaften spielen hingegen eine umso größere Rolle für die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, je höher das Lohnniveau ist. So erklären Persönlichkeitsmerkmale am oberen Ende der Lohnverteilung bis zu 12 Prozent der Lohnlücke, jedoch nur 2 Prozent am unteren Ende (siehe Abbildung 2). Dies deutet ebenfalls darauf hin, dass individuelle Gehaltsverhandlungen ein wichtiger Mechanismus für geschlechtsspezifische Lohndifferenzen sein könnten.

Fazit

Persönlichkeitseigenschaften können einen Teil der Geschlechterlohnlücke erklären. Insbesondere ihr Einfluss auf das Ergebnis individueller Gehaltsverhandlungen dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen. Denn der Teil der Lohnlücke, der mit Persönlichkeitseigenschaften erklärt werden kann, steigt mit der Lohnhöhe. Dies wiederum dürfte vor allem der Tatsache geschuldet sein, dass individuelle Gehaltsverhandlungen bei Besserverdienern häufiger vorkommen als bei Geringverdienern. Die Studie findet hingegen kaum Hinweise darauf, dass Frauen und Männer für die gleichen Eigenschaften unterschiedlich entlohnt werden.

Die Einflusskanäle können allerdings nicht direkt überprüft werden, da beispielsweise keine Daten zu Gehaltsverhandlungen vorliegen. Hierfür ist weitere Forschung erforderlich. Es ist zudem nicht komplett ausgeschlossen, dass die Lohnhöhe selbst Persönlichkeitseigenschaften beeinflusst, auch wenn die Forschung zeigt, dass sich die hier verwendeten Eigenschaften im Erwachsenenalter kaum ändern.

Die Studienergebnisse legen nahe, bestimmte Persönlichkeitseigenschaften im Bildungssystem gezielt zu fördern. Dies schlägt beispielsweise der US-amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger James Heckman in einer Studie vor, die er 2006 gemeinsam mit Jora Stixrud und Sergio Urzua verfasst hat. Er hat gezeigt, dass insbesondere Mädchen stark auf Maßnahmen reagieren, die bestimmte Persönlichkeitseigenschaften stärken sollen. Die schulische Förderung einer internalen Kontrollüberzeugung oder einer etwas höheren Risikobereitschaft (letztere dürfte zum Beispiel die Neigung, ein Unternehmen zu gründen, positiv beeinflussen) könnte also langfristig dazu beitragen, die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern wieder etwas zu schließen.

Literatur

Babcock, Linda; Laschever, Sara (2009): Women don’t ask. Princeton: University Press.

Blau, Francine, D.; Kahn, Lawrence M. (2000): Gender Differences in Pay. In: Journal of Economic Perspectives, Vol. 14, No. 4, S. 75–99.

Collischon, Matthias (2021): Personality Traits as a Partial Explanation for Gender Wage Gaps and Glass Ceilings. In: Research in Social Stratification and Mobility, Vol. 73, Art. 100596.

John, Katrin; Thomsen, Stephane L. (2014): Heterogeneous returns to personality: the role of occupational choice. In: Empirical Economics, Vol. 47, Issue 2, S. 553–592.

Heckman, James J.; Stixrud, Jora; Urzua, Sergio (2006): The effects of cognitive and noncognitive abilities on labor market outcomes and social behavior. In: Journal of Labor economics, Vol. 24, No. 3, S. 411–482.

Heineck, Guido; Anger, Silke (2010): The returns to cognitive abilities and personality traits in Germany. In: Labour economics, Vol. 17, No. 3, S.  535–546.

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20220118.01

Collischon, Matthias (2022): Persönlichkeitsmerkmale tragen insbesondere bei hohen Einkommen zur Lohnlücke zwischen den Geschlechtern bei, In: IAB-Forum 18. Januar 2022, https://www.iab-forum.de/persoenlichkeitsmerkmale-tragen-insbesondere-bei-hohen-einkommen-zur-lohnluecke-zwischen-den-geschlechtern-bei/, Abrufdatum: 17. November 2024