20. Dezember 2017 | Serie „Zehn Jahre PASS“
„Dank PASS können wir unsere Politik immer wieder überprüfen“
Wie haben Sie PASS kennengelernt?
Das IAB hatte vor gut zehn Jahren überlegt, ein solches Panel aufzulegen. Ich war damals die zuständige Referentin im Grundsatzreferat für Arbeitsmarktpolitik – das es in meiner Unterabteilung heute noch gibt – und sollte aus Sicht des Ministeriums die Machbarkeit und Finanzierung des Panels prüfen und begleiten.
Was bedeutet PASS für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales?
PASS ist für uns die zentrale Datengrundlage im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Wir gewinnen daraus ein differenziertes Bild über die Grundsicherungsbezieher. Und wir gewinnen weiteres Wissen und Informationen für unsere politische Arbeit. Ich selbst lese aufmerksam die Kurzberichte des IAB zu dem Thema, lasse mich von meinem Grundsatzreferat informieren und verfolge, was das IAB auf diesem Gebiet forscht.
„PASS ist für uns die zentrale Datengrundlage im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende.“
Warum ist PASS wichtig für Sie?
Mit PASS können wir evidenzbasierte Politik machen. Es nutzt ja nichts, wenn wir politische Konzepte entwickeln, zum Beispiel zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, die völlig an den Realitäten vorbeigehen. Dank PASS können wir unsere Politik immer wieder überprüfen und uns fragen: Ist das richtig, was wir machen? Müssen wir nachjustieren? Wie wirkt unsere Politik?
Was interessiert Sie besonders an den Ergebnissen aus der Panelbefragung? Gibt es einzelne Aspekte, die für Ihre Arbeit konkrete Bedeutung haben?
Für uns ist wichtig zu sehen, dass es nicht DEN Grundsicherungsempfänger oder DEN Langzeitarbeitslosen gibt. PASS zeigt uns, dass diese Menschen sehr unterschiedlich sind und sie verschiedenste Hemmnisse für eine Arbeitsmarktintegration aufweisen. Wir können dank PASS genau nachvollziehen, was Grundsicherungsbezieher daran hindert, in Arbeit zu kommen. So gibt es zum Beispiel in vielen Fällen gesundheitliche Einschränkungen, die es schwierig machen, in Beschäftigung zu bleiben oder zu kommen.
Welche konkreten Erkenntnisse aus PASS fließen in Ihre politische Arbeit ein? Können Sie uns da Beispiele nennen?
Wir haben 2015 ein Konzept zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit vorgelegt. Dafür haben wir die Erkenntnisse aus PASS genutzt. Vorab haben wir geschaut, was die Gründe dafür sind, dass Langzeitarbeitslose weiterhin geringe Chancen auf eine Beschäftigung und auf einen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Das sind vor allem gesundheitliche Einschränkungen, Alter, mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache, Kinderbetreuung und die Pflege von Angehörigen. Es zeigte sich, wenn man an diesen „Risikomerkmalen“ arbeitet, gelingt die Integration besser und auch nachhaltig.
„Wir haben die Erkenntnisse aus PASS für unser Konzept zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit genutzt.“
Daraus haben wir 2015 das Konzept entwickelt: Die Jobcenter sollten entsprechend ausgestattet werden, damit sie individuell und auch gesundheitsorientiert beraten können, damit sie Netzwerke vor Ort aufbauen können. Zudem sollten jedem Einzelnen passgenaue Hilfen gegeben werden können. Und es bedarf weiterer Maßnahmen. Beispielsweise muss die Kinderbetreuung weiter ausgebaut werden. Wir haben dafür die Erkenntnisse aus PASS genutzt und unser Konzept danach ausgerichtet. Jetzt sind wir gespannt, in einer der nächsten PASS-Erhebungswellen zu sehen, wie dieser Ansatz wirkt.
Gibt es Ergebnisse aus PASS, die Sie überrascht haben? Ergebnisse, die ganz anders ausgefallen sind, als Sie erwartet haben, und Sie zu einem Richtungswechsel veranlasst haben?
Ich erinnere mich an zwei Punkte, die mich wirklich überrascht haben: Zum einen wie hoch der Anteil der psychischen Erkrankungen unter den Langzeitarbeitslosen ist und wie groß der Einfluss der psychischen Erkrankungen auf die mangelnde Integration ist. Das zeigt uns, dass wir und die Bundesagentur für Arbeit anders mit den Krankenkassen zusammenarbeiten müssen. Das andere Überraschende war, dass ein Großteil der Personen zwei bis drei Einschränkungen wie Alter, Sprachhemmnisse etc. hat und mit jeder weiteren Einschränkung die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu bleiben, extrem steigt. Ich hätte nicht gedacht, dass das Risiko so stark ansteigt.
Bestätigt PASS auch von Ihnen getroffene Annahmen, die Sie in dem eingeschlagenen arbeitsmarktpolitischen Weg bestärken?
Es ist wenig überraschend, dass die Zusammensetzung der Langzeitarbeitslosen – wie oben schon angesprochen – derart heterogen ist. Und wenig überraschend ist, dass zum Beispiel Kinder, die in Leistungsbezieher-Haushalten aufwachsen, geringere Chancen auf soziale Teilhabe haben als Kinder aus Haushalten, die nicht auf solche Leistungen angewiesen sind. Diese Fakten sehe ich als Herausforderungen, die wir weiter in den Fokus nehmen müssen.
Wie hat sich PASS aus Ihrer Sicht in den letzten zehn Jahren entwickelt? Gab es Aspekte, die besonders wichtig sind für Ihre Arbeit?
Wichtig ist für mich, dass PASS eine gewisse Flexibilität bietet. Zwar wird eine bestimmte Personengruppe immer wieder zu den gleichen Themen befragt, aber wir haben auch die Flexibilität, neue Themen aufzunehmen. Beispielsweise hatten wir eine Fragenbatterie zu den Themen „Bildung“ und „Teilhabe“ der Kinder und Jugendlichen im Leistungsbezug. Wir wollten wissen, wie das Bildungspaket auf die tatsächliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen wirkt. Können die geförderten Kinder wirklich besser partizipieren? Aus aktuellem Anlass wurde zudem ein zusätzlicher Fragenblock zu Leistungsbeziehern mit Flüchtlingshintergrund in PASS aufgenommen. Auf der einen Seite ist uns Kontinuität wichtig, um Entwicklungen nachverfolgen zu können, und auf der anderen Seite ist aber auch Flexibilität notwendig, um aktuelle Themen aufgreifen zu können.
„Wichtig ist für mich, dass PASS eine gewisse Flexibilität bietet.“
Sie leiten im Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Projektgruppe „Flüchtlinge“. Inwiefern nützt Ihnen das Panel in dieser Funktion?
Wir haben wenige Daten über Flüchtlinge in Deutschland. Uns interessiert beispielsweise ihre Biografie, ihre Qualifikationen, ihre Sprachkenntnisse, ihre Altersstruktur oder mit welchen Erwartungen sie zu uns gekommen sind. Aus Befragungen erhalten wir wesentlich mehr Erkenntnisse zu diesen Aspekten als aus den Geschäftsstatistiken. So können wir einschätzen, ob unsere Annahmen richtig sind, auf denen wir unsere bisherige Politik aufgebaut haben, oder ob sie falsch sind. Und wir können auf diese Weise beurteilen, ob und wie unsere Politik wirkt.
Zur Person
Vanessa Ahuja ist Diplom-Volkswirtin. Von 1995 bis 1999 war sie Referentin für Arbeitspolitik bei der grünen Bundestagsfraktion. Ab 1999 arbeitete sie als Referentin in Bundesministerien. Im Jahr 2007 leitete sie für kurze Zeit das Referat „Chancengerechtigkeit, Gesellschaft des längeren Lebens“ in der Grundsatzabteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Im Anschluss übernahm Vanessa Ahuja die Referatsleitung für „Grundsatzfragen Sozial- und Gesellschaftspolitik, Zukunft der Arbeit und Arbeitskräftesicherung“. Im Oktober 2012 wechselte sie in die Arbeitsmarktabteilung und führte das Referat für „Grundsatzfragen der Arbeitsmarktpolitik“. Seit Oktober 2014 leitet Vanessa Ahuja die Unterabteilung „Arbeitsmarktpolitik, Arbeitslosenversicherung“.
Das Interview führte Jutta Winters.
Autoren:
- Jutta Winters