3. April 2023 | Internationale und regionale Arbeitsmärkte
Regionale Arbeitsmarktprognosen (Stand: März 2023)
Jörg Heining , Anja Rossen , Christian Teichert , Antje Weyh , Daniel Jahn
Die Arbeitsmarktakteure sind bei Entscheidungen, die die künftige Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt betreffen, auf Prognosen angewiesen. In Anlehnung an die Arbeitsmarktprognose des IAB auf Bundesebene erstellt das Regionale Forschungsnetz des IAB daher auch Prognosen für Bundesländer und Arbeitsagenturbezirke (detaillierte Tabellen finden Sie auf der IAB-Website unter „Aktuelle Daten und Indikatoren“). Nachfolgend wird die prognostizierte Entwicklung von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit auf Ebene der Bundesländer beschrieben.
Das IAB geht in seiner aktuellen Frühjahrsprognose für Deutschland davon aus, dass keine wirtschaftlichen Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie mehr zu erwarten sind. Der wirtschaftliche Tiefpunkt ist der Bundesprognose zufolge Anfang 2023 erreicht worden, die Wirtschaft dürfte sich im weiteren Jahresverlauf auf einen leichten Erholungskurs begeben.
Das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) dürfte demnach in der Gesamtbetrachtung für das Jahr 2023 stagnieren, nachdem im vorherigen Jahr noch ein Wachstum von 1,8 Prozent zu verzeichnen war. Der Arbeitsmarkt zeigt sich schon seit längerer Zeit recht robust und dürfte es tendenziell auch im laufenden Jahr bleiben.
Regionale Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung
Das IAB rechnet für 2023 mit einem leichten Beschäftigungsaufbau. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung steigt demnach im Jahresdurchschnitt 2023 voraussichtlich um 1,0 Prozent auf 34,85 Millionen Personen. Mit einem Anstieg von 1,1 Prozent fällt das prognostizierte Beschäftigungswachstum in Westdeutschland dabei höher aus als in Ostdeutschland mit 0,7 Prozent. In beiden Landesteilen ist aber auch ein leichter Beschäftigungsverlust möglich, wie die Prognoseintervalle zeigen.
Die prognostizierte Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung fällt für die einzelnen Bundesländer sehr unterschiedlich aus (siehe Abbildung 1): Die mit Abstand höchsten Anstiege dürften die Stadtstaaten Berlin mit 2,0 Prozent und Hamburg mit 1,9 Prozent verzeichnen, gefolgt von Bremen mit 1,3 Prozent. Leichte Beschäftigungsverluste werden hingegen für Sachsen-Anhalt mit -0,2 Prozent und Mecklenburg-Vorpommern mit -0,1 Prozent prognostiziert.
In den neuen Bundesländern zeigt sich dabei ein deutlicher Unterschied zwischen Berlin auf der einen Seite und den ostdeutschen Flächenländern auf der anderen Seite. Während das relative Beschäftigungswachstum in den ostdeutschen Flächenländern im Durchschnitt bei knapp 0,2 Prozent liegt, ist es in Berlin mit 2,0 Prozent zehnmal so hoch.
Ein möglicher Grund für die dynamischere Beschäftigungsentwicklung ist die Attraktivität Berlins als Hauptstadt. Innerhalb Ostdeutschlands ist sie nicht wie die Flächenländer durch Verrentung oder Abwanderung geprägt. Betrachtet man die Prognoseintervalle in den ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin), so liegt dort ein leichter Rückgang der Beschäftigung im Bereich des Möglichen.
In einigen westdeutschen Bundesländern ist den Prognoseintervallen zufolge ein Beschäftigungsverlust ebenfalls nicht auszuschließen. Das trifft für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und das Saarland zu.
Regionale Entwicklung der Arbeitslosigkeit
Das IAB geht davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen 2023 bundesweit um rund 110.000 auf 2,53 Millionen steigt. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit fällt dabei in Westdeutschland mit 4,5 Prozent etwas stärker aus als in Ostdeutschland mit 4,2 Prozent.
Für die einzelnen Bundesländer erwartet das IAB im Jahresvergleich ebenfalls einen Anstieg der Zahl der Arbeitslosen (siehe Abbildung 2). Die Unterschiede zwischen den Bundesländern fallen eher gering aus. Die stärksten Zunahmen werden mit 5,9 Prozent in Bayern und jeweils 5,8 Prozent in Hessen und Thüringen erwartet. Die geringsten Anstiege werden für Berlin mit 1,9 Prozent und Bremen mit 3,2 Prozent prognostiziert.
Die Prognoseintervalle der ostdeutschen Bundesländer reichen hier vom negativen bis in den positiven Bereich (detaillierte Tabellen finden Sie auf der IAB-Website unter „Aktuelle Daten und Indikatoren“). In ganz Ostdeutschland ist daher auch ein Rückgang der Arbeitslosigkeit nicht auszuschließen. In den alten Bundesländern trifft dies nur auf Bremen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern zu.
Regionale Entwicklung der Arbeitslosenquoten
Das IAB rechnet im Jahresdurchschnitt 2023 für Deutschland mit einer Arbeitslosenquote von 5,5 Prozent. Sie steigt damit im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozentpunkte. Wie in den Jahren zuvor ist die erwartete Arbeitslosenquote in Westdeutschland mit 5,1 Prozent niedriger als in Ostdeutschland mit 6,9 Prozent.
Auch im Jahr 2023 variiert die prognostizierte Arbeitslosenquote stark von Bundesland zu Bundesland (siehe Abbildung 3). Die niedrigsten Arbeitslosenquoten werden nach wie vor für Bayern (3,3 %) und Baden-Württemberg (3,6 %) erwartet. Die höchsten Arbeitslosenquoten werden für die Stadtstaaten Bremen (10,4 %) und Berlin (8,9 %) prognostiziert. Damit relativieren sich der vergleichsweise hohe Anstieg der absoluten Arbeitslosenzahlen in Bayern sowie die niedrigen Zunahmen in Berlin und Bremen. In Berlin bleibt die Quote im Vergleich zum Vorjahr konstant. Am stärksten steigt sie voraussichtlich in Sachsen-Anhalt mit 0,4 Prozentpunkten.
Regionale Entwicklung der Arbeitslosigkeit nach Rechtskreisen
Eine getrennte Betrachtung nach Rechtskreisen zeigt, dass der prognostizierte Anstieg der Arbeitslosigkeit größtenteils auf die Entwicklung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zurückzuführen ist. Dieser Teil der Arbeitslosigkeit nahm zuletzt vor allem durch die Registrierung von ukrainischen Geflüchteten in den Jobcentern zu. Zudem umfasst er einen großen Teil des verfestigten Kerns der Arbeitslosigkeit.
Dagegen finden sich im Rechtskreis des SGB III, also in der Arbeitslosenversicherung, überwiegend Personen, die ihre Beschäftigung erst vor Kurzem verloren haben. Die SGB-III-Arbeitslosigkeit reagiert dabei üblicherweise stärker auf konjunkturelle Schwankungen als der SGB-II-Bereich.
Im Bereich der Grundsicherung wird auf Bundesebene ein Anstieg um 84.000 Personen erwartet. Das sind 5,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Während das IAB für Ostdeutschland mit einem Anstieg von 4,8 Prozent rechnet, beträgt die Zunahme in Westdeutschland voraussichtlich 5,3 Prozent. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind mit einer Bandbreite von 1,7 Prozent in Berlin bis 8,4 Prozent in Bayern deutlich größer (siehe Abbildung 4).
Die SGB-II-Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland hatte sich in den vergangenen Jahren vergleichsweise günstig entwickelt. Dafür sind unter anderem demografische Effekte verantwortlich. Für Brandenburg (8,1 %) und Thüringen (7,8 %) werden diesmal neben Bayern (8,4 %) dennoch recht hohe Zuwächse prognostiziert.
Demgegenüber dürfte die SGB-II-Arbeitslosigkeit in den beiden Stadtstaaten Berlin (1,7 %) und Bremen (3,1 %) nicht so stark ansteigen wie in den anderen Bundesländern. Diese Regionen verzeichnen gleichzeitig die höchsten SGB-II-Anteile an allen Arbeitslosen (Bremen: 78,9 %, Berlin: 73,5 %), während Bayern (51,3 %) den mit Abstand niedrigsten Anteil aufweist.
Bei der Betrachtung der Prognoseintervalle zeigt sich ein gemischtes Bild: Mit Ausnahme von Baden-Württemberg ist in Westdeutschland ein Anstieg oder eine Stagnation der SGB-II-Arbeitslosigkeit sehr wahrscheinlich. In Ostdeutschland trifft das nur auf Brandenburg zu. In allen anderen ostdeutschen Flächenländern und Berlin ist auch ein Rückgang der SGB-II-Arbeitslosigkeit möglich.
Bei der SGB-III-Arbeitslosigkeit erwartet das IAB bundesweit einen leichten Anstieg um 24.000 Personen. Das sind 3,0 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Anstieg fällt dabei in Westdeutschland mit 3,0 Prozent etwas höher aus als in Ostdeutschland mit 2,3 Prozent.
Etwas größere Unterschiede zeigen sich auf der Ebene der Bundesländer (siehe Abbildung 5): Die stärksten relativen Anstiege der SGB-III-Arbeitslosigkeit werden in Mecklenburg-Vorpommern (4,6 %) und Hessen (4,0 %) erwartet. In Sachsen-Anhalt beträgt der Anstieg dagegen voraussichtlich nur 1,7 Prozent.
Der Blick auf die SGB-III-Anteile an allen Arbeitslosen zeigt, dass diese nach wie vor in Bayern (48,7 %) und Baden-Württemberg (43,2 %) am höchsten sind. Jedoch liegt laut den Prognoseintervallen in allen Bundesländern auch ein Rückgang der Zahl der SGB-III-Arbeitslosen im Bereich des Möglichen.
Fazit
Die Aussichten für die regionalen Arbeitsmärkte im Jahr 2023 sind trotz zahlreicher Unwägbarkeiten verhältnismäßig stabil. Im Bundesgebiet wird ein Anstieg sowohl der Beschäftigung als auch der Arbeitslosigkeit erwartet. Beide Kennzahlen fallen in Westdeutschland etwas stärker aus als in Ostdeutschland. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit ist mehrheitlich auf die Registrierung von ukrainischen Geflüchteten in den Jobcentern zurückzuführen.
Die Beschäftigungsentwicklung fällt laut Prognose in den drei Stadtstaaten am günstigsten aus, gefolgt von den Flächenländern Hessen und Bayern. Für Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist von einer Stagnation oder einem leichten Rückgang der Beschäftigungszahlen auszugehen.
Die Arbeitslosigkeit steigt in allen Bundesländern. Die regionalen Disparitäten folgen dabei keinem klaren Muster: In Bayern, Thüringen, Hessen und Niedersachsen dürfte die Arbeitslosigkeit stärker steigen, wohingegen in Bremen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg die schwächsten Anstiege erwartet werden.
Die Arbeitslosenquote steigt sowohl in Ost- wie in Westdeutschland um 0,2 Prozentpunkte und weist das bereits bekannte regionale Muster auf: Sie ist in Ostdeutschland etwas höher, vor allem aufgrund der hohen Arbeitslosenquote in Berlin. Bayern und Baden-Württemberg wiederum verzeichnen nach wie vor die niedrigsten Arbeitslosenquoten.
Die Annahmen, die der Bundesprognose zugrunde liegen, bilden auch die Grundlage für die Regionalprognose. Sofern es zu einer weiteren Eskalation des Krieges, einer damit verbundenen Verschärfung der geopolitischen Verwerfungen, einem weiteren Anstieg der Inflation oder zu einer erneuten Finanzkrise kommt, könnte dies den Arbeitsmarkt noch stärker als bisher belasten.
Andererseits könnte die Entwicklung auch günstiger ausfallen, wenn die ökonomischen Kosten des Krieges abnehmen oder die Inflation deutlich sinken sollte. Ferner ist nicht mehr von wirtschaftlichen Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie auszugehen. Angesichts dieser unübersichtlichen Gemengelage sind die Prognosen des IAB auch für dieses Jahr mit besonderen Unsicherheiten behaftet.
In aller Kürze
- Der Arbeitsmarkt präsentiert sich nach wie vor in einer robusten Verfassung. Nach der Regionalprognose des IAB dürfte im Jahr 2023 die Beschäftigung fast im gesamten Bundesgebiet weiter wachsen. Gleichzeitig ist von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in allen Bundesländern auszugehen.
- Der Anstieg der Arbeitslosigkeit findet primär im Bereich der Grundsicherung (Sozialgesetzbuch II/SGB II) statt. Innerhalb dieses Rechtskreises beeinflusst vor allem die Registrierung ukrainischer Geflüchteter in den Jobcentern den Anstieg der Arbeitslosenzahlen.
- Unwägbarkeiten ergeben sich allerdings unter anderem aus der Frage, wie lange der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine noch andauert, wie sich die Energiekrise entwickelt, und ob der hohe Inflationsdruck anhält.
Literatur
Bauer, Anja; Gartner, Hermann; Hellwagner, Timon; Hummel, Markus; Hutter, Christian; Wanger, Susanne; Weber, Enzo; Zika, Gerd (2023): Rekord-Arbeitskräftebedarf in schwierigen Zeiten. IAB-Kurzbericht Nr. 5.
Heining, Jörg; Jahn, Daniel; Rossen, Anja; Teichert, Christian; Weyh, Antje (2023): Regionale Arbeitsmarktprognosen 1/2023. Aktuelle Daten und Indikatoren.
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20230403.01
Heining , Jörg; Rossen, Anja; Teichert, Christian; Weyh, Antje; Jahn, Daniel (2023): Regionale Arbeitsmarktprognosen (Stand: März 2023), In: IAB-Forum 3. April 2023, https://www.iab-forum.de/regionale-arbeitsmarktprognosen-stand-maerz-2023/, Abrufdatum: 17. November 2024
Autoren:
- Jörg Heining
- Anja Rossen
- Christian Teichert
- Antje Weyh
- Daniel Jahn