Deutschlands Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen kämpfen mit akutem Personalmangel. Da der Bedarf an Fachkräften mit deutschem Personal immer weniger gedeckt werden kann, rekrutieren die Betriebe auch Pflegekräfte aus anderen Staaten. Ein aktueller IAB-Forschungsbericht gibt nun einen Überblick über die Entwicklung der ausländischen Beschäftigten in Pflegeberufen und zeigt auf, welchen Beitrag diese leisten, um den akuten Bedarf zu decken. Die Redaktion des IAB-Forum hat mit den Autorinnen und dem Autor der Studie gesprochen.

Wie schwer ist die Personalkrise, in der sich der Pflegesektor aktuell befindet?

Dr. Holger Seibert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Regionalen Forschungsnetz des IAB.

Holger Seibert: Der demografische Wandel trifft die Pflegebranche besonders hart. Die Zahl pflegebedürftiger Menschen steigt, zudem macht die Entwicklung auch vor den Pflegekräften nicht halt: Unter denen mit deutscher Staatsangehörigkeit gibt es mittlerweile deutlich mehr ältere als jüngere Beschäftigte. In den kommenden Jahren werden viele ältere Pflegekräfte in Rente gehen oder sind bereits ausgeschieden. Die Personalsituation wird sich daher noch weiter verschärfen. Das sehen wir auch in der Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit. Sie zeigt für die offenen Stellen in den Pflegefachberufen jetzt schon stark überdurchschnittliche Besetzungsdauern. Für Helfertätigkeiten in der Pflege ist die Dauer der Stellenbesetzung zwar etwas kürzer, liegt jedoch mittlerweile auch auf einem hohen Niveau.

Die Bundesregierung hat erst kürzlich neue Migrationsabkommen mit Drittstaaten geschlossen – im September etwa mit Kenia und Usbekistan. Damit will Deutschland die internationale Fachkräftegewinnung fördern, insbesondere in der Pflege. Ist das bisher ein Erfolgsmodell?

Doris Wiethölter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Regionalen Forschungsnetz des IAB.

Doris Wiethölter: Das kann man mit einem vorsichtigen Ja beantworten. Allerdings ist noch Luft nach oben: Wir sehen zu lange berufliche Anerkennungsphasen. Viele akademische Abschlüsse werden in Deutschland nur teilweise anerkannt, was dazu führt, dass gut qualifizierte Pflegekräfte aus dem Ausland zu lange auf Helferniveau arbeiten müssen. Diese Hürden können schnell zu deren Unzufriedenheit beitragen.

Holger Seibert: Dabei werden bereits seit vielen Jahren Pflegefachkräfte über Anwerbeabkommen rekrutiert, häufig auf der Basis von Vermittlungsabsprachen, bei denen mit ausgewählten Nationen bilaterale Absprachen getroffen werden. Die Bedeutung von Beschäftigten aus Drittstaaten nimmt also weiter zu, obschon es für Staaten außerhalb der EU vergleichsweise hohe Nachweispflichten gibt. Die quantitativ stärksten Anwerbeländer in Pflegeberufen sind nach unseren Beschäftigtendaten Bosnien-Herzegowina, die Philippinen, Indien, Tunesien und Vietnam. Die Anwerbung von Fachkräften aus Kenia und Usbekistan konnte in unseren Daten allerdings noch nicht berücksichtigt werden.

Jeanette Carstensen ist Mitarbeiterin im Regionalen Forschungsnetz des IAB.

Jeanette Carstensen: Auch die Zahl der Geflüchteten, die in der Pflege tätig sind, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. 2023 waren 24.000 Pflegekräfte aus den acht zuzugsstärksten Asylherkunftsländern in der Pflege tätig. Die Zahl von Pflegekräfte aus der Ukraine wächst ebenfalls.

Welchen Anteil haben ausländische Pflegekräfte insgesamt am seit 2013 zu verzeichnenden Beschäftigungswachstum in den Pflegeberufen?

Doris Wiethölter: Sie sind aus dem Pflegesektor nicht mehr wegzudenken. Inzwischen hat jede sechste Pflegekraft in Deutschland eine ausländische Staatsangehörigkeit. Ihr Anteil ist in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gewachsen. Seit 2022 wird das Beschäftigungswachstum in der Pflege sogar ausschließlich von ausländischen Beschäftigten getragen. Die Zahl der deutschen Pflegekräfte ist hingegen rückläufig.

In der Krankenpflege arbeiten zwei von drei ausländischen Beschäftigten als Fachkräfte.

Auf welchem Tätigkeitsniveau arbeiten die ausländischen Pflegekräfte, im Vergleich zu deutschen Pflegekräften?

Jeanette Carstensen: Es gibt deutliche Unterschiede zwischen Krankenpflege- und Altenpflegeberufen. Die Krankenpflege ist deutlich stärker geprägt von qualifizierten Tätigkeiten. Dort sind drei von vier Beschäftigten mit deutscher Staatsangehörigkeit als Pflegefachkräfte tätig, bei den ausländischen Beschäftigten sind es zwei von drei. In der Altenpflege ist der Anteil der Hilfskräfte höher. Eine Fachkrafttätigkeit wird dort von gut der Hälfte der deutschen Beschäftigten ausgeübt. Unter den ausländischen Beschäftigten arbeiten ein Drittel als Fachkräfte, zwei Drittel dagegen als Pflegehilfskräfte oder Pflegefachhelfer*innen.

Was muss die Politik noch tun, um den Herausforderungen im Pflegesektor weiterhin entgegenzutreten?

Holger Seibert: Das „eine Lösungskonzept“ gibt es leider nicht. Unsere quantitative Analyse kann jedoch Anhaltspunkte liefern. Aus unserer Sicht sollten insbesondere die notwendigen beruflichen Anerkennungsverfahren beschleunigt werden. Dazu braucht es etwa einheitliche Standards, die dieses Verfahren bereits vom Ausland aus vereinfachen sollen. Deutschland kann bei der Gewinnung von internationalen Fachkräften nur dann erfolgreich sein, wenn Anwerbung, Anerkennungsprozess und gesellschaftliche Integration bestmöglich umgesetzt und begleitet werden. Eine hohe Hürde für ausländische Pflegekräfte ist der Erwerb der deutschen Sprache. Hier brauchen sie bestmögliche Unterstützung.

Doris Wiethölter: Einiges passiert bereits. Mit der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sollen bürokratische Hürden bei der Fachkräfteeinwanderung erleichtert werden. Dazu fördert das Bundesministerium für Gesundheit mehrere vielversprechende Projekte. Ich möchte zum Beispiel das Projekt „Werkzeugkoffer für gute Integration“ nennen, unter Trägerschaft des Deutschen Kompetenzzentrums für internationale Fachkräfte. Dieses Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, nachhaltige Integrationen zu fördern, indem Pflegeeinrichtungen bei der Vermittlung, Anerkennung und Integration der neuen Arbeitskräfte unterstützt und begleitet werden. Auch das Projekt „INGA Pflege“ soll die Integration internationaler Pflegefachpersonen in Deutschland erleichtern, vor allem durch eine raschere Anerkennung der Berufsqualifikationen.

 

Literatur

Carstensen, Jeanette; Seibert, Holger; Wiethölter, Doris (2024): Internationalisierung der Pflege – Pflegekräfte mit ausländischer Staatsangehörigkeit und ihr Beitrag zur Fachkräftesicherung. Forschungsbericht Nr. 22.

 

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20241015.01