5. August 2024 | Dossier „Teilqualifizierung“
Teilqualifizierungen – ein wirksames, aber politisch umstrittenes Instrument
Teilqualifizierungen, auch Teilqualifikationen genannt, dienen dazu, Qualifikationsdefizite von Beschäftigten und Arbeitslosen abzubauen. Sie bestehen aus zwei- bis sechsmonatigen in sich abgeschlossenen Modulen, in denen den Geförderten berufliche Qualifikationen und Kompetenzen vermittelt werden.
Die Besonderheit dabei: Komplette Berufsausbildungen werden in mehrere solche Module zerlegt. Deren Gesamtlänge orientiert sich an der regulären Ausbildungsdauer in den jeweils geförderten Berufsfeldern, und die Teilnehmenden können sie nacheinander absolvieren. Betriebliche Praxisphasen sind dabei verpflichtend. Im Idealfall sollen Geförderte also durch den Besuch mehrerer Module am Ende einen vollwertigen beruflichen Abschluss erwerben. Aber auch der Besuch einzelner Module soll die Arbeitsmarktchancen der Geförderten verbessern.
Das Ziel von Teilqualifizierungen ist es, den Teilnehmenden den Einstieg in eine Qualifizierung zu erleichtern, wenn längere Weiterbildungsmaßnahmen aufgrund ihrer Dauer nicht infrage kommen – etwa weil die aktuelle Lebenssituation dies nicht zulässt. Auch soll den Teilnehmenden größere Flexibilität geboten werden, da sie selbst entscheiden können und sollen, wann sie welches Modul besuchen.
Teilqualifizierungen richten sich sowohl an Arbeitslose als auch an Beschäftigte. Ein besonderer Fokus liegt auf Geringqualifizierten, also Personen, die nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen oder als „wieder ungelernt“ gelten. Das ist der Fall, wenn ihr beruflicher Abschluss veraltet ist oder sie längere Zeit nicht in dem ursprünglich erlernten Tätigkeitsfeld gearbeitet haben. Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft, deren Abschluss in Deutschland nicht anerkannt ist, können ebenfalls als geringqualifiziert gelten.
Bei der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen fördert die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Teilnahme an einer Teilqualifizierung (zu den Konstruktionsprinzipien von Teilqualifizierungen lesen Sie die Informationsseite „Berufsanschlussfähige Teilqualifikationen“ der BA). Die Förderung geschieht im Rahmen der Förderung beruflicher Weiterbildung (weitere Informationen hierzu finden Sie auf der Informationsseite „Förderung der beruflichen Weiterbildung“ der BA).
Wie bei anderen Qualifizierungsmaßnahmen werden die Kosten der Teilnahme über Bildungsgutscheine übernommen. Während der Teilnahme erhalten Arbeitslose Arbeitslosengeld bei Weiterbildung (Rechtskreis SGB III) oder Bürgergeld (Rechtskreis SGB II). Mehr zur Nutzung von Teilqualifizierungen und zu den Merkmalen der Teilnehmenden lesen Sie in einer zeitgleich ebenfalls im Dossier „Teilqualifizierung“ im IAB-Forum erschienenen Analyse der Autor*innen dieses Beitrags .
Teilqualifizierungen erhöhen die Beschäftigungschancen
Über die Arbeitsmarktwirkungen von Teilqualifizierungen lagen bisher nur wenige empirische Erkenntnisse vor. Das IAB hat nun in einer Studie untersucht, welche Effekte dieses Instrument auf die Beschäftigungschancen geförderter Arbeitsloser haben (lesen Sie hierzu auch den Beitrag der Autor*innen in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie).
Arbeitslose Personen, die an einer Teilqualifizierung teilnahmen, wurden dabei mit ebenfalls arbeitslosen „statistischen Zwillingen“ verglichen. Diese wiesen ansonsten ähnliche Merkmale auf, nahmen jedoch zum Vergleichszeitpunkt nicht an einer Teilqualifizierung teil (weitere Erläuterungen zum Vorgehen finden Sie im Infokasten „Daten und Methoden“).
Vergleicht man diese beiden Gruppen über einen Zeitraum von fünf Jahren, so zeigt sich: Personen, die an einer Teilqualifizierung teilnahmen, waren etwa acht Monate nach Beginn der Fördermaßnahme zu einem deutlich höheren Anteil in Beschäftigung als ähnliche Arbeitslose, die nicht an einer solchen Maßnahme teilgenommen hatten.
Die Teilqualifizierung hat also positive Effekte auf die Wahrscheinlichkeit, beschäftigt zu sein. Der höhere Anteil von Teilnehmenden einer Teilqualifizierung in Beschäftigung ist auch noch 60 Monate oder fünf Jahre nach Beginn der Maßnahme zu beobachten (siehe Abbildung 1).
Der Beschäftigungsanteil der Teilnehmenden stabilisiert sich nach etwa eineinhalb Jahren bei knapp 70 Prozent und ist nach fünf Jahren elf Prozentpunkte höher als der Beschäftigtenanteil bei ähnlichen, nicht teilnehmenden Personen.
Die positiven Wirkungen dürften unter anderem dadurch bedingt sein, dass in etlichen Berufsfeldern, in denen Teilqualifizierungen angeboten werden, die Nachfrage nach Arbeitskräften am Markt derzeit sehr hoch ist. Das trifft beispielsweise auf Personen zu, die Führerscheine erwerben, die sie für eine Tätigkeit als Berufskraftfahrer*in qualifizieren, oder auf Personen, die sich im Bereich Logistik weiterqualifizieren.
Teilqualifizierungen wirken sich positiv auf das Einkommen aus
Diese positiven Wirkungen spiegeln sich auch in den Tagesentgelten der Personen wider, die an einer Teilqualifizierung teilgenommen haben (Personen ohne Beschäftigung gehen hier mit einem Tagesentgelt von null ein): Sie betragen nach fünf Jahren im Durchschnitt 55 Euro und sind um etwa zehn Euro höher als bei Nichtteilnehmenden. In einem Monat macht dies einen Unterschied von insgesamt rund 300 Euro aus. Diese Differenz kann sowohl an den zuvor genannten höheren Beschäftigungswahrscheinlichkeiten als auch an höheren Entgelten liegen. Beide Effekte lassen sich mit den Daten nicht voneinander trennen.
Teilqualifizierungen und Umschulungen schneiden bei den Einkommenseffekten unterschiedlich ab
Teilqualifizierungen sollen im Idealfall zum Nachholen eines Berufsabschlusses führen, ähnlich wie Maßnahmen mit einem Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf (kurz: Umschulungen), die in der Regel zwei bis drei Jahre dauern. Um zu beurteilen, ob eine oder mehrere Teilqualifizierungen eine Alternative zu einer Umschulung darstellen, muss beachtet werden, dass diese beiden Maßnahmen teils in sehr unterschiedlichen Berufsfeldern eingesetzt werden.
Ein Vergleich der beiden Maßnahmen ist daher nur für solche Berufsfelder sinnvoll, in denen die BA beide Maßnahmen fördert und hinreichend große Fallzahlen für tragfähige Vergleiche vorliegen. Dies trifft auf vier Berufsfelder zu: Handelsfachpacker*innen, Maschinist*innen, Tätigkeiten in der Lagerverwaltung und im Werkschutz.
Sowohl bei Umschulungen als auch bei Teilqualifizierungen gibt es mittelfristig positive Beschäftigungseffekte. Bei Umschulungen stellen sich diese Effekte wegen der längeren Dauer allerdings erst später ein. Nach fünf Jahren unterscheiden sich die Beschäftigungseffekte beider Maßnahmen statistisch nicht mehr voneinander.
Allerdings verbessern sich die Einkommen durch Umschulungen stärker als bei Teilqualifizierungen. Der Unterschied beträgt beim Tagesentgelt nach fünf Jahren etwas über fünf Euro – auf einen Arbeitsmonat hochgerechnet sind das rund 150 Euro mehr als bei einer Teilqualifizierung.
Mit anderen Worten: Wer an einer Teilqualifizierung teilnimmt, hat in den vier hier analysierten Berufsfeldern im Vergleich zu einer Umschulung dieselben Beschäftigungschancen. Das Einkommen ist allerdings nicht so hoch wie bei der Teilnahme an einer Umschulung im gleichen Berufsfeld.
Neben den positiven Effekten verbleiben auch Risiken
Trotz der nachweislich positiven Beschäftigungs- und Einkommenseffekte dürften Teilqualifizierungen aber auch in Zukunft ein politisch umstrittenes Thema bleiben. Das hat mehrere Gründe.
Erstens ist unklar, wie viele derjenigen, die an Teilqualifizierungen teilnehmen, am Ende einen beruflichen Abschluss erwerben. Es liegen inner- und außerhalb der BA keine verwertbaren Daten zu erfolgreich absolvierten Externen-Prüfungen bei den Kammern vor. Damit bleibt offen, in welchem Ausmaß dieses wichtige Ziel von Teilqualifizierungen in der Praxis tatsächlich erreicht wird.
In dem hier betrachteten Zeitraum von fünf Jahren durchliefen über 95 Prozent der beobachteten Teilnehmenden nur eine einzige Teilqualifizierung. Das deutet darauf hin, dass eine sequenzielle Qualifizierung mittels Teilnahme an mehreren Modulen der Ausnahmefall und eben nicht die Regel ist.
So hatte auch der Deutsche Gewerkschaftsbund bereits befürchtet, dass Teilqualifizierungen eher dazu dienen, relativ kurzfristig „Berechtigungszertifikate“ auszustellen. Diese sind schnell am Markt verwertbar, führen aber nicht zu einer vollständigen beruflichen Qualifizierung. Solche Befürchtungen scheinen durch die Ergebnisse eher bestätigt als widerlegt.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass durch Teilqualifizierungen ein Prüfungs- und Zertifizierungssystem geschaffen wurde, das parallel zum System der dualen Berufsausbildung existiert. Teilqualifizierungen dürften nicht dazu genutzt werden, das duale System zu untergraben, fordern beispielsweise der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Angesichts der (noch) geringen Bedeutung von Teilqualifizierungen in vielen Berufsfeldern mag diesem Argument praktisch derzeit noch keine größere Bedeutung zukommen.
Allerdings könnten die geschätzten Effekten auf das Tagesentgelt darauf hinweisen, dass nach einer Teilqualifizierung nicht die gleiche tarifliche Eingruppierung erfolgt wie bei einer abgeschlossenen Ausbildung, oder dass Tariflöhne unterlaufen werden. Es ist auch denkbar, dass Personen mit einer Teilqualifizierung von Betrieben mit einer anderen Lohnstruktur eingestellt werden als Personen mit einer abgeschlossenen Ausbildung im gleichen Berufsfeld. Zumindest ein Teil der Teilnehmenden könnte sich dann langfristig besser stellen, wenn sie statt an einer Teilqualifizierungen an einer Umschulung teilnähmen.
In der Konsequenz bedeutet das, dass sowohl Arbeitslose als auch Vermittlungs- und Integrationsfachkräfte in Agenturen für Arbeit und Jobcentern genau abwägen sollten, welche Art der Förderung für welche Personengruppe am besten geeignet ist.
Ein generelles Problem von Teilqualifizierungen liegt darin, dass es zwar grundsätzliche Kriterien für die Maßnahmen gibt, diese aber von jedem Träger nach eigenen oder regionalen Nachfragestrukturen unterschiedlich umgesetzt werden können. Die einzelnen Teilqualifizierungen, die insgesamt zu einem Beruf qualifizieren, können von Anbieter zu Anbieter unterschiedlich zugeschnitten sein. Gleichzeitig müssen für eine Förderung nicht alle Module tatsächlich angeboten werden. Es muss nur plausibel dargelegt werden, dass diese angeboten werden könnten.
Zusammen genommen führt das dazu, dass eine Person, die eine oder sogar mehrere Teilqualifizierungen absolviert hat, eventuell keine weitere Teilqualifizierung beim gleichen Anbieter besuchen kann und das Ziel eines Berufsabschlusses somit scheitert. Gleichzeitig stellt sich ein Wechsel zu einem anderen Anbieter wegen des unterschiedlichen Zuschnitts dieser Maßnahmen als schwierig dar. Dies wäre durch eine zentrale, bundesweit geltende Regelung vermeidbar.
Wichtige Fragen sind zudem, inwieweit über die Förderung mit einer Teilqualifizierung Personengruppen erreicht werden, die andernfalls gar nicht an einer Qualifizierung teilgenommen hätten, oder ob sich Teilqualifizierungen und Umschulungen gegenseitig kannibalisieren. Zur Beantwortung dieser Fragen sind jedoch weitere Forschungserkenntnisse zur Implementation und Wirkung von Teilqualifizierungen nötig.
Verbesserungspotenzial besteht des Weiteren in Hinsicht auf die schlechte Datenlage zu Teilqualifizierungen, die nicht von der BA gefördert werden, und die fehlende bundesweite Standardisierung der Maßnahmen.
Daten und Methoden
Die Analyse nutzt die Integrierten Erwerbsbiographien des IAB (IEB; Version 16.00.01-202012), die auf administrativen Personendaten der Bundesagentur für Arbeit basieren. Informationen zu Inhalt und Struktur der IEB finden sich auf den Internetseiten des Forschungsdatenzentrums des IAB). Die IEB enthalten Informationen zu soziodemografischen Merkmalen sowie zu wichtigen arbeitsmarktrelevanten Daten: Informationen über Bruttoeinkommen sowie (tagesgenaue) Informationen zu abhängiger Beschäftigung, Zeiten der Arbeitslosigkeit und Arbeitsuche, zum Bezug von Arbeitslosengeld (Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II oder Bürgergeld) sowie zur Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
Betrachtet werden Zugänge in geförderte Maßnahmen in den Jahren 2015 bis 2020. Für diesen Zeitraum finden sich vor Datenbereinigung über 45.000 Zugänge in Teilqualifizierungen. Die Auswertung beschränkt sich auf arbeitslose Personen, die etwa 85 Prozent aller Geförderten in diesem Zeitraum ausmachen. Zudem werden für die Analysen sowohl Personen ausgeschlossen, die vor Beginn der Teilqualifizierung weniger als eine Woche arbeitslos gemeldet waren, als auch solche, deren Teilqualifizierung planmäßig länger als ein Jahr dauern sollte. Zusätzlich werden nur Teilqualifizierungen einbezogen, die innerhalb des ersten Jahres nach Beginn der Arbeitslosigkeit begonnen haben.
Das Analysesample umfasst 26.865 Teilnehmende an Teilqualifizierungen. Um im Rahmen der Analysen eine geeignete Vergleichsgruppe ermitteln zu können, wurde eine Zufallsstichprobe an Personen gezogen, die zwischen 2015 und 2020 in Arbeitslosigkeit eingetreten sind und mindestens eine Woche lang arbeitslos waren (N = 548.414).
Für die Wirkungsanalysen wurde der Effekt der Förderung auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sowie das Tagesentgelt mittels eines sogenannten Propensity Score Matching geschätzt. Das Tagesentgelt bezieht sich dabei auf alle Kalendertage, für die eine Lohnzahlung erfolgt (nicht nur auf die Arbeitstage). Für Tage, an denen eine Person nicht in Beschäftigung ist, wird das Tagesentgelt für die Analysen auf null gesetzt. Diese Methode identifiziert für jede teilnehmende Person einen oder mehrere sogenannte „statistische Zwillinge“, also Personen, die den Teilnehmenden in möglichst vielen arbeitsmarktrelevanten Merkmalen ähnlich sind. So lässt sich der kausale Effekt der Förderung auf die Arbeitsmarktergebnisse schätzen.
In aller Kürze
- Personen, die an einer Teilqualifizierung teilnehmen, erzielen fünf Jahre nach Ende der Maßnahme im Vergleich zu statistisch ähnlichen, nicht teilnehmenden Personen deutlich bessere Beschäftigungschancen und höhere Tagesentgelte.
- Umschulungen, die zu einem beruflichen Abschluss führen, und Teilqualifizierungen in gleichen Berufsfeldern haben mittelfristig ähnliche Beschäftigungseffekte.
- Allerdings sind die Tagesentgelte, die nach der Teilnahme an Teilqualifizierungen erzielt werden, mittelfristig etwas niedriger als nach der Teilnahme an Umschulungen.
- Beim Einsatz von Teilqualifizierungen sollte stark darauf geachtet werden, welche Personengruppen gefördert werden.
- Zukünftige Forschung sollte auch im Blick behalten, ob das Instrument Auswirkungen auf das duale Ausbildungssystem hat.
Literatur
Kruppe, Thomas; Lang, Julia; Osiander, Christopher (2024): Teilqualifizierungen – wie häufig werden sie eingesetzt und wer nimmt teil? In: IAB-Forum, 5.8.2024.
Kruppe, Thomas; Lang, Julia; Osiander, Christopher (2023): Effekte von Teilqualifizierungen auf Beschäftigung und Einkommen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 75, S. 477–504.
Bild: Drazen/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240805.02
Kruppe, Thomas; Lang, Julia; Osiander, Christopher (2024): Teilqualifizierungen – ein wirksames, aber politisch umstrittenes Instrument, In: IAB-Forum 5. August 2024, https://www.iab-forum.de/teilqualifizierungen-ein-wirksames-aber-politisch-umstrittenes-instrument/, Abrufdatum: 18. November 2024
Autoren:
- Thomas Kruppe
- Julia Lang
- Christopher Osiander