Seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 suchten mehr als sechs Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer außerhalb ihrer Heimat Zuflucht – mit dem Hauptziel Europa. In einem aktuellen IAB-Forschungsbericht (16/2024) hat das IAB nun die Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter in verschiedenen europäischen Ländern miteinander verglichen. Dabei zeigen sich erhebliche Unterschiede – mit weitreichenden Erkenntnissen auch für die integrationspolitische Debatte in Deutschland. Die Redaktion des IAB-Forum hat bei zwei Autorinnen der Studie, Kseniia Gatskova und Theresa Koch, nachgefragt.

Wie weit klaffen die Beschäftigungsquoten ukrainischer Geflüchteter zwischen den europäischen Ländern auseinander?

 

Gatskova: In Europa gibt es große Unterschiede bei der Beschäftigung der Geflüchteten. Und das ändert sich auch noch im Zeitverlauf. Im vierten Quartal 2022 waren in Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden und Litauen über 50 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine beschäftigt. In anderen Ländern, wie zum Beispiel Norwegen, Rumänien, der Schweiz oder Spanien, waren es weniger als 15 Prozent. Deutschland liegt im europäischen Mittelfeld, wobei die Beschäftigungsquote von circa 20 Prozent Ende 2022 auf knapp 27 Prozent im ersten Quartal 2024 gestiegen ist.

Gatskova: „Deutschland liegt bei den Beschäftigungsquoten ukrainischer Geflüchteter im europäischen Mittelfeld“

Dr. Kseniia Gatskova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung“ am IAB.

Was machen die Länder mit hohen Beschäftigungsquoten anders?

Gatskova: Hohe Beschäftigungsquoten sind gerade in den Ländern zu beobachten, die bislang auf den vorübergehenden Aufenthalt und nicht auf die langfristige Integration von Geflüchteten gesetzt haben. In diesen Ländern werden die Geflüchteten schnell in Jobs ohne besondere Qualifikationsanforderungen und mit teils prekären Bedingungen vermittelt. Sie arbeiten zumeist nur wenige Stunden pro Woche, haben sehr oft kurze, befristete Verträge und sind in Berufen beschäftigt, die oft unterhalb ihrer Qualifikationen liegen. Zum Beispiel ist in den Niederlanden die Beschäftigungsquote durch den großen Anteil der Personen, die „on the call jobs“ ausüben, also Jobs auf Abruf, so hoch. In Dänemark sind die meisten Geflüchteten als Reinigungskräfte tätig.

Gatskova: „In Ländern mit hohen Beschäftigungsquoten ukrainischer Geflüchteter werden diese schnell in Jobs ohne besondere Qualifikationsanforderungen und mit nicht selten prekären Bedingungen vermittelt“

Diese Länder haben also eine „Arbeit-zuerst“-Strategie praktiziert?

Gatskova: Genau! Im Gegensatz dazu gibt es Länder, die auf die Nachhaltigkeit der Arbeitsmarktintegration setzen. Sie wenden den „Sprache-zuerst“-Ansatz an. Das heißt, die Geflüchteten sollen zuerst die Sprache erlernen und ihre Qualifikationen anerkennen lassen, damit sie später in qualifikationsadäquaten Jobs arbeiten können. Frühere Forschungsergebnisse zeigen, dass dieser Ansatz langfristig stabilere Arbeitsmarktverläufe schafft und sowohl für die Geflüchteten als auch für das Aufnahmeland vorteilhaft ist. Das gilt nicht nur für Arbeit und Einkommen, sondern auch für die Integration der Geflüchteten in die Gesellschaft insgesamt. Geflüchtete, die an den Sprachkursen oder Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen, stehen während dieser Zeit aber dem Arbeitsmarkt logischerweise nicht oder nur begrenzt zur Verfügung. Dementsprechend sind die Beschäftigungsquoten in den ersten Jahren nach dem Zuzug in solchen Ländern relativ niedrig.

Gibt es noch weitere Faktoren, die die Unterschiede in den Beschäftigungsquoten erklären können?

Dr. Theresa Koch ist Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung“ am IAB.

Koch: Ja, zum Beispiel sind die Beschäftigungsquoten in den Ländern mit besserer Kinderbetreuungsinfrastruktur höher. Das ist wichtig insbesondere für die Geflüchteten aus der Ukraine, da der Anteil der Frauen mit Kindern in dieser Gruppe besonders hoch ist. Auch die Arbeitsmarktlage und -regulierung spielen eine erhebliche Rolle. Zum Beispiel ist es in Ländern mit höheren Arbeitslosenquoten schwieriger, eine Beschäftigung zu finden. Da viele Menschen Stellen über ihren Bekanntenkreis finden, sind auch soziale Netzwerke bei der Arbeitsmarktintegration sehr wichtig. In Ländern, die bereits vor 2022 einen größeren Anteil an Personen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft hatten, gibt es im Schnitt höhere Beschäftigungsquoten unter den Geflüchteten.

Koch: „Die Beschäftigungsquoten sind in den Ländern mit besserer Kinderbetreuungsinfrastruktur im Schnitt höher“

Welche Rolle spielen Transferleistungen?

Koch: Wir haben untersucht, ob Länder, in denen der Anteil der durchschnittlichen Ausgaben je Geflüchteten am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf höher ist, geringere Beschäftigungsquoten haben. In unsere Analysen konnten wir hier aber nur einen schwachen und nicht signifikanten Zusammenhang feststellen.

Wie bedeutsam sind Sprachbarrieren?

Koch: Die spielen eine herausragende Rolle. Die Länder, in denen die Gesamtbevölkerung bessere Englischkenntnisse aufweist, haben höhere Beschäftigungsquoten.

Koch: „Sprachbarrieren spielen eine herausragende Rolle“

Wie lässt sich der Integrationsansatz Deutschlands einordnen?

Koch: Deutschland setzt bei ukrainischen Geflüchteten auf eine nachhaltige Integration. Dazu gehören Sprachprogramme, Qualifizierungsprogramme und eine zielgerichtete Arbeitsvermittlung. Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, die Geflüchteten möglichst schnell, aber auch langfristig zu integrieren. Gerade jetzt, wo es an Fachkräften mangelt, ist es wichtig, dass die Menschen entsprechend ihrer Qualifikationen beschäftigt sind. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind überdurchschnittlich gut ausgebildet. Deutschland kann dieses Potenzial nutzen.

Ist denn der Job-Turbo nicht das implizite Eingeständnis, dass der deutsche Ansatz bisher nicht so gut funktioniert hat?

Gatskova: Auf keinen Fall! Obwohl die Politik mit dem Job-Turbo versucht, die Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten zu beschleunigen, bleiben die Grundprinzipien der nachhaltigen Strategie davon unberührt – jeder darf zuerst den für die Arbeitsaufnahme nötigen Sprachkurs absolvieren oder eine Ausbildung machen und wird in dieser Überbrückungsphase staatlich unterstützt. Der Ansatz der nachhaltigen Integration hat sich im Laufe der Zeit bewährt. Zum Beispiel belaufen sich die Erwerbstätigenquoten der Geflüchteten, die von 2013 bis 2019 nach Deutschland zugezogen sind, acht Jahre nach deren Zuzug auf 68 Prozent. Die Niederlande und Dänemark, die einen anderen Integrationsansatz angewendet haben, weisen hier viel niedrigere Beschäftigungsquoten auf.

Gatskova: „Die Beschäftigungsquoten älterer Geflüchtetenkohorten sind in Dänemark oder den Niederlanden viel niedriger als in Deutschland“

Welche Rolle spielt die demografische Struktur der Geflüchteten selbst?

Gatskova: Das ist ein zentraler Punkt. Zum Beispiel müssen das Geschlecht, das Alter und der Familienstatus berücksichtigt werden, um die potenziellen Schwierigkeiten der Integration besser abschätzen zu können. Es gibt bisher weltweit kein Land, das Geschlechterparität auf dem Arbeitsmarkt erreicht hat. Dies hat zur Folge, dass Frauen am Arbeitsmarkt mehr oder weniger stark benachteiligt sind. Und Frauen mit Migrationshintergrund haben es noch schwerer, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, da sie zusätzlich zu den üblichen Hürden noch die Sprache lernen müssen, neue Kenntnisse über das Aufnahmeland erwerben und ihre sozialen Netzwerke am neuen Ort ausbauen sollen. Die Benachteiligung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt hat viel mit der ungleichen Verteilung von unbezahlter Kinderbetreuung und Pflegearbeit in den Familien zu tun. Deshalb ist es auch wenig verwunderlich, dass eine bessere Kinderbetreuungsinfrastruktur die Chancen der Frauen auf Arbeitsaufnahme verbessert. Das bestätigen auch unsere empirischen Ergebnisse.

Inwieweit erweist sich die demografische Zusammensetzung der ukrainischen Geflüchteten als Problem?

Koch: Die Geflüchteten aus der Ukraine sind eine sehr spezifische Gruppe, da sie wie gesagt zum größten Teil aus Frauen und insbesondere Müttern von minderjährigen Kindern besteht. Da Männer im wehrpflichtigen Alter in der Regel nicht ausreisen dürfen, sind sehr viele dieser Frauen gezwungenermaßen alleinerziehend im Ausland. Sie sind also auf die staatliche Kinderbetreuung angewiesen und können nur dann Arbeit aufnehmen, wenn die Kinderbetreuung gesichert ist. Zusätzlich befinden sich die Geflüchteten in einer noch schwierigeren Situation als die üblichen Migrantengruppen, da Personen, die aus einem Kriegsgebiet geflohen sind, oft traumatische Erfahrungen gemacht haben. Es ist deshalb auch wichtig, dass diese Personen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Eine gute Gesundheit ist für die Aufnahme einer Beschäftigung essenziell.

Koch: „Eine gute Gesundheit ist für die Aufnahme einer Beschäftigung essenziell“

Was ist und bleibt die größte Herausforderung bei der Integration ukrainischer Geflüchteter?

Gatskova: Laut unseren Umfrageergebnissen sehen die meisten Geflüchteten die Unterstützung beim Deutschlernen als größten Bedarf. Für die Mütter der Kinder im Vorschul- oder Grundschulalter ist die Nachfrage nach Kinderbetreuung sehr hoch. Für die Geflüchteten, die in reglementierten Berufen tätig waren, zum Beispiel medizinisches Personal, stellt die Anerkennung von Qualifikationen eine große Herausforderung dar.

Koch: Die Geflüchteten aus der Ukraine haben momentan noch keinen langfristigen Aufenthaltsstatus. Aktuell wurde der vorübergehende Schutz nur bis zum 4. März 2026 zugesichert. Das ist eine relativ kurze Frist sowohl für die ukrainischen Geflüchteten als auch für potenzielle Arbeitgeber. Sowohl Arbeitsuchende als auch Unternehmen brauchen eine langfristige Planungsperspektive. Dazu müssen klare Wege benannt werden, wie die Geflüchteten eine Aufenthalts-, Arbeits- oder Niederlassungserlaubnis bekommen.

Gatskova: Außerdem weisen experimentelle Studien aus ganz Europa, inklusive Deutschland, darauf hin, dass es Diskriminierung bei der Einstellung von Personen mit Migrationshintergrund gibt. Ob die Integration klappt, hängt also nicht nur von den Geflüchteten ab. Es kommt auch auf die Politik, institutionelle Rahmenbedingungen und nicht zuletzt auch auf die einheimische Bevölkerung an. Integration ist ein Prozess, bei dem alle Seiten mitmachen müssen.

Gatskova: „Integration ist ein Prozess, bei dem alle Seiten mitmachen müssen“

Frau Gatskova, Sie stammen selbst ursprünglich aus der Ukraine und haben auch Bekannte, die nach Deutschland geflüchtet sind und voraussichtlich auch hierbleiben möchten. Inwieweit decken sich deren persönliche Erfahrungen mit Ihren Forschungsergebnissen?

Gatskova: Ich habe da in der Tat vielleicht einen gewissen Vorteil bei der Erforschung der Integration von Geflüchteten aus der Ukraine, da ich die Ergebnisse der Datenanalyse immer mit den realen Geschichten abgleichen kann, die ich von meinen Bekannten und Freunden höre. Ich kann aus persönlicher Erfahrung bestätigen, dass die Erwerbsaspirationen bei den Geflüchteten sehr hoch sind. Ich kenne keine Person, die über lange Zeit arbeitslos bleiben möchte. Die meisten Frauen aus der Ukraine haben früher gearbeitet und wollen dies auch in Deutschland weiterhin tun. Unsere Umfragedaten zeigen, dass über 90 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine einen Job in Deutschland aufnehmen wollen. Meine persönlichen Erfahrungen bestätigen diese Erkenntnis.

Der Erwerb der deutschen Sprache ist aber für viele mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden. Manche Personen legen die Sprachprüfungen zwei- oder sogar dreimal ab, um das Zertifikat B1 oder B2 zu erlangen. Meiner Erfahrung nach dauert es etwa zwei Jahre, bis eine sprachlich begabte Person das B2-Niveau in Deutsch erreicht.

Können Sie uns an konkreten Beispielen aus Ihrem Bekanntenkreis aufzeigen, wie gut es mit der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt klappt?

Das Bild ist, wie so oft im Leben, gemischt. Ich kenne eine geflüchtete Ukrainerin, die die Zusage für ihre Ausbildung mit großer Freude zur Kenntnis genommen hat. Diese Ausbildung bot ihr die Möglichkeit, neben dem weiteren Spracherwerb eine stabile Karriere im Versicherungsbereich zu starten.

Eine weitere Bekannte aus der Ukraine betreut zwei Töchter und arbeitet in einem Pflegeheim, gleichzeitig lernt sie weiter Deutsch und versucht, ihre medizinische Qualifikation anerkennen zu lassen. Ihre größte Sorge ist, dass ihr Verdienst nicht ausreicht, um die Nachzahlung der Heizkosten für das nächste Jahr zu decken. Sie überlegt, ob sie ihre Arbeitsstunden erhöhen kann oder ob sie es doch bald schafft, eine Anerkennung ihrer Qualifikation zu bekommen, um so auf eine besser bezahlte Stelle in einer Klinik wechseln zu können.

Ich kenne auch zwei hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen und Mütter, die mehrere Monate aktiv auf Stellensuche sind. Die wurden bisher aber nicht einmal zu Vorstellungsgesprächen eingeladen.

Die Integration von ukrainischen Geflüchteten sorgte in den letzten Wochen in der deutschen Politik für hitzige Diskussionen – den Kritiker*innen geht es mit der Arbeitsaufnahme nicht schnell genug. Welchen Rat würden Sie der deutschen Politik mitgeben?

Koch: Geflüchtete brauchen neben der Rechtssicherheit auch weitere Förderung beim Deutschlernen. Integrationspolitisch stellt sich auch die Frage, ob Sprach- und Integrationskurse nur in Vollzeit angeboten werden sollten oder ob man nicht mehr Praxis in die Kurse einbauen könnte. In Norwegen können Geflüchtete aus der Ukraine ein sechs- bis zwölfmonatiges Einführungsprogramm in Teilzeit machen. So können sie arbeiten und gleichzeitig am Programm teilnehmen. Auch die deutschen Integrationskurse sollten flexibler auf die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden. So könnte zum Beispiel die Kinderbetreuung in den Angeboten mitgedacht werden, also parallel zum Kurs eine Betreuungsmöglichkeit angeboten werden.

Koch: „Sprach- und Integrationskurse sollten verstärkt in Teilzeit angeboten werden“

Außerdem sollten Menschen, die hier leben wollen, dabei unterstützt werden, einen Schul- oder Berufsabschluss zu machen. Sobald Geflüchtete einen Abschluss haben oder anerkannt bekommen, sollten sie stärker dabei unterstützt werden, eine passende Arbeit zu finden. Der Arbeitsvermittlung kommt also auch im weiteren Prozess eine zentrale Rolle zu. Wenn Kinder und Jugendliche in die Schule gehen können und es für kleine Kinder mehr Betreuungsmöglichkeiten gibt, ist das auch gut für die soziale Integration und sorgt langfristig dafür, dass geflüchtete Menschen länger in Deutschland bleiben.

 

Literatur

Kosyakova, Yuliya; Gatskova, Kseniia; Koch, Theresa; Adunts, Davit; Braunfels, Joseph; Goßner, Laura; Konle-Seidl, Regina; Schwanhäuser, Silvia;  Vandenhirtz, Marie (2024): Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter: Eine internationale Perspektive. IAB-Forschungsbericht Nr. 16.

 

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DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240717.01