Erstmals nach Beginn des Ukraine-Kriegs wurden die Arbeitsagenturen zu ihren Einschätzungen des Arbeitsmarktgeschehens befragt. Es geht um Beschäftigungsentwicklung, Kurzarbeit, Lieferengpässe, Zeitarbeit, Fluchtmigration und Integration. Die Arbeitsmarktaussichten bleiben bislang stabil, aber es bestehen große Herausforderungen.

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich schlagartig auch die Rahmenbedingungen für die deutsche Volkswirtschaft verändert. Die Nachfrage nach Exporten geht zurück, Lieferengpässe werden verschärft, Energiepreise steigen, Investitions- und Konsumentscheidungen werden grundsätzlich überdacht, Zuwanderung nimmt schlagartig zu. IAB, BIBB und GWS gehen in einer Simulationsstudie von einer Dämpfung des Wirtschaftswachstums um zwei Prozentpunkte aus. Eine erste Einschätzung der Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt geben Hermann Gartner und Enzo Weber in einem kürzlich erschienenen Beitrag für das IAB-Forum. Zwei IAB-Forschungsberichte (2/2022 und 4/2022) von Herbert Brücker (und anderen) versuchen, die Folgen dieses Krieges für die Migration der Betroffenen nach beziehungsweise deren Integrationschancen in Deutschland abzuschätzen.

Die Wirkungen kommen nun in den Betrieben und auf dem Arbeitsmarkt an. Im Geschehen sind auch die 155 in allen Regionen Deutschlands verteilten Agenturen für Arbeit. Im Folgenden werden erste Befragungen der Agenturen ausgewertet, die nach Beginn des Ukraine-Kriegs erfolgt sind.

Arbeitsmarkteinschätzung stabil — aber Ukraine-Krieg hat Auswirkungen

Die Bundesagentur für Arbeit führt monatlich eine Umfrage unter allen regionalen Arbeitsagenturen durch. Der aktuelle Befragungszeitraum lief vom 10. März bis zum 15. März. Gefragt wird unter anderem nach der erwarteten Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung in den nächsten drei Monaten im jeweiligen Agenturbezirk. Möglich sind hier die Antworten „viel weniger“, „weniger“, „gleich“, „mehr“, „viel mehr“. Diese Antworten gehen monatlich auch in das IAB-Arbeitsmarktbarometer ein. Von Februar auf März stieg es trotz des Ukraine-Kriegs sogar leicht an, wozu sowohl die Arbeitslosigkeits- als auch die Beschäftigungskomponente beitrugen.

Zusätzlich werden die Agenturen nach den wesentlichen Einflussfaktoren für ihre Einschätzung befragt. Dabei können Gründe frei genannt werden, und es sind auch einige zur Auswahl vorgegeben, darunter „Fluchtmigration“, ein Punkt, der noch bis einschließlich Februar keine Rolle (mehr) spielte, jetzt aber für den Arbeitsmarkt wieder relevant wird. In der aktuellen März-Welle nannten 18,1 Prozent der Agenturen diesen Punkt. Weiterhin signalisieren aktuell 25,8 Prozent der Agenturen in einem Freitextfeld, dass ihre Einschätzungen durch den Ukraine-Krieg beeinflusst sind.

Mithilfe von sogenannten Regressionsanalysen lässt sich überprüfen, inwieweit diese Angaben in einem Zusammenhang mit den Einschätzungen zur Arbeitsmarktentwicklung stehen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass von den betroffenen Agenturen bereits Arbeitslosmeldungen ukrainischer Geflüchteter in den kommenden drei Monaten erwartet werden, aber noch keine größere Beschäftigungswirkungen. Wenn der Ukraine-Krieg als Einflussfaktor angegeben wird, sind sowohl die Erwartungen für die Arbeitslosigkeit als auch für die Beschäftigung pessimistischer. Auch führt ein höherer Anteil des Verarbeitenden Gewerbes in einem Agenturbezirk zu pessimistischeren Einschätzungen bezüglich Arbeitslosigkeit und Beschäftigung (wenn auch mit geringerer Signifikanz).

Neben der Beschäftigung allgemein werden die Agenturen auch nach der Entwicklung in der Zeitarbeit befragt. Da diese stark in außenwirtschaftlich verflochtenen Unternehmen eingesetzt wird, könnten die Antworten weitere Hinweise auf Folgen des Ukraine-Kriegs geben. Im März antworten 16,8 Prozent der Agenturen, dass sie weniger Beschäftigte in der Zeitarbeit erwarten, 20,0 Prozent rechnen indes mit einer steigenden Beschäftigung. Damit haben sich hier die Einschätzungen gegenüber Februar etwas eingetrübt (6,5 Prozent der Agenturen hatten im Februar mit weniger, 29,7 Prozent mit mehr Beschäftigten in Zeitarbeit gerechnet).

Weiterhin beantworten die Agenturen eine Frage zum Beratungsbedarf bei Kurzarbeit und zu den betroffenen Branchen. Im Februar gaben noch gut 57,4 Prozent der Agenturen an, dass bei ihnen weniger Beratungsanfragen zum Bezug von Kurzarbeitergeld als vor einem Jahr eingingen – was auch daran liegt, dass die Kurzarbeit im zweiten Lockdown vor einem Jahr recht hoch lag. Lediglich 11,0 Prozent spürten hier mehr oder viel mehr Beratungsbedarf, und auch im März stieg der Anteil nur leicht auf 14,8 Prozent. Dabei sahen die Agenturen vor allem die Branchen „Herstellung von Kfz“ (43,5 Prozent) sowie „sonstige Branchen im Verarbeitenden Gewerbe“ (60,9 Prozent) betroffen.

80 Prozent der Agenturen erwarten Auswirkungen der Materialengpässe auf den lokalen Arbeitsmarkt — ganz überwiegend in Form von Kurzarbeit

Seit Dezember 2021 werden die Agenturen zudem nach den Auswirkungen der Materialengpässe auf den lokalen Arbeitsmarkt befragt. Im März erwarten 80 Prozent der Agenturen Effekte in ihrem Bezirk. Im Februar waren es noch 68,4 Prozent. 74,2 Prozent der Agenturen haben den Eindruck gewonnen, dass Auswirkungen in Form zusätzlicher Kurzarbeit eintreten werden, 17,4 Prozent aller Arbeitsagenturen erwarten reduzierte Stellenmeldungen, und 3,9 Prozent der Agenturen rechnen mit steigender Arbeitslosigkeit aufgrund von Materialengpässen (Mehrfachnennungen waren möglich). In der Tat haben auch Markus Hummel und andere kürzlich in einer Analyse für den Wirtschaftsdienst festgestellt, dass Materialengpässe am Arbeitsmarkt vorwiegend die Kurzarbeit und nur begrenzt die Arbeitslosigkeit beeinflussen.

In einer weiteren Befragung der Bundesagentur für Arbeit werden die Arbeitsagenturen speziell im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg befragt. Die aktuelle Befragungsrunde fand am 29. März statt. Hier wurde gefragt, ob und in welchen Bereichen in den nächsten vier Wochen nennenswerte Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die lokale Wirtschaft zu erwarten seien. 74,1 Prozent sahen Auswirkungen im Bereich Kurzarbeitergeld, 1,4 Prozent im Bereich Insolvenzen und 12,2 Prozent hinsichtlich Kündigungen (hier waren ebenfalls Mehrfachnennungen möglich). Auch hier zeigt eine Regressionsanalyse, dass insbesondere ein hoher regionaler Anteil des Verarbeitenden Gewerbes die Agenturen häufiger zu der Einschätzung veranlassen, dass es vermehrt zum Einsatz von Kurzarbeit kommt.

Weiterhin wird die Frage gestellt, ob im Agenturbezirk bereits Flüchtlinge aus der Ukraine in nennenswertem Umfang eingetroffen sind. Mit „nein, nicht wesentlich“, antworten 10,1 Prozent, während 45,3 Prozent Ankünfte in begrenztem Umfang, 34,5 Prozent in größerem Umfang und 10,1 Prozent in erheblichem Umfang sehen. Insbesondere in Ballungsräumen werden bereits Ankünfte in größerem oder gar erheblichem Umfang gemeldet. Gegenüber einer ersten Befragungsrunde vom 15. März haben sich die Antworten „in größerem Umfang“ und „in erheblichem Umfang“ um 16,9 beziehungsweise 4,5 Prozentpunkte erhöht.

Die Ankunft von Flüchtlingen wirkt sich unseren Analysen zufolge auch darauf aus, ob die Agenturen „Fluchtmigration“ als Grund für ihre Arbeitsmarkteinschätzung nennen. Dies gilt verstärkt auch für Agenturbezirke mit großstädtischem Charakter und mit niedriger Arbeitslosenquote. Agenturen mit guter Arbeitsmarktlage erwarten demzufolge eher Arbeitsmarkteintritte von Flüchtlingen.

Schließlich wird eine Frage nach den Möglichkeiten, die Geflüchteten qualifikationsadäquat in Beschäftigung zu bringen, gestellt. Ende März sehen 5,4 Prozent der antwortenden Agenturen diese größtenteils, 42,9 Prozent teilweise gegeben und 7,5 Prozent eher nicht gegeben. Für 44,2 Prozent war zu diesem Zeitpunkt noch keine Aussage möglich. Größere Integrationschancen werden in Agenturbezirken mit großstädtischem Charakter und mit einem höheren Anteil von Arbeitsplätzen mit Fachkraftniveau gesehen. Ähnliches gilt für Agenturen, die eine überdurchschnittlich gute Beschäftigungsentwicklung erwarten (dieser Befund ist allerdings nicht statistisch signifikant).

Bislang standen die Aussichten für die deutsche Wirtschaft auf Erholung. Der Ukraine-Krieg stellt diesbezüglich einen deutlichen Dämpfer dar. Die Arbeitsmarktaussichten bleiben angesichts dessen bislang stabil. Es bestehen aber große Herausforderungen und Unsicherheiten. Insbesondere das Verarbeitende Gewerbe ist von den Folgen des Ukraine-Kriegs betroffen. Die Agenturbezirke sehen Auswirkungen besonders im Bereich Kurzarbeit, ein Instrument, welches sich wiederholt zur Abfederung von kurzfristigen Schocks bewährt hat. Zudem stellt sich im Fall eines längeren Verbleibs der Geflüchteten die Herausforderung, diese in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die vorliegenden Ergebnisse bieten erste Hinweise darauf, welche Faktoren für eine erfolgreiche Integration eine Rolle spielen.

Literatur

Brücker, Herbert (2022): Geflüchtete aus der Ukraine: Eine Einschätzung der Integrationschancen, IAB-Forschungsbericht Nr. 4.

Brücker, Herbert; Goßner, Laura; Hauptmann, Andreas; Jaschke, Philipp; Kassam, Kamal; Kosyakova, Yuliya; Stepanok, Ignat (2022): Die Folgen des Ukraine-Kriegs für Migration und Integration: Eine erste Einschätzung, IAB-Forschungsbericht Nr. 2.

Gartner, Hermann; Weber, Enzo (2022): Bedeutung des Ukraine-Krieges für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland. In: IAB-Forum, 02.03.2022.

Hummel, Markus; Hutter, Christian; Weber, Enzo (2022): Wie Materialengpässe den Arbeitsmarkt treffen. In: Wirtschaftsdienst, Vol. 102, No. 4, S. 1-4.

Wolter, Marc Ingo; Helmrich, Robert; Maier, Tobias; Weber, Enzo; Zika, Gerd; Großmann, Anett; Dreuw, Peter (2022): Zeitenwende: Russischer Angriff auf die Ukraine. Herausforderungen für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft – eine Sortierung. GWS-Kurzmitteilung, QuBe-Essay 2/2022.

In aller Kürze

  • Die 155 Agenturen für Arbeit gaben in zwei Befragungen erstmals nach Beginn des Ukraine-Kriegs Einschätzungen zum deutschen Arbeitsmarkt ab.
  • Die grundsätzliche Einschätzung zur Arbeitsmarktentwicklung in den nächsten Monaten hat sich laut IAB-Arbeitsmarktbarometer im März leicht verbessert. Die Einschätzung für die Arbeitslosigkeit ist pessimistischer bei Agenturen, die als Grund Fluchtmigration oder den Ukraine-Krieg angeben und höhere Anteile des Verarbeitenden Gewerbes haben.
  • Die Entwicklung der Beschäftigung in der Zeitarbeit wird weniger optimistisch eingeschätzt als im Vormonat. Der Beratungsbedarf zu Kurzarbeit ist etwas gestiegen. Der Anteil von Agenturen, die Auswirkungen von Materialengpässen erwarten, hat im März, ausgehend von einem hohen Niveau, noch einmal deutlich zugenommen.
  • Die Mehrheit der Agenturen erwartet nennenswerte Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die lokale Wirtschaft, vor allem mit Blick auf den Einsatz der Kurzarbeit. Das gilt besonders in Agenturbezirken mit hohen Anteilen des Verarbeitenden Gewerbes.
  • Die meisten Agenturen melden, dass bereits Flüchtlinge aus der Ukraine in nennenswertem Umfang eingetroffen sind, vor allem in Ballungsräumen. Die Ankunft von Flüchtlingen erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass Agenturen „Fluchtmigration“ als Grund für ihre Arbeitsmarkteinschätzung nennen. Dies ist zudem eher in Agenturbezirken mit großstädtischem Charakter sowie geringen lokalen Arbeitslosenquoten der Fall.
  • Agenturbezirke mit großstädtischem Charakter sowie einem höheren Anteil von Arbeitsplätzen mit Fachkraftniveau an der Beschäftigung sehen tendenziell bessere Chancen, Geflüchtete qualifikationsadäquat in Beschäftigung zu bringen.

Danksagung: Die Autoren danken dem Zentrum für Kunden- und Mitarbeiterbefragungen und der Arbeitsmarktberichterstattung der Bundesagentur für Arbeit für die Bereitstellung der Daten.

doi: 10.48720/IAB.FOO.20220331.01

Hutter, Christian; Weber, Enzo (2022): Wie die Arbeitsagenturen den deutschen Arbeitsmarkt nach Beginn des Ukraine-Kriegs einschätzen, In: IAB-Forum 31. März 2022, https://www.iab-forum.de/wie-die-arbeitsagenturen-den-deutschen-arbeitsmarkt-nach-beginn-des-ukrainekriegs-einschaetzen/, Abrufdatum: 18. December 2024

 

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