18. August 2023 | Serie „Arbeitskräftesicherung“
IAB-Monitor Arbeitskräftebedarf 2/2023: Offene Stellen gegenüber Vorjahreshoch weiterhin deutlich rückläufig
Der betriebliche Personalbedarf in Deutschland ist – gemessen an den offenen Stellen – nach wie vor hoch: Im zweiten Quartal dieses Jahres gab es bundesweit 1,74 Millionen offene Stellen (siehe Abbildung 1). Das von den Betrieben berichtete gesamtwirtschaftliche Stellenangebot ist damit gegenüber dem Vorquartal um 6.200 offene Stellen gesunken. Dies entspricht einem Rückgang von 0,4 Prozent. Gegenüber dem Vorjahresquartal 2022 sank die Zahl der berichteten offenen Stellen jedoch um 188.000 beziehungsweise um 9,7 Prozent.
Die Zahl der offenen Stellen setzt sich aus den der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten und den über andere Suchkanäle ausgeschriebenen offenen Stellen zusammen. Von den 1,74 Millionen offenen Stellen waren im zweiten Quartal dieses Jahres laut Angaben der Betriebe 719.100 offene Stellen der BA gemeldet. Dies entspricht einer Meldequote von 41 Prozent.
In der jüngeren Vergangenheit trafen die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie den Arbeitsmarkt in unterschiedlicher Intensität und führten zu einem deutlichen Rückgang der offenen Stellen in fast allen Bereichen. Nach Beendigung der pandemiebedingten Lockdowns hat sich der Arbeitsmarkt jedoch schnell erholt. Ein Teil des Anstiegs der offenen Stellen, der in den vergangenen Quartalen zu beobachten war, dürfte auf einen Ersatzbedarf zurückzuführen sein, der in den Lockdowns entstanden ist. Denn die Betriebe hatten ihre Rekrutierungsanstrengungen aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit zunächst reduziert.
Arbeitskräftebedarf nach Branchen und Betriebsgrößen
Die Entwicklung der offenen Stellen im Jahresvergleich variiert von Branche zu Branche sehr stark (siehe Abbildung 2). In den Bereichen „Finanz- und Versicherungsdienstleistungen“ sowie „Bergbau/Energie/Wasser/ Abfall“ gab es gegenüber dem zweiten Quartal 2022 sogar einen leichten Anstieg von rund 4.100 beziehungsweise 300 Stellen.
Der stärkste absolute Rückgang zeigt sich hingegen bei den „Sonstigen Dienstleistungen“ mit einem Minus von 55.000 offenen Stellen. Das Baugewerbe weist ein Minus von 42.900 offenen Stellen auf. Es dürfte auf den Rückgang der Bautätigkeit aufgrund steigender Leitzinsen zurückzuführen sein. In den verbleibenden Branchen war der Bestand an offenen Stellen gegenüber dem Vorjahresquartal ebenfalls rückläufig.
Dass die meisten Branchen mittlerweile einen Rückgang an offenen Stellen verzeichnen, signalisiert, dass der kontinuierliche Anstieg des gesamtwirtschaftlichen Arbeitskräftebedarfs bis zum vierten Quartal 2022 zunächst gestoppt ist. Der Rückgang an offenen Stellen lässt sich zum Teil durch die schwache Konjunkturdynamik im ersten Halbjahr erklären (lesen Sie dazu die ebenfalls im IAB-Forum erschienene Einschätzung des IAB zur wirtschaftlichen Lage vom Juli dieses Jahres).
Anders als im ersten Quartal 2023 (siehe IAB-Monitor Arbeitskräftebedarf 1/2023), beschränkt sich der Rückgang der offenen Stellen nicht mehr auf kleinere Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten. Er zeigt sich aktuell in allen drei für die Stellenerhebung ausgewerteten Betriebsgrößenklassen (siehe Abbildung 3).
Der Bestand an offenen Stellen für Betriebe mit weniger als 50 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ist im Jahresvergleich um rund 124.000 Stellen gesunken. Betriebe mit 50 bis 249 Beschäftigten verzeichnen gegenüber dem Vorjahresquartal einen absoluten Rückgang von 41.000 Stellen und Betriebe mit mehr als 250 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ein Minus von 23.000 offenen Stellen. Damit fällt der absolute Rückgang in kleineren Betrieben weiterhin deutlich stärker aus als in größeren.
Hohe Arbeitsnachfrage macht Engpässe wahrscheinlich
Das Verhältnis von Arbeitslosen zu offenen Stellen ist ein Indikator dafür, wie schwierig es für Arbeitsuchende ist, eine neue Stelle zu finden. Das umgekehrte Verhältnis wird als Arbeitsmarktanspannung bezeichnet und stellt aus Sicht der Betriebe die nicht realisierte Nachfrage nach Arbeitskräften dem Angebot an arbeitslosen Arbeitskräften gegenüber.
Je niedriger das Verhältnis von Arbeitslosen zu offenen Stellen ist und je höher damit die Arbeitsmarktanspannung ausfällt, desto mehr Schwierigkeiten dürften Betriebe – unter sonst gleichen Bedingungen – haben, ihre offenen Stellen zu besetzen. Wie zwei IAB-Studien zeigen, die als IAB-Kurzbericht 23/2018 und IAB-Kurzbericht 12/2023 erschienen sind, geht eine höhere Arbeitsmarktanspannung mit einer geringeren Anzahl an Bewerbungen, einer längeren Suchdauer, einer größeren Anzahl an Suchkanälen und höheren Einstellungskosten einher.
Das Verhältnis von Arbeitslosen zu offenen Stellen hat Ende 2022 im langjährigen Vergleich einen Tiefstand erreicht. Kamen im vierten Quartal 2010 noch 3,7 Arbeitslose auf eine offene Stelle, waren es im vierten Quartal 2022 mit 1,2 Arbeitslosen pro offener Stelle nur noch rund ein Drittel des damaligen Werts (siehe Abbildung 4). Im ersten Quartal 2023 hat sich der Wert wieder leicht auf 1,5 Arbeitslose pro offene Stelle erhöht und ist im zweiten Quartal 2023 auf diesem niedrigen Niveau verblieben.
Im Vergleich zum Jahr 2010 zeigen sich am aktuellen Rand nur noch geringfügige Ost-West-Unterschiede bei der Arbeitslosen-Stellen-Relation. In den pandemiebedingten Lockdown-Phasen war die Entwicklung in Ost- und Westdeutschland sehr ähnlich.
Ein anderer Indikator für betriebliche Rekrutierungsschwierigkeiten ist die Vakanzrate. Sie misst den Anteil der sofort zu besetzenden offenen Stellen an der gesamten Arbeitsnachfrage der Betriebe. Die gesamte betriebliche Arbeitsnachfrage entspricht der Summe aus der realisierten Nachfrage (sozialversicherungspflichtige Beschäftigung) und der kurzfristig nicht realisierten Nachfrage (sofort zu besetzende offene Stellen). Mit den sofort zu besetzenden Stellen sind offene Stellen gemeint, bei denen der vom Betrieb gewünschte Arbeitsbeginn bereits überschritten ist und die Arbeitsstelle deshalb zu diesem Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit (anders als bei später zu besetzenden offenen Stellen) tatsächlich unbesetzt ist.
Die Vakanzrate erreichte im vierten Quartal 2022 mit 4,5 Prozent einen neuen Höchstwert. Im ersten Quartal 2023 ist die Rate wieder gesunken und beläuft sich im zweiten Quartal 2023 auf 3,8 Prozent. Auf 100 von den Betrieben nachgefragte Arbeitskräfte kommen also aktuell 3,8 sofort zu besetzende offene Stellen (siehe Abbildung 5).
Im Vergleich dazu kamen zu Beginn der Covid-19-Rezession im zweiten Quartal 2020 auf 100 nachgefragte Arbeitskräfte 1,8 offene Stellen. Der Wert von 3,8 liegt aber weiterhin über dem Wert vor Beginn der Covid-19-Rezession. Im vierten Quartal 2019 kamen auf 100 nachgefragte Arbeitskräfte 3,3 offene Stellen.
Fazit
Der Arbeitsmarkt in Deutschland zeigt sich auch im zweiten Quartal dieses Jahres insgesamt robust, trotz der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Herausforderungen durch Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung. Die Anzahl der offenen Stellen ist gegenüber dem Vorjahr weiterhin deutlich rückläufig. Sie verharrt jedoch im Vergleich zum Vorquartal auf vergleichsweise stabilem Niveau.
Selbst wenn am Arbeitsmarkt insgesamt noch kein großer Einbruch auszumachen sind, ist bei einer anhaltenden Rezession ein weiterer Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots wahrscheinlich. Tatsache ist aber auch, dass die Stellenbesetzungsprobleme selber zu einem Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung geworden sind.
Der Rückgang an offenen Stellen gegenüber dem Vorjahr ist aktuell mit wenigen Ausnahmen für die meisten Wirtschaftsbereiche zu beobachten und betrifft sowohl kleinere als auch mittlere und große Betriebe. Das Verhältnis von Arbeitslosen zu offenen Stellen liegt im zweiten Quartal 2023 mit einer Arbeitslosen-Stellen-Relation von 1,5 Arbeitslosen pro offener Stelle weiterhin auf einem niedrigen Niveau. Damit bewegt sich auch die betriebliche Konkurrenz um Arbeitskräfte insgesamt nach wie vor auf einem hohen Niveau.
Die hier veröffentlichten Daten und weitere Informationen können auf der Webseite der IAB-Stellenerhebung heruntergeladen werden.
Datengrundlage: Die IAB-Stellenerhebung
Die IAB-Stellenerhebung wird als repräsentative Quartalsbefragung im Auftrag des IAB durchgeführt. Die Erhebung erfolgt seit 1989 im vierten Quartal jedes Jahres schriftlich mit einem mehrteiligen Fragebogen. Es handelt sich um die einzige Erhebung in Deutschland, die repräsentativ die Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Arbeitskräftebedarfs misst und Informationen zu den betrieblichen Rekrutierungsprozessen erhebt. Seit dem 4. Quartal 2005 wird die Zahl der offenen Stellen für jedes Quartal erhoben (für weitere Informationen zur IAB-Stellenerhebung siehe Bossler et al. 2020).
In der schriftlichen Hauptbefragung im vierten Quartal jedes Jahres werden jeweils etwa 7 Prozent der deutschen Betriebe mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten angeschrieben. Der endgültige Rücklauf liegt im vierten Quartal zwischen 11.500 und 15.100 auswertbaren Fragebögen. Auf dieser Basis lassen sich repräsentative Aussagen getrennt für Ost- und Westdeutschland, für sechs Betriebsgrößenklassen sowie für 24 Wirtschaftszweige treffen.
Bei den Angaben aus der IAB-Stellenerhebung handelt es sich nicht um administrativ erfasste Zahlen, sondern um hochgerechnete Werte aus einer Stichprobe, die mit einer gewissen Ungenauigkeit einhergehen. Bei der Interpretation sollte deshalb berücksichtigt werden, dass sich Veränderungen der Zahlenwerte zum Teil im Bereich des Stichprobenfehlers bewegen. Die Ungenauigkeit nimmt bei Betrachtung kleinerer Substichproben zu.
Die auf Basis der IAB- Stellenerhebung hochgerechnete Zahl der gemeldeten offenen Stellen weicht üblicherweise von der durch die BA-Statistik ausgewiesenen Zahl der gemeldeten offenen Stellen ab, da es sich bei der IAB-Stellenerhebung um eine Befragung von Betrieben handelt, bei der Statistik der gemeldeten offenen Stellen hingegen um eine prozessproduzierte Statistik. Die Abweichungen sind in der Regel geringer, wenn man den Wirtschaftszweig Arbeitnehmerüberlassung ausklammert, da dessen Betriebe ein besonderes Meldeverhalten aufweisen.
In aller Kürze
- Das von den Betrieben berichtete Stellenangebot verharrt mit 1,74 Millionen offenen Stellen auf dem Niveau des Vorquartals.
- Gegenüber dem Vorjahresquartal 2022 sank die Zahl der berichteten offenen Stellen deutlich um 9,7 Prozent.
- Der stärkste absolute Rückgang gegenüber dem Vorjahresquartal 2022 zeigt sich im Bereich „Sonstige Dienstleistungen“ und im Baugewerbe. Rund zwei Drittel des Rückgangs entfallen auf kleinere Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten.
Literatur
Bossler, Mario; Gürtzgen, Nicole; Kubis, Alexander; Küfner, Benjamin; Lochner, Benjamin (2020): The IAB Job Vacancy Survey: design and research potential. In: Journal for Labour Market Research, Vol. 54, No. 1, Art. 13.
Bossler, Mario; Gürtzgen, Nicole; Kubis, Alexander; Moczall Andreas (2018): IAB-Stellenerhebung von 1992 bis 2017: So wenige Arbeitslose pro offene Stelle wie nie in den vergangenen 25 Jahren. IAB-Kurzbericht Nr. 23.
Bossler, Mario; Popp, Martin (2023): Arbeitsmarktanspannung aus beruflicher und regionaler Sicht: Die steigende Knappheit an Arbeitskräften bremst das Beschäftigungswachstum. IAB-Kurzbericht Nr. 12.
Gürtzgen, Nicole; Kubis, Alexander (2021): Stellenbesetzungen in der Corona-Krise: Mehr Arbeitslose pro offene Stelle, weniger Besetzungsschwierigkeiten. IAB-Kurzbericht Nr. 15.
Weber, Enzo, Bauer, Anja (2023): Einschätzung des IAB zur wirtschaftlichen Lage – Juli 2023. In: IAB-Forum, 01.08.2023.
Beitragsbild: Dmitry Nikolaev/stock.adobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20230818.01
Gürtzgen, Nicole; Kubis, Alexander; Popp, Martin (2023): IAB-Monitor Arbeitskräftebedarf 2/2023: Offene Stellen gegenüber Vorjahreshoch weiterhin deutlich rückläufig, In: IAB-Forum 18. August 2023, https://www.iab-forum.de/iab-monitor-arbeitskraeftebedarf-2-2023/, Abrufdatum: 18. December 2024
Diese Publikation ist unter folgender Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Autoren:
- Nicole Gürtzgen
- Alexander Kubis
- Martin Popp