Die Covid-19-Pandemie hat die Bedeutung des Themas „Gesundheit am Arbeitsplatz“ in vielfacher Hinsicht hervorgehoben. Der betriebliche Gesundheits- und Infektionsschutz wurde gewissermaßen zur Grundvoraussetzung betrieblichen Handelns. Um die Folgen der Pandemie für die Organisation von Arbeit in Betrieben und den hohen Stellenwert von Gesundheits- und Arbeitsschutz ging es in der Veranstaltung „Gesundes Arbeiten – was lehrt uns die Pandemie?“.

Die Veranstaltung fand am 20. Mai dieses Jahres auf Einladung des IAB im Rahmen der Reihe „Wissenschaft trifft Praxis“ virtuell statt und wurde zudem live auf dem YouTube-Kanal des IAB gestreamt. Dabei wurden auch mögliche Herausforderungen für Betriebe und Beschäftigte nach der Pandemie thematisiert.

Pohlan: „Den Führungskräften kommt eine besondere Rolle zu“

Zunächst präsentierte Dr. Laura Pohlan, Leiterin der Arbeitsgruppe „Folgen der Corona-Pandemie“ am IAB, in ihrem Impulsvortrag Ergebnisse aus einer IAB-Betriebsbefragung zum Umgang mit den Belastungen für Beschäftigte. Die Pandemie sei Anlass gewesen, sich verstärkt mit dem Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz auseinanderzusetzen, so Pohlan. Auch in Zukunft würden Infektionskrankheiten in der Arbeitswelt eine Rolle spielen.

Portraitfoto Dr. Laura Pohlan

Dr. Laura Pohlan leitet die Arbeitsgruppe „Folgen der Corona-Pandemie“ und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Arbeitsmarktprozesse und Institutionen“ am IAB.

Laura Pohlan zeigte sich überzeugt, dass Änderungen im Arbeitsalltag wie die Umstellung auf Homeoffice teilweise mittel- und langfristig bestehen bleiben.

Ihr zufolge gab ein Viertel aller Betriebe an, dass die Pandemie auch Anlass gewesen sei, sich verstärkt mit psychisch belastenden Arbeitssituationen der Beschäftigten auseinanderzusetzen. Den Belastungen bei der Arbeit sollte durch eine angepasste Arbeitsorganisation Rechnung getragen werden. „Dabei kommt den Führungskräften eine besondere Rolle zu“, betonte Pohlan. „Sie sollten über genug Spielräume verfügen, um Arbeitsbedingungen und Arbeitsorganisation den Bedürfnissen der Beschäftigten anzupassen.“

Tisch: „Zwei Drittel der Großbetriebe wollen künftig noch mehr Homeoffice ermöglichen“

Portraitfoto Dr. Anita Tisch

Dr. Anita Tisch leitet den Fachbereich „Arbeitswelt im Wandel“ in der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Dr. Anita Tisch, Leiterin der Gruppe „Arbeitszeit und Organisation“ in der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), zog in ihrem Vortrag Lehren aus der Pandemie für die Ausgestaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Die Mehrheit der Betriebe habe die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sehr ernst genommen und damit aktiv zu deren Eindämmung beigetragen. „Man konnte keine wirtschaftlichen Dienstleistungen erbringen, hat man nicht ein Mindestmaß an Arbeitsschutz eingesetzt – zumindest in vielen Bereichen“, sagte Tisch.

In ihrem Vortrag präsentierte Anita Tisch einige Ergebnisse aus Befragungen, die BAuA und IAB gemeinsam durchgeführt haben. Demnach waren Geschäftsführungen „wie nie zuvor damit betraut, Regeln einzuführen, zu erstellen und in den Betrieben umzusetzen“. Über alle Betriebsgrößen hinweg waren laut Tisch 98 Prozent der Geschäftsführungen an der Erstellung der Regelungen beteiligt.

Ein weiterer Befund aus der Befragung: Zwei Drittel aller Betriebe gaben an, zur Präsenzkultur vor der Pandemie zurückkehren zu wollen. Von den Großbetrieben hingegen gaben zwei Drittel an, Homeoffice sogar in noch größerem Umfang ermöglichen zu wollen.

Als Vorteile von Homeoffice sieht Tisch reduzierte Pendelzeiten, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie einen größeren Handlungsspielraum der Beschäftigten. Demgegenüber stehen etwaige Probleme bei der technischen und ergonomischen Ausstattung und das Risiko der Entgrenzung von Arbeits- und Freizeit.

Hofmann: „Wir befinden uns in einer Multikanal-Kommunikation, die immense Belastungen mit sich bringt“

Anschließend wurden die in den Impulsvorträgen präsentierten Befunde gemeinsam mit Dr. Elisa Clauß von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und Markus Hofmann vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) diskutiert.

Portraitfoto Dr. Markus Hofmann

Markus Hofmann vom Deutschen Gewerkschaftsbund.

Um zu veranschaulichen, wie stark sich die Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten geändert hat, warf Markus Hofmann einen Blick zurück auf die Anfänge seines eigenen Berufslebens: „Als ich meine Arbeit vor vielen Jahren aufgenommen habe, gab es einen Rechner für acht Leute und eine Telefonleitung. Heutzutage hat jeder an seinem Arbeitsplatz ein Telefon, seinen PC, das Handy und mehr. Damit befinden wir uns in einer Multikanal-Kommunikation, die immense Belastungen mit sich bringt.“

Dr. Elisa Clauß wies in der Diskussion auf einen anderen wichtigen Punkt hin. Nicht nur aus Wissenschaft und Praxis, sondern auch aus eigener Erfahrung weiß sie, wie wichtig die eigenen Kompetenzen zur Arbeitsgestaltung und Selbstfürsorge sind: Während der Arbeit an ihrer Dissertation musste sie auf die harte Tour feststellen, wie wichtig es ist, verantwortungsvoll mit den eigenen Ressourcen umzugehen und Arbeitsaufgaben und ‑zeiten gut zu managen. Die Folge des eigenen Raubbaus erfuhr sie durch einen Gehörsturz mit Mitte 20.

Für Beschäftigte sei es deswegen wichtig, auf sich zu achten, Arbeitsschutz bewusst zu leben und Ressourcen wieder aufbauen zu können, zum Beispiel mit den passenden Erholungsstrategien, betonte Clauß. Dafür werden aus ihrer Sicht unter anderem entsprechende Schulungen benötigt. Bei mobiler Arbeit sei das Vertrauen zwischen Beschäftigten und Vorgesetzten essenziell.

Laura Pohlan ergänzte, dass viele Menschen eine Entgrenzung von Arbeit und Freizeit befürchten. Deshalb ist es ihrer Einschätzung nach wichtig, Erreichbarkeiten festzulegen und die Arbeitszeit im Homeoffice zu erfassen. Für Clauß wiederum gilt es, die Kompetenzen zur Selbstfürsorge und zur gesunden Arbeitsgestaltung zu fördern und zu fordern.

Clauß: „Digitalisierung – richtig eingesetzt – kann Entschleunigung bringen“

Anita Tisch betonte, dass allein das Gefühl, auch außerhalb der Arbeitszeit erreichbar sein zu müssen, ein hohes Gesundheitsrisiko für viele Beschäftigte darstellt. Dies ist umso bemerkenswerter, als empirisch die tatsächliche Kontakthäufigkeit laut Tisch vergleichsweise gering ausfällt. Wenn Erreichbarkeitszeiten definiert werden, ließe sich das wahrgenommene Risiko etwas entschärfen.

Portraitfoto Dr. Elisa Clauss

Dr. Elisa Clauß von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Zugleich nimmt Tisch die Führungskräfte in die Pflicht: „Kultur wird auf allen Ebenen gelebt – aber von oben geschaffen. Es hilft nicht, wenn Betriebe Leitsätze dazu auf ihre Homepage stellen. Führungskräfte spielen eine große Rolle, weil sie eine Vorbildfunktion haben. Das, was die Führungskräfte vorleben, ist die Erwartungshaltung und die Kultur, die dann wiederum in die Betriebe transportiert wird.“

Für Elisa Clauß ist gerade die Digitalisierung eine Stellschraube, um kritische Belastungen bei der Arbeit zu reduzieren: Digitalisierung müsse den Menschen dienen, nicht umgekehrt. Die Betriebe könnten digitale Technologien bewusst für eine gesunde Arbeitsgestaltung nutzen und täten dies bereits. Als Beispiel nannte sie von Unternehmen automatisch generierte Nachrichten, die nach den üblichen Arbeitszeiten versendet werden und den Empfängerinnen und Empfängern signalisieren, dass die Antwort bis zum nächsten Arbeitstag warten muss. So würde Zeit- und Antwortdruck für die Beschäftigten reduziert.

Markus Hofmann betonte nochmals die Verantwortung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber: „Es darf – egal wie und wo wir arbeiten – keine Verantwortungsdelegation für den Arbeits- und Gesundheitsschutz von dem Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer geben. Der Arbeitsschutz ist essenzielle Pflicht des Arbeitgebers.“  Um dieser Pflicht gerecht zu werden, könnten Arbeitgeber zudem auf vielfältige Beratungsangebote von Berufsgenossenschaften, Krankenkassen oder auch der Rentenversicherung zurückgreifen.

Sind zusätzliche gesetzliche Regelungen für die Arbeit im Homeoffice notwendig?

Mit den Arbeitsschutzgesetzen gibt es bereits eine gesetzliche Regelung, die sowohl für die Arbeit im Betrieb als auch im Homeoffice gilt. Für Gewerkschafter Hofmann reicht das nicht. Er fordert eine gesonderte gesetzliche Regelung für Homeoffice und mobile Arbeit, um dort individuelle Rechtsansprüche festzulegen. Grundsätzliche Fragen zur Arbeitszeit sowie zur Ausstattung und Ergonomie des Arbeitsplatzes müssten ebenso geklärt werden wie die Frage, wer dafür bezahlt – aus seiner Sicht müssten es die Arbeitgeber sein.

Clauß hingegen machte ganz deutlich, dass „wir das Thema Mobile Arbeit in den Betrieben nur im Dialog klären können“. Der Großteil der Betriebe habe während der Corona-Zeit gezeigt, dass sie sehr gut in der Lage sind, vertrauensvolle und sinnvolle Lösungen mit ihren Beschäftigten oder deren Vertretungen zu finden.

Auch nach der Pandemie müssten Betriebe die Möglichkeit haben, Angebote zur Flexibilisierung gemeinsam mit den Beschäftigten zu klären – dazu zähle auch das Angebot zur mobilen Arbeit, so Clauß. Dies gehe nur mit flexiblen staatlichen Regelungen. Denn: Die Betriebe haben in den kommenden Monaten und Jahren weiterhin viele Herausforderungen zu meistern. Mobile Arbeit und Digitalisierung sind nur zwei davon. Dafür brauchen sie nach Clauß‘ Überzeugung Spielraum und Vertrauen.

Einen Videomitschnitt der Veranstaltung finden Sie auf dem YouTube-Kanal des IAB.

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20220617.01

Kaltwasser, Lena (2022): Wissenschaft trifft Praxis: Gesundes Arbeiten – was lehrt uns die Pandemie?, In: IAB-Forum 17. Juni 2022, https://www.iab-forum.de/wissenschaft-trifft-praxis-gesundes-arbeiten-was-lehrt-uns-die-pandemie/, Abrufdatum: 17. November 2024