28. September 2017 | Serie „Zehn Jahre PASS“
Interview mit Mark Trappmann: „Wir möchten dazu beitragen, Fakten zu liefern und die politische Diskussion zu versachlichen“
Herr Trappmann, als Studienleiter sind Sie seit nunmehr zehn Jahren für die Studie „Lebensqualität und soziale Sicherung“ verantwortlich. Was gehört alles zu Ihren Aufgaben?
Meine Aufgabe besteht neben der Konzeption zunächst einmal darin, die Durchführung der Studie zu koordinieren. Das hört sich leichter an, als es ist. Die Studie ist in verschiedene Pakete aufgeteilt, die sich auch in der Organisation unseres Forschungsbereiches widerspiegeln: ein Team ist beispielsweise für die Feldvorbereitung und Fragebogenentwicklung zuständig; ein anderes für die Datenaufbereitung und Dokumentation. Bei mir laufen dann wieder alle Stränge zusammen. Darüber hinaus fällt die regelmäßige Abstimmung mit unserem Partnerinstitut infas an, das in unserem Auftrag die Daten erhebt. Neben der Konzeption und Durchführung der Studie ist die zentrale Aufgabe unseres Bereichs aber die Forschung mit den erhobenen Daten. Als Bereichsleiter bin ich für das Forschungsprogramm verantwortlich, das ich gemeinsam mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickle. Nicht zuletzt muss ich unsere Studie nach außen hin repräsentieren und mich mit der Institutsleitung des IAB oder dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales austauschen. Auch die Kommunikation mit externen Datennutzern und Projektpartnern gehört zu meinen Aufgaben.
Was ist bei einer Längsschnittuntersuchung wie PASS Ihrer Erfahrung nach die größte Herausforderung?
Ich glaube, die größte Herausforderung ist die gleichzeitige Organisation von drei Befragungswellen. Während die Befragten im Feld interviewt werden, sind wir nämlich gleichzeitig schon dabei, den Fragebogen für die nächste Welle vorzubereiten und die Daten aus der vorangegangenen Welle aufzubereiten, zu dokumentieren und schließlich den Nutzern zur Verfügung zu stellen. In diesen Aufgaben kann man sich leicht verlieren. Am Anfang hatten wir damit so viel zu tun, dass wir es einfach nicht mehr geschafft haben, parallel zum Aufbau der Studie zu forschen, unsere Ergebnisse zu veröffentlichen und die Politik zu beraten. Wir haben uns dann zusammengesetzt und große Teile der Datenaufbereitung an infas übergeben. Dadurch haben wir mehr Spielraum gewonnen, um unsere Studienergebnisse selbst zu veröffentlichen.
Gab es bei Ihren Untersuchungen auch Befunde, die Sie so nicht erwartet hätten?
Ja, vor allem eines ist mir immer noch ein Rätsel: Jeder von uns glaubt ja zu wissen, wie wichtig soziale Netzwerke und Kontakte für den Arbeitsmarkterfolg sind. Und das bestätigen zunächst auch unsere Daten – rund ein Drittel findet einen Job über soziale Kontakte. Schauen wir aber genauer hin und fragen nach dem Nutzen von sozialen Netzwerken, etwa für das Arbeitseinkommen oder die Dauer der Stellensuche, dann finden wir gar keinen oder nur noch einen sehr geringen Effekt. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die vielen Leute, die ihre Jobs über soziale Kontakte gefunden haben, einen genauso guten Job auch über einen anderen Weg gefunden hätten. Obwohl das im Einklang mit anderen Studien steht, finde ich das nach wie vor ein überraschendes Ergebnis.
Warum wurde die Studie eigentlich vor zehn Jahren ins Leben gerufen?
Als wir damals mit der Studie starteten, fand der größte Umbau des Sozialstaates in der Nachkriegszeit statt. Zuvorderst zu erwähnen sind hier natürlich die Hartz-Reformen, aber auch die Erhöhung des Renteneintrittsalters, der Ausbau der Kinderbetreuung oder die Reform des Elterngeldes waren Teil dieses Umbaus. Unsere vorrangigste Aufgabe bestand darin, die Auswirkungen dieser Reformen zu untersuchen – genauer gesagt, wie diese unser Leben und unsere Gesellschaft in Deutschland beeinflusst haben. Dies wird teils hitzig diskutiert und naturgemäß haben viele Personen eine Meinung zu diesem Thema. Mithilfe der Befragungsdaten möchten wir dazu beitragen, Fakten zu liefern und die politische Diskussion und den öffentlichen Dialog zu versachlichen.
Und gelingt Ihnen das? Woran kann man den politischen Einfluss der Studie ablesen?
Unser Auftraggeber, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wird von uns kontinuierlich über alle Ergebnisse unserer Studie informiert. Angesichts dieser vielfältigen Informationen wissen wir gar nicht immer, was letztlich in die Politik einfließt. Es ist aber beispielsweise augenscheinlich – und das hat mich sehr gefreut –, dass im Fünf- Punkte-Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, das Andrea Nahles vor rund zwei Jahren vorstellte, eine doch recht deutliche Bezugnahme auf PASS-Ergebnisse zu erkennen war. Dabei ging es um Barrieren auf dem Arbeitsmarkt und wie man diese am besten abbauen könnte. Des Weiteren sind unsere Ergebnisse auch in den letzten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung eingegangen. Dafür haben wir mit unseren Daten soziale Aufstiege von Personen analysiert.
„Ein Längsschnittdatensatz wird mit jedem zusätzlichen Jahr wertvoller, da man auf eine sehr lange Biografie zurückblicken kann.“
Nun gibt es ja schon eine Reihe anderer Studien in Deutschland. Was macht PASS besonders?
Zunächst einmal gibt es nicht viele Studien, für die zehn Jahre lang dieselben Personen interviewt werden. Das ist eine sehr lange Zeitreihe, die es uns erlaubt, individuelle Veränderungen über verschiedene Lebensphasen hinweg zu untersuchen. Eine Besonderheit ist sicherlich auch, dass wir die soziale Lage in Deutschland vergleichsweise breit erfassen: Neben dem Einkommen berücksichtigen wir auch detailliert den Lebensstandard und den Bezug sozialstaatlicher Leistungen, verschiedene Aspekte sozialer Teilhabe wie die Arbeitsmarktbeteiligung oder die Einbindung in Freundeskreise, Vereine und andere Organisationen sowie weitere Aspekte der Lebenslage wie Gesundheit, Bildung oder Wohnen und Wohnumgebung.
Als Studienleiter sind Sie auch für die längerfristige Entwicklung der Befragung zuständig. Wo sehen Sie die Studie in zehn Jahren?
Ein Längsschnittdatensatz wird mit jedem zusätzlichen Jahr wertvoller, da man auf eine sehr lange Biografie zurückblicken kann. Solche Datensätze gewinnen ganz automatisch an Bedeutung. Wenn wir 20 Jahre dabei sind, sehen wir neue Generationen heranwachsen, beispielsweise solche, die in Haushalten mit Grundsicherungsbezug groß geworden sind und jetzt im Übertritt in den Arbeitsmarkt stehen. Das eröffnet neue Forschungsmöglichkeiten, etwa zur sozialen Mobilität zwischen den Generationen: Wie stark hängt die soziale Position, die Kinder erreichen, von der ihrer Eltern ab und woran liegt das? Ändert sich das im Zeitverlauf? Befragungsmethodisch gibt es derzeit insgesamt einen starken Trend hin zur Nutzung neuerer Medien, durch die sich die Datenerhebungs- und Forschungsmöglichkeiten erheblich erweitern lassen. Wir werden diesen Trend aufnehmen, den langjährigen Teilnehmern aber natürlich weiterhin die Möglichkeit bieten, telefonisch oder persönlich interviewt zu werden. Daneben werden wir jedoch verstärkt Studienteilnehmer dazu einladen, an kleinen Befragungen im Internet teilzunehmen oder mithilfe ihrer Smartphones Daten für die Forschung zum Arbeitsmarkt und Sozialstaat zu sammeln.
Zur Person
Prof. Dr. Mark Trappmann legte 1998 das 1. Staatsexamen für das Lehramt in Sozialwissenschaften und Mathematik nach dem Studium in Duisburg und Groningen (Niederlande) ab. Von 1998 bis 2004 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe Empirische Sozialforschung an der Universität Essen und promovierte dort im Jahr 2003 zum Dr. phil. Danach war er bis 2006 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Methoden der Empirischen Politik- und Verwaltungsforschung an der Universität Konstanz. Seit Mai 2006 leitet er das Panel „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ am IAB. Seit April 2012 hat er außerdem den Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Survey-Methodologie, an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg inne.
Die Fragen stellte Daniel Meyer, derzeit als Doktorand am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln tätig.