26. April 2021 | Serie „Corona-Krise: Folgen für den Arbeitsmarkt“
Befristungen im zweiten Jahr in Folge rückläufig
Die Covid-19-Pandemie veranschaulicht in aller Klarheit, wie die Strukturen und Institutionen des Arbeitsmarktes und das soziale Sicherungssystem in Deutschland funktionieren, wer besonderen Schutz erfährt und wer das Nachsehen hat. Dank Kurzarbeit, Wirtschaftshilfen und einer – abgesehen von einigen Branchen wie dem Gastgewerbe und dem Einzelhandel – weitgehenden Ausklammerung vieler Wirtschaftsbereiche von coronabedingten Schließungen wurden zwar die schlimmsten Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt verhindert. Allerdings sind nicht alle Erwerbstätigen in gleicher Weise abgesichert. Neben geringfügig Beschäftigten und Kleinselbstständigen, die in der Covid-19-Pandemie zum Teil hohe Einkommenseinbußen zu verkraften hatten, gilt dies vor allem für befristet Beschäftigte, die naturgemäß nur für die Dauer ihres Vertrages Beschäftigungssicherheit genießen.
Befristungen verloren schon im Jahr 2019, also vor der Covid-19-Pandemie, an Bedeutung. Diese Entwicklung hat sich mit der Corona-Krise verstärkt. Waren 2018 noch etwa 3,2 Millionen beziehungsweise 8,3 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse befristet, waren es Mitte 2020 noch 2,4 Millionen oder 6,3 Prozent (siehe Abbildung 1).
Im Jahr 2020 wurden befristete Verträge seltener entfristet als im Vorjahr
Der Rückgang im Jahr 2019 ging allerdings noch mit hohen Übernahmequoten einher. Denn der Arbeitsmarkt war noch recht robust, viele Firmen klagten über Fach- und Arbeitskräfteengpässe. Im ersten Corona-Jahr 2020 drehte sich dies komplett: Befristete Verträge wurden seltener verlängert, die Personalabgänge nach Befristungsende stiegen an, und die Zahl der Übernahmen in unbefristete Beschäftigung sank deutlich (siehe Abbildung 2). Dabei sollte berücksichtigt werden, dass es sich um hochgerechnete Werte aus einer Stichprobe handelt, die einer gewissen Unschärfe unterliegen (siehe „Aktuelle Daten und Indikatoren, Befristete Beschäftigung in Deutschland 2020“ auf der IAB-Website).
Im Jahr 2020 stieg der Anteil der Personalabgänge nach Befristungsende gegenüber 2019 von 25 auf 32 Prozent. Der Anteil der Übernahmen sank von 44 auf 39 Prozent, der Anteil der Verlängerungen ging leicht von 31 auf 29 Prozent zurück. Besonders ausgeprägt zeigt sich dieses Anpassungsmuster im Verarbeitenden Gewerbe, im Gastgewerbe und in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Gleichwohl nahm die Zahl der befristungsbedingten Personalabgänge von 2019 auf 2020 nur moderat um insgesamt 30.000 zu (siehe „Aktuelle Daten und Indikatoren, Befristete Beschäftigung in Deutschland 2020“, Tabellen 3a und 3b).
Die Zahl der befristeten Einstellungen war 2020 stark rückläufig
Quantitativ schwerer wiegt, dass die Arbeitgeber insgesamt deutlich weniger Beschäftigte einstellten und damit auch die Zahl der befristeten Einstellungen stark zurückging: Sie sank von 1,1 Millionen in der ersten Jahreshälfte 2019 auf etwa 800.000 in der ersten Jahreshälfte 2020 (siehe Abbildung 3). Dies trifft naturgemäß vor allem Berufsanfänger, die erstmalig auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen sowie Arbeitsuchende und Arbeitslose, die zum Teil in der Covid-19-Pandemie ihre Stelle verloren haben.
Generell wird befristeten Verträgen die Funktion zugeschrieben, Einstellungen zu erleichtern – nicht nur bei zeitlich begrenzten Projekten oder aus Vertretungsgründen, sondern auch bei wirtschaftlicher Unsicherheit. Insofern wäre angesichts der coronabedingten wirtschaftlichen Unwägbarkeiten zu erwarten gewesen, dass Betriebe bei den noch verbleibenden Einstellungen stärker auf befristete Verträge setzen. Dies war in der ersten Jahreshälfte 2020 jedoch nicht zu beobachten. Der Befristungsanteil bei den Einstellungen blieb gegenüber 2019 relativ konstant und im Vergleich zu früheren Jahren eher niedrig.
Auch in Zeiten der Covid-19-Pandemie sind Arbeitskräfte mit spezifischen Qualifikationen in bestimmten Segmenten des Arbeitsmarktes ein knappes Gut. Arbeitgeber dürften diesen Arbeitskräften auch aktuell eher unbefristete Arbeitsverträge in Aussicht stellen. Umgekehrt werden Befristungen jenseits der wirtschaftlichen Unsicherheit aufgrund der Pandemie auch weiterhin als verlängerte Probezeit genutzt, um die Eignung neu eingestellter Arbeitskräfte zu testen. Insgesamt haben sich die Betriebe zu Beginn der Corona-Krise generell mit Einstellungen zurückgehalten, sowohl mit befristeten als auch mit unbefristeten.
Fazit
Befristete Verträge werden tendenziell stärker in Aufschwungphasen genutzt. Das macht die Entwicklung der vergangenen Jahre deutlich. Sie erfüllen dann auch eine Brückenfunktion in unbefristete Beschäftigung, wie die Übernahmequoten während des Beschäftigungsbooms seit 2005 gezeigt haben. Insofern ist bei einem erneuten konjunkturellen Aufschwung zu erwarten, dass Befristungen wieder an Bedeutung gewinnen und in der Folge auch die Übernahmen in unbefristete Beschäftigung erneut zulegen werden.
Die hohen Befristungsanteile bis 2018 bei gleichzeitig geringer Arbeitslosigkeit erscheinen damit rückblickend in einem besserem Licht. Denn die aktuell niedrigen oder sinkenden Befristungsanteile gehen mit rückläufigen Einstellungen und tendenziell steigender Arbeitslosigkeit einher. Befristungen erweisen sich für die Betroffenen also vor allem in Krisenzeiten als Problem, weil sie dann deutlich seltener als Brücke in unbefristete Beschäftigung dienen.
Hohendanner, Christian (2021): Befristungen im zweiten Jahr in Folge rückläufig, In: IAB-Forum 26. April 2021, https://www.iab-forum.de/befristungen-im-zweiten-jahr-in-folge-ruecklaeufig/, Abrufdatum: 19. November 2024
Autoren:
- Christian Hohendanner