Der demografische Wandel verschärft den Fachkräftemangel noch einmal deutlich, nicht nur in Deutschland – eine große Herausforderung für die wirtschaftliche Entwicklung und die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Modellrechnungen im aktuellen OECD-Beschäftigungsausblick zeigen: Aufgrund der Geburtenentwicklung und der steigenden Lebenserwartung schrumpft die Zahl der produktiven Beschäftigten, gleichzeitig steigt der Anteil der Rentenbeziehenden stark. Wie lässt sich dennoch eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung erreichen, die unseren Wohlstand sichert?

An Antworten auf diese Frage versuchte sich eine Expertenrunde auf dem OECD-Gesellschaftssalon, einer Gesprächsreihe, die das OECD Berlin Centre regelmäßig gemeinsam mit dem IAB ausrichtet. Fast 250 Interessierte hatten sich am 9. Juli 2025 online zugeschaltet, um sich darüber zu informieren, welche Lösungsansätze dazu aktuell in Wissenschaft und Praxis kursieren.

Internationaler Vergleich: Je nach Indikator steht Deutschland mal besser, mal schlechter da als andere Länder

Zum Auftakt zur Veranstaltung, die von Nicola Brandt (OECD) moderiert wurde, präsentierte Stéphane Carcillo, Leiter der „Jobs and Income Division“ bei der OECD, aktuelle Indikatoren aus dem OECD Employment Outlook 2025 – und zeigte unter anderem auf, dass die demografische Herausforderung in Deutschland noch größer ist als in den meisten anderen OECD-Ländern: Während die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (20 bis 64 Jahre) hierzulande laut OECD-Prognosen bis 2060 um 22 Prozent schrumpft, sind es im OECD-Durchschnitt nur 8 Prozent. Auch bei der Relation der Älteren (65 Jahre und mehr) zu den Jüngeren (20 bis 64 Jahre) schneidet Deutschland schon jetzt ungünstiger ab als der OECD-Durchschnitt (29 versus 31 %). Bis 2060 verschlechtert sich die Relation weiter (60 beziehungsweise 52 %).

Dies hat erhebliche Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum: Lag dieses pro Kopf zwischen 2006 und 2019 noch bei 1,4 Prozent (OECD: 1,0 %), so ist zwischen 2024 und 2060 nur noch ein jährliches Miniwachstum von 0,3 Prozent (OECD: 0,6 %) zu erwarten – sofern sich an der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität nichts ändert. Allerdings könnte das erwartete Pro-Kopf-Wachstum hierzulande zufolge um einen halben Prozentpunkt höher ausfallen, wenn das Potenzial von Frauen und Älteren noch besser als bisher ausgeschöpft würde. Auch eine höhere Produktivität könnte die Wachstumsrate den Berechnungen zufolge deutlich verbessern.

Zugleich steht Deutschland bei der Beschäftigung Älterer derzeit deutlich besser da als die meisten anderen OECD-Länder – allerdings nicht bei den 65- 69-Jährigen, von denen hierzulande nur gut 20 Prozent beschäftigt sind, im OECD-Schnitt jedoch 30 Prozent. Mit Blick auf die Beschäftigungsfähigkeit Älterer schneidet Deutschland je nach Indikator mal besser, mal schlechter ab als der OECD-Durchschnitt. In nahezu allen OECD-Ländern bilden sich ältere Beschäftigte deutlich seltener weiter als jüngere. Pro Jahr nimmt etwa jeder dritte Beschäftigte zwischen 55 und 65 Jahren an Weiterbildung teil, bei den 25- bis 54-Jährigen ist es hingegen etwa jeder zweite. Deutschland liegt hier praktisch gleichauf mit dem OECD-Durchschnitt. Bei den IT-Kompetenzen Älterer steht Deutschland hingegen etwas besser da. Auffällig ist wiederum Deutschlands Rückstand, wenn es um die Neueinstellung von Älteren geht. So waren im Jahr 2022 nur gut 5 Prozent der Beschäftigten zwischen 55 und 64 Jahren weniger als ein Jahr in ihrem Job tätig und wurden somit im Laufe des letzten Jahres neu eingestellt – im OECD-Durchschnitt lag der dieser Wert fast doppelt so hoch, was sowohl auf geringere Einstellungshürden, aber auch eine höhere Wechselbereitschaft bei älteren Beschäftigten im OECD-Schnitt hinweisen kann. Vergleichsweise vorbildlich ist Deutschland hingegen beim Thema Altersdiskriminierung: Hierzulande berichtet nur etwa jeder vierte Beschäftigte ab 45 Jahren, schon einmal wegen seines Alters diskriminiert worden zu sein – das sind deutlich weniger als in allen anderen aufgeführten OECD-Ländern (OECD-Mittel: 40 %).

Im anschließenden Panel diskutierten vier Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis, welche Lehren und konkreten Handlungsempfehlungen sich aus den präsentierten Befunden für Deutschland ergeben.

Abendschön-Sawall: „Der Mittelstand tut sich schwerer als große Unternehmen, gutes Personal zu finden und zu halten“

Gerade für den Mittelstand ist die Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer*innen ein strategisch wichtiges Thema, denn dieser tut sich meist schwerer als Großunternehmen, qualifiziertes Personal zu finden und zu halten. Das treibt auch Zarah Abendschön-Sawall um, Geschäftsführerin der ahk Service & Solution GmbH, eines Herstellers von Bäckerei- und Beschichtungsanlagen. Einen sehr vielversprechenden Ansatz, um das Erfahrungswissen von Älteren im Betrieb zu halten, sieht sie im Modell der Tandemarbeit, welches ihr Unternehmen im Vorjahr erstmals eingeführt hat. Dabei wird einem jüngeren Kollegen ein älterer, bereits in Rente befindlicher Kollege zur Seite gestellt, der dann nur noch für einige Stunden in der Woche für den Betrieb tätig ist, aber dadurch in die Lage versetzt wird, dem jüngeren Kollegen die Einarbeitung in das neue Aufgabenfeld entscheidend zu erleichtern.

Arntz: „Ein großes Problem sind die niedrigen Übergänge von älteren Arbeitslosen in Beschäftigung“

IAB-Vizedirektorin Melanie Arntz sieht in der betrieblichen Gesundheitspolitik und guten Arbeitsbedingungen einen der wesentlichen Hebel, um ältere Beschäftigte länger in Arbeit zu halten und vorzeitigen Ruhestand zu vermeiden. Zudem fänden Ältere oft nur sehr schwer wieder den Weg zurück in Beschäftigung, sobald sie einmal arbeitslos geworden sind. Mit Blick auf die in der aktuellen Wirtschaftskrise wieder an Bedeutung gewinnenden Frühverrentungsprogramme großer Unternehmen warnte Arntz davor, dass die Beschäftigten, die heute in Frührente geschickt werden, nicht selten die fehlenden Fachkräfte von morgen seien. Hier sei es ganz zentral, den Betroffenen frühzeitig alternative Perspektiven aufzuzeigen – wie es die Bundesagentur für Arbeit schon jetzt mit dem Instrument der „Arbeitsmarktdrehscheiben“ praktiziert. Idealerweise gehe das mit einer direkten Weiterbeschäftigung im aufnehmenden Betrieb einher, gegebenenfalls bedürfe es einer entsprechenden Anpassungsqualifizierung.

Hoffmann: „Fast ein Drittel der älteren Beschäftigten müssen aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand gehen“

Reiner Hoffman, Vorsitzender des Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE) und vormaliger Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), betonte, dass der Umbau der Wirtschaft nur mit intrinsisch motivierten Mitarbeitenden gelingen könne. Diese müssten aber auch die Sicherheit haben, an diesem Umbau erfolgreich mitwirken zu können. Hoffmann kritisierte mit Blick auf den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, dass fast ein Drittel der älteren Beschäftigten aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand gehen müsse. Als einen weiteren Engpassfaktor sieht Hoffmann das Problem, dass gerade Menschen mit geringerem Bildungsniveau im Schnitt auch eine geringere Weiterbildungsbereitschaft hätten, weil ihnen vielfach positive Lernerfahrungen in ihrer Biografie fehlten. Hier seien auch die Unternehmen gefordert. Tarifgebundene Unternehmen sieht Hoffmann hier zumeist deutlich besser aufgestellt als tarifungebundene. So gebe es im Bereich der DGB-Gewerkschaften an die 1000 Tarifverträge mit Regelungen zur betrieblichen Weiterbildung.

Solka: „Deutschland ist bei der Beschäftigung Älterer schon sehr weit vorangekommen“

Simone Solka, Unterabteilungsleiterin für „Arbeitsmarktpolitik, Arbeitslosenversicherung, Bürgergeld, Aktive Arbeitsmarktförderung“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wies zunächst darauf hin, dass Deutschland, welches in Europa einst zu den Schlusslichtern bei der Beschäftigung Älterer zählte, inzwischen schon sehr weit vorangekommen sei. Dennoch plane die Bundesregierung in diesem Bereich eine ganze Bandbreite an weiteren Maßnahmen. Dabei nannte Solka beispielsweise die Einführung der Aktivrente – künftig sollen bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei zur Rente hinzuverdient werden können – und die Aufhebung des Vorbeschäftigungsverbots für sachgrundlose Befristungen bei einer Weiterbeschäftigung über das Renteneintrittsalter hinaus. Den langfristig stärksten Hebel um die demografische Lücke zu verringern, sieht Solka jedoch in einer verstärkten Arbeitsmigration. Arntz und Solka betonten zudem die Bedeutung eines flexiblen Altersübergangs.

Eine Aufzeichnung des Webinars sowie die Präsentationsfolien finden Sie auf der OECD-Webseite.

 

Bild: NVB Stocker / stock.adobe.com;
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20250730.01

Schludi, Martin (2025): Alt, älter, arbeitsmarktrelevant: Wie der demografische Wandel Jobs und Wachstum prägt, In: IAB-Forum 30. Juli 2025, https://iab-forum.de/alt-aelter-arbeitsmarktrelevant-wie-der-demografische-wandel-jobs-und-wachstum-praegt/, Abrufdatum: 31. July 2025

 

Diese Publikation ist unter folgender Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht: Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de