13. Juli 2017 | Betriebliche Arbeitswelt
Analysen zu Stellenbesetzungsproblemen: Konzessionsbereitschaft, Reservationslohn und Suchwege von Arbeitsuchenden
Bei der Besetzung von Arbeitsstellen sind neben der Arbeitsnachfrage die Suchstrategien und die Stellenannahmebereitschaft der Arbeitsuchenden von zentraler Bedeutung. Um Probleme bei der Stellenbesetzung aus Sicht der Arbeitnehmer näher zu beleuchten, werden auf Basis der Studie Panel „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) Analysen zur Konzessionsbereitschaft, zum Reservationslohn sowie zu den Suchwegen bei erfolgreicher Jobaufnahme durchgeführt. Dabei werden die Wellen 8 und 9 von PASS, die in den Jahren 2014 und 2015 erhoben wurden, kumuliert verwendet. Die Ergebnisse werden mittels Gewichtungsfaktoren hochgerechnet auf alle Arbeitsuchenden. Dabei wird zwischen (gemeldeten) Arbeitslosen und Beschäftigten, die nach einer Arbeit suchen, differenziert. Berücksichtigt werden nur Personen, die mindestens eine Halbtagsbeschäftigung suchen. Es werden nur ungefördert und unbefristet Beschäftigte (ohne Zeitarbeiter) mit mindestens 20 Wochenstunden und ohne Grundsicherungsbezug in die Analysen einbezogen.
Arbeitslose sind im Schnitt deutlich konzessionsbereiter als Beschäftigte
Zunächst interessieren die Konditionen, zu denen Arbeitsuchende bereit sind, eine neue Arbeit aufzunehmen. In einem ersten Schritt wird ausgewertet, welche nachteiligen Arbeitsbedingungen Suchende nach eigener Aussage in Kauf nehmen würden. Die Fragen zur Konzessionsbereitschaft können auf einer vierstufigen Skala („Nehme ich ,auf jeden Fall‘, ,eher‘, ,eher nicht‘ oder ,auf keinen Fall‘ in Kauf“) beantwortet werden. Dargestellt ist der Anteil der Personen, die angegeben haben, diese Einschränkung „auf jeden Fall“ oder „eher“ zu akzeptieren.
Wie Abbildung 1 zu entnehmen ist, sind Arbeitslose bei den meisten Aspekten deutlich eher bereit, Konzessionen zu machen, als Beschäftigte. Das gilt vor allem für die Bereitschaft, eine Tätigkeit trotz ungünstiger Arbeitszeiten (61% gegenüber 35%) oder eine Tätigkeit unter dem eigenen fachlichen Können (76% gegenüber 36%) anzunehmen. Eine geringere Konzessionsbereitschaft zeigen Arbeitslose in Bezug auf einen Wohnortwechsel: Nur ein Viertel wäre dazu bereit. Darin unterscheiden sie sich nicht signifikant von Beschäftigten (22 %). Die hohe Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen wird auch deutlich, wenn man betrachtet, wie viele Personen zu keiner der hier untersuchten Konzessionen bereit sind. In der Gruppe der Beschäftigten sind es 13 Prozent, bei den Arbeitslosen nur zwei Prozent.
Die Unterschiede in der Konzessionsbereitschaft können teils auf unterschiedliche Zusammensetzungen der Gruppen zurückzuführen sein. So wird insbesondere die Umzugsbereitschaft vom Familientyp abhängen. Aber auch die Bereitschaft, ungünstige Arbeitszeiten oder lange Arbeitswege in Kauf zu nehmen, wird beispielsweise nicht unabhängig von Kinderbetreuungspflichten sein. Abbildung 2 zeigt die unterschiedliche Haushaltsstruktur beider Vergleichsgruppen. Alleinerziehende und Alleinstehende sind in der Gruppe der Arbeitslosen stärker vertreten, Paare (mit und ohne Kinder) in der Gruppe der Beschäftigten.
Personen ohne engere familiäre Bindung sind eher in der Lage, bestimmte Konzessionen zu machen. Daher wird die Bereitschaft, einen langen Arbeitsweg, ungünstige Arbeitszeiten und einen Wohnortwechsel in Kauf zu nehmen, noch einmal für die einzelnen Haushaltstypen gegenübergestellt. Im oberen Teil von Abbildung 3 sind die Werte für Arbeitslose dargestellt. Es zeigt sich, dass Alleinerziehende bei allen drei betrachteten Aspekten seltener zu Konzessionen bereit sind. Alleinstehende, die in der Gruppe der Arbeitslosen stark vertreten sind, sind bezüglich aller Punkte am konzessionsbereitesten.
Im unteren Teil von Abbildung 3 sind die Werte für Beschäftigte dargestellt. Deutliche Unterschiede bei der Bereitschaft, lange Arbeitswege zu akzeptieren, zeigen sich bei den Alleinstehenden: Alleinstehende Arbeitslose geben diese Bereitschaft deutlich öfter an. Ungünstige Arbeitszeiten würden Arbeitslose in allen Haushaltsformen, bis auf Alleinerziehende, deutlich häufiger in Kauf nehmen als Beschäftigte.
Ob eine Stelle besetzt werden kann, hängt in vielen Fällen davon ab, ob die arbeitsuchende Person bereit ist, die Tätigkeit zum angebotenen Lohn anzunehmen. In PASS wird der Lohn erhoben, der mindestens gezahlt werden müsste, damit die befragte Person noch bereit ist, dafür zu arbeiten. Hierbei spricht man vom Reservations- oder Anspruchslohn. Werden die Verteilungen der Reservationslöhne zwischen den beiden Gruppen „arbeitslos Gemeldete“ und „Beschäftigte“ verglichen, so zeigt sich ein im Mittel (arithmetisches Mittel und Median) geringerer Reservationslohn (Nettostundenlohn in Euro) bei Arbeitslosen (siehe Abbildung 4). Während das arithmetische Mittel bei Beschäftigten bei 11,30 Euro liegt, geben Arbeitslose einen mittleren Reservationslohn von 7,70 Euro an. Der Unterschied von fast 3,60 Euro ist hochsignifikant und bleibt es auch, wenn man für weitere Faktoren wie Bildungsniveau, Alter und Geschlecht kontrolliert.
Die meisten Arbeitslosen würden Löhne unterhalb des Mindestlohns oder nahe daran akzeptieren
Um den Reservationslohn besser einordnen zu können, wird dieser ins Verhältnis zum gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro (Stand 2015) gesetzt. Da die Angabe des Reservationslohns in PASS auf Nettoebene stattfindet, wird eine einfache Umrechnung in einen Bruttolohn vorgenommen. Dies erfolgt hier der Einfachheit halber nur für die Gruppe der Alleinstehenden, wobei pauschal Abzüge von 30 Prozent (ca. 20 % Sozialversicherung plus ca. 10 % Durchschnittssteuersatz bei versteuerbaren Jahreseinkommen um 15.000 Euro) vom Bruttoeinkommen auf das Nettoeinkommen angenommen werden. Bei der Gruppe der Arbeitslosen geben knapp 30 Prozent einen Reservationslohn unterhalb des zum Befragungszeitpunkt geltenden Mindestlohns an. Damit äußert der größte Teil der Arbeitslosen Lohnvorstellungen im Niedriglohnbereich und in der Nähe des gesetzlichen Mindestlohns. Bei den Beschäftigten sind es fünf Prozent, die bereit wären, unter dem Mindestlohn zu arbeiten, ein gegenüber den Arbeitslosen statistisch signifikanter Unterschied .
Gut ein Viertel der vormals Arbeitslosen findet über persönliche Netzwerke einen neuen Job
Abschließend werden die Suchwege bei erfolgreicher Jobaufnahme näher betrachtet (die entsprechende Frage in PASS lautet: „Wie haben Sie von der Stelle erfahren?“). Berücksichtigt werden Personen, die in der Befragung des Vorjahres zur Gruppe der „arbeitslos Gemeldeten“ gezählt haben und in der Welle darauf von einer Jobaufnahme mindestens im Umfang einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung berichten. Die größte Bedeutung kommt dabei persönlichen Netzwerken zu (vgl. Abbildung 5). Etwa ein Viertel der vormals Arbeitsuchenden war mithilfe von Bekannten und Verwandten bei der Jobsuche erfolgreich. Insgesamt 20 Prozent nennen als erfolgreichen Suchweg die Vermittlung durch die Agentur für Arbeit (persönlicher Vermittler oder die Onlinebörse). Wichtig für den Einstieg in eine neue Erwerbstätigkeit sind auch Initiativanfragen in Betrieben (ebenfalls 20 %).
Fazit
Die Analysen zur Problemen bei der Stellenbesetzung aus Sicht der Arbeitnehmer zeigen insgesamt eine vergleichsweise hohe Bereitschaft der arbeitsuchenden Arbeitslosen, eine neue Arbeitsstelle auch unter bestimmten Einschränkungen anzunehmen. Fast alle befragten Arbeitslosen sind eigenen Angaben zufolge konzessionsbereit. Bei der Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit würde eine Vielzahl von Konzessionen gemacht, wobei besonders häufig die Bereitschaft besteht, eine Arbeitsstelle unterhalb des eigenen Qualifikationsniveaus anzunehmen. Die geringsten Zugeständnisse erfolgen bei der Frage eines etwaigen Umzugs. Bei der Mobilitätsbereitschaft lassen sich klare Unterschiede zwischen Personen mit unterschiedlicher familiärer Bindung erkennen. So sind vor allem die alleinstehenden Arbeitslosen bereit, weite Arbeitswege und einen Umzug in Kauf zu nehmen.
Die berichteten Lohnvorstellungen der Arbeitslosen liegen größtenteils im Niedriglohnbereich. Sie sind somit zum weit überwiegenden Teil nicht als unrealistisch hoch zu bewerten. Der Blick auf die erfolgreichen Suchwege, die zur Aufnahme einer Arbeit geführt haben, unterstreicht die Bedeutung von persönlichen Netzwerken bei der Jobsuche. Allerdings wird zudem deutlich, dass unterschiedliche Wege zum Erfolg führen. So wird häufig auch der Weg über Initiativbewerbungen und die Vermittlung durch die Agentur für Arbeit als zielführend genannt.
Für die hier untersuchten Kriterien zeigen sich in unseren Analysen positive Vorzeichen für den Einstieg in Arbeit. Allerdings kann die höhere Bereitschaft Arbeitsloser, unter schlechteren Bedingungen eine Beschäftigung anzunehmen, auch als notwendig betrachtet werden, um die ansonsten schlechteren Arbeitsmarktchancen zu verbessern.
Literatur
Trappmann, Mark; Beste, Jonas; Bethmann, Arne; Müller, Gerrit (2013): The PASS panel survey after six waves. In: Journal for Labour Market Research, Vol. 46, No. 4, S. 275-281.
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Autoren:
- Jonas Beste
- Mark Trappmann