4. Juli 2023 | Serie „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen und Teilhabe am Arbeitsmarkt“
Teilhabechancengesetz: Männer in geförderter Beschäftigung arbeiten im Schnitt fünf Wochenstunden mehr als Frauen
Mit dem Teilhabechancengesetz möchte die Bundesregierung die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Menschen fördern, die seit langer Zeit arbeitslos sind und Arbeitslosengeld II bezogen haben. Das dort vorgesehene Förderinstrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) können Personen in Anspruch nehmen, die in den sieben Jahren vor Förderbeginn für mindestens sechs Jahre Arbeitslosengeld II bezogen haben und in dieser Zeit höchstens kurzzeitig beschäftigt waren.
In den ersten beiden Jahren der Förderung erhalten Betriebe, die diese Personen beschäftigen, einen Zuschuss von 100 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns, des geltenden Tariflohns oder des kirchenrechtlichen Lohns. Die geförderten Beschäftigten werden zudem durch Job-Coaches betreut, die die Geförderten in vielfältiger Weise bei der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit unterstützen.
Für die Teilnahme an der Förderung zeigte das IAB bereits in seinem Zwischenbericht zur Evaluation des Teilhabechancengesetzes, dass 54 Prozent der förderfähigen Personen Frauen sind, aber nur 38 Prozent der Teilnehmenden (mehr dazu im IAB-Forschungsbericht 3/2021). Damit ist die Förderquote der Frauen ähnlich niedrig wie in vergleichbaren Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in 2019.
Doch auch innerhalb der Gruppe der Geförderten gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede: Wie im Folgenden gezeigt wird, sind die Arbeitszeiten von geförderten Männern länger und deswegen auch die Monatsverdienste höher als die von geförderten Frauen. Die Analyse basiert auf Daten der ersten Welle der Befragung „Lebensqualität und Teilhabe“, die das IAB im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durchführt (weitere Informationen finden Sie im Infokasten „Daten und Methoden“).
Aus Platzgründen beschränken wir uns hier auf die durch das Förderinstrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§16i SGB II) Geförderten. Das Teilhabechancengesetz umfasst auch die Förderung „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ für Personen, die vor dem Förderbeginn seit mindestens zwei Jahren arbeitslos waren (§ 16e SGB II). In weiteren, hier nicht berichteten Analysen zeigen sich für diese Gruppe sehr ähnliche Arbeitszeit-, Monatsverdienst- und Stundenlohn-Unterschiede zwischen Frauen und Männern, wie sie im Folgenden vorgelegt werden.
Geförderte Männer arbeiten zum Großteil in Vollzeit, geförderte Frauen eher in Teilzeit
Die auf Basis der Förderung „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) beschäftigten Männer sind zum Großteil (64 %) in Vollzeit tätig, genauer gesagt mit mehr als 30 Stunden pro Woche. Die geförderten Frauen arbeiten hingegen nur zu 30 Prozent in Vollzeit (siehe Abbildung 1). Im Durchschnitt beträgt die Arbeitszeitdifferenz fünf Stunden pro Woche. Die geringeren Arbeitszeiten könnten zur Folge haben, dass Frauen hinsichtlich ihrer sozialen Teilhabe weniger von der Förderung profitieren als Männer und zudem weniger Erwerbserfahrung sammeln als diese. Dies könnte nach Ende der Förderung Nachteile für Frauen beim Sprung in den ersten Arbeitsmarkt nach sich ziehen.
Es stellt sich die Frage, ob die geförderten Frauen gerne mehr arbeiten würden, oder ob die geringeren Arbeitszeiten ihren Wünschen oder Möglichkeiten entsprechen. Letzteres erschiene vor allem dann plausibel, wenn viele Mütter betreuungspflichtiger Kinder unter den geförderten Frauen wären. Denn gerade Mütter arbeiten häufig in Teilzeit, um Beruf und Familie besser vereinbaren zu können, etwa weil sie keine Ganztagsbetreuung für ihre Kinder finden.
Die Befragungsdaten weisen in der Tat in diese Richtung: 39 Prozent der geförderten Frauen sind Mütter betreuungspflichtiger Kinder, wohingegen nur 17 Prozent der geförderten Männer Väter betreuungspflichtiger Kinder sind. Dieser Unterschied spiegelt den generell höheren Anteil von Personen mit Kindern im Haushalt unter den förderfähigen Frauen gegenüber den Männern wider. Aus den Befunden also folgt nicht, dass Mütter eine höhere Förderquote als Väter aufweisen. Die unterschiedliche Häufigkeit von Kindern im Haushalt erklärt nichtsdestotrotz nur den kleineren Teil der geschlechtsspezifischen Arbeitszeitdifferenz. Vergleicht man nämlich nur kinderlose Personen, bleibt immer noch ein Geschlechterunterschied von 4,3 Arbeitsstunden pro Woche.
Geförderte Frauen erzielen deutlich geringere Monatsverdienste als Männer, aber ähnlich hohe Stundenlöhne
Die eben beschriebenen erheblichen Arbeitszeitunterschiede zwischen geförderten Männern und Frauen schlagen sich in deutlich geringeren Bruttomonatsverdienst der Frauen nieder: Geförderte Männer verdienen im Durchschnitt 1.717 Euro, Frauen nur 1.413 Euro pro Monat (siehe Tabelle 1). Dies entspricht einer prozentualen Differenz von 17,7 Prozent bezogen auf den Durchschnittsverdienst der Männer.
Berücksichtigt man strukturelle Merkmale wie Bildungsabschlüsse, Erwerbserfahrung oder den ausgeübten Beruf, verbleibt noch immer eine geschlechtsspezifische Differenz in den Monatsverdiensten von 13,1 Prozent (siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Die geförderten Frauen verdienen also auch dann noch deutlich weniger pro Monat als Männer, wenn sie in vielen persönlichen und beruflichen Merkmalen übereinstimmen, die in den Befragungsdaten beobachtbar sind. Damit ist ihre materielle Teilhabe geringer als die der geförderten Männer, und sie sind stärker vom Verdienst anderer Haushaltsmitglieder abhängig.
Bei den Stundenlöhnen von Frauen und Männern in der geförderten Beschäftigung zeigen sich allerdings deutlich geringere Unterschiede als bei den Monatsverdiensten. Die prozentuale Differenz der Mittelwerte, die häufig als „unbereinigter Gender Pay Gap“ bezeichnet wird, beträgt hier 3,5 Prozent. Berücksichtigt man wiederum strukturelle Unterschiede, bleibt ein bereinigter Gender Pay Gap bei den Stundenlöhnen von 2 Prozent. Diese Differenz ist in der Stichprobe nicht statistisch signifikant. Damit besteht allenfalls ein sehr kleiner Geschlechterunterschied in den Stundenlöhnen der geförderten Beschäftigten, wenn zahlreiche Strukturunterschiede herausgerechnet werden. Dies zeigt: Der Unterschied in den Monatsverdiensten liegt hauptsächlich an den im Durchschnitt höheren Wochenarbeitszeiten der Männer.
Das Statistische Bundesamt hat 2018 für die Grundgesamtheit der abhängig Beschäftigten in Deutschland einen bereinigten Gender Pay Gap in den Stundenlöhnen von rund 6 Prozent ausgewiesen. Diese Zahl wird oft als Obergrenze für potenzielle Lohndiskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt interpretiert. Der Vergleich macht deutlich: In der geförderten Beschäftigung fällt die potenzielle Lohndiskriminierung von Frauen mit 2 Prozent wesentlich geringer aus als auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Allerdings könnten weitergehende geschlechtsspezifische Unterschiede etwa bei Berufsabschlüssen oder bei der Erwerbserfahrung auch das Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen sein, die Frauen benachteiligen. Das Ausmaß der gesamten Benachteiligung von Frauen wird durch die bereinigte Differenz daher möglicherweise unterschätzt. Folglich sollten die bereinigte und die unbereinigte Differenz idealerweise immer gemeinsam betrachtet werden.
Die Arbeitszeitunterschiede zwischen kinderlosen Frauen und Männern sind kleiner als bei Eltern, aber dennoch erheblich
Eine naheliegende Frage ist, ob die Arbeitszeit- und Verdienstunterschiede zwischen geförderten Frauen und Männern darauf zurückzuführen sind, dass mehr Mütter unter den geförderten Frauen sind. Die Mütter könnten möglicherweise im Durchschnitt einen höheren Anteil der Betreuungspflichten für Kinder übernehmen und deshalb weniger Zeit für Erwerbsarbeit haben. Tabelle 2 reproduziert die Analyse für Mütter und Väter. In Tabelle 3 werden hingegen nur kinderlose Personen betrachtet.
Der durchschnittliche Unterschied in den Arbeitszeiten von Frauen und Männern ist innerhalb der Gruppe der Eltern um zwei Stunden größer als bei kinderlosen Personen. Dies bestätigt die Vermutung, dass Mutterschaft und die ungleiche Verteilung von Betreuungsarbeit für die Erklärung der geringeren Arbeitszeiten der Frauen eine wichtige Rolle spielen. Allerdings liegt der Arbeitszeit-Unterschied bei kinderlosen Frauen und Männern immer noch bei durchschnittlich vier Stunden und ist damit erheblich. Es könnte also auch sein, dass die geförderten Frauen eine stärkere Präferenz für Teilzeitarbeit haben, zum Beispiel aufgrund traditioneller Rolleneinstellungen, und deshalb weniger arbeiten.
Unabhängig von den möglichen Gründen für Teilzeitarbeit schlägt sie sich in deutlich geringeren Monatsverdiensten insbesondere der Mütter gegenüber den Vätern nieder. Hier beträgt der Unterschied durchschnittlich 375 Euro oder 21,5 Prozent bezogen auf den Durchschnittsverdienst der Männer.
Fazit
Die hier präsentierten Ergebnisse stellen ein erstes Zwischenfazit zu den Geschlechtsunterschieden bei diesem Förderinstrument dar. Unklar ist, inwiefern sich die geschlechtsspezifischen Arbeitszeit- und Einkommensunterschiede innerhalb der Förderung auch in Unterschiede bei der sozialen Teilhabe oder der Beschäftigungsfähigkeit übersetzen. In einer weiteren Evaluation des Teilhabechancengesetzes wird das IAB dieser Frage nachgehen. Frühzeitig einsetzende Maßnahmen könnten jedoch möglicherweise dabei helfen, um eine eventuelle Benachteiligung von Frauen innerhalb der Förderung zu reduzieren.
Daten und Methoden
Die Untersuchung verwendet Daten der Befragung „Lebensqualität und Teilhabe“, die das IAB im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durchführt. Die Befragung umfasst sowohl Personen, die durch das Teilhabechancengesetz gefördert werden, als auch eine Kontrollgruppe von Personen, die zwar die Zugangsvoraussetzungen der Förderung erfüllen, aber nicht gefördert werden. Es handelt sich um eine Panelbefragung, dieselben Personen werden also wiederholt befragt.
In der ersten Welle der Befragung, die zwischen Mai 2020 und April 2021 erhoben wurde, wurden insgesamt mehr als 16.000 Interviews geführt. Davon wurden in der hier vorliegenden Analyse 3.219 Interviews verwendet. Diese Interviews sind repräsentativ für die Geförderten des Programmes „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§16i SGB II), die zwischen April und Dezember 2019 in die Förderung eingetreten sind. Weitere Details können dem Feld- und Methodenbericht zur Befragung entnommen werden.
Berechnung der Stundenlöhne
In dieser Untersuchung wurden die Stundenlöhne aus den Angaben der Befragten zu ihren vertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeiten und ihren Bruttomonatsverdiensten berechnet. Die Interviewten können sich an diese Informationen leichter erinnern als an ihren Stundenlohn. Die Angaben der Befragten wurden auf ihre Plausibilität geprüft und unter Verwendung üblicher Verfahren um Ungenauigkeiten bereinigt (zum Beispiel Top-Coding, das heißt, Ausreißer wurden auf den Wert des 99. Perzentils der Lohnverteilung gesetzt). Außerdem wurden fehlende Monatsverdienstangaben imputiert, das heißt auf Basis eines Vorhersagemodells geschätzt.
Berechnung der Arbeitszeit- und Lohnunterschiede und Bereinigung um Strukturmerkmale
Die Merkmalsdifferenzen zwischen Männern und Frauen in der Tabelle wurden mithilfe eines statistischen Verfahrens, der sogenannten Oaxaca-Blinder-Dekomposition, berechnet und analysiert (Blinder, 1973; Oaxaca, 1973). Diese Methode ermöglicht es, Differenzen im Mittelwert eines Merkmals zwischen zwei Gruppen (unbereinigte Differenz) in einen durch beobachtbare Faktoren erklärbaren und einen nicht erklärbaren Teil zu zerlegen. Für die hier durchgeführte Oaxaca-Blinder-Dekomposition wurden folgende Merkmale berücksichtigt: Bildung, Alter, Tage in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, Branche, ausgeübter Beruf, Größe des Betriebes, Kinder unter 18 Jahren im Haushalt, Arbeitsort in Ost- oder Westdeutschland, Migrationshintergrund und Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung vor Förderbeginn.
In aller Kürze
- Arbeitszeiten und Monatsverdienste in der Förderung „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) variieren zwischen Männern und Frauen. Dies zeigen Daten der ersten Welle der Befragung „Lebensqualität und Teilhabe“.
- Die geförderten Männer sind zu 64 Prozent in Vollzeit erwerbstätig, die geförderten Frauen hingegen nur zu 30 Prozent. Im Durchschnitt beträgt die Arbeitszeitdifferenz fünf Stunden pro Woche.
- Die erheblichen Arbeitszeitunterschiede schlagen sich in deutlich geringeren Bruttomonatsverdiensten der Frauen nieder. Bei den Stundenlöhnen zeigen sich nur geringe Unterschiede.
Literatur
Achatz, Juliane et al (2022): Panel Lebensqualität und Teilhabe – Feld- und Methodenbericht der Welle 1. IAB-Forschungsbericht Nr. 8.
Bauer, Frank et al (2021): Evaluation der Förderinstrumente nach §16e und §16i SGB II – Zwischenbericht. IAB-Forschungsbericht Nr. 3.
Blinder, Alan (1973): Wage discrimination: Reduced form and structural estimates. In: Journal of Human Resources 8, S. 436–455.
Oaxaca, Ronald (1973): Male–female wage differentials in urban labor markets. International Economic Review 14, S. 693–709.
Statistisches Bundesamt (2021): Gender Pay Gap 2020: Frauen verdienten 18 % weniger als Männer. Pressemitteilung Nr. 106. (abgerufen am 22. Mai 2023).
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20230704.01
Coban, Mustafa; Friedrich, Martin (2023): Teilhabechancengesetz: Männer in geförderter Beschäftigung arbeiten im Schnitt fünf Wochenstunden mehr als Frauen, In: IAB-Forum 4. Juli 2023, https://www.iab-forum.de/teilhabechancengesetz-maenner-in-gefoerderter-beschaeftigung-arbeiten-im-schnitt-fuenf-wochenstunden-mehr-als-frauen/, Abrufdatum: 18. December 2024
Diese Publikation ist unter folgender Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Autoren:
- Mustafa Coban
- Martin Friedrich