Bei der 2024er Konferenz der European Association of Labour Economists (EALE) kamen führende Experten zusammen, um die neuesten Erkenntnisse aus der Arbeitsmarktforschung zu besprechen. IAB-Direktor Professor Bernd Fitzenberger organisierte und leitete das Policy Panel zum Thema „Arbeitskräfte- und Qualifikationsmangel“.

Die diesjährige Konferenz der European Association of Labour Economists (EALE) fand vom 5. bis 7. September 2024 in Bergen, Norwegen, statt. Das Policy Panel zum Thema „Labour shortages: A problem everywhere?“ wurde von Bernd Fitzenberger (IAB) im Auftrag des Netzwerks des European Labour Market Institute (ELMI) organisiert und geleitet. Tito Boeri (Università Commerciale Luigi Bocconi, Mailand), Stéphane Carcillo (OECD, Direktion Beschäftigung, Arbeit und Soziales), Bernd Fitzenberger (IAB und Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg) und Barbara Kauffmann (Europäische Kommission, Brüssel, Direktion Beschäftigung und sozialpolitische Steuerung, Analyse) hielten Vorträge.

Das Panel befasste sich mit dem wichtigen Thema des Arbeitskräftemangels, von dem fast alle OECD-Länder betroffen sind. Die Diskussion konzentrierte sich auf eine Reihe von Themen, darunter die potenziellen Ursachen, wie deutliche demografische Verschiebungen, die Notwendigkeit, dass Arbeitskräfte sich an den raschen wirtschaftlichen Wandel anpassen und die erhöhte Nachfrage nach arbeitsintensiven Dienstleistungen in alternden Gesellschaften. Ein weiteres Thema war der geringe Zuwachs an Produktivität trotz des technologischen Fortschritts, einschließlich der zunehmenden Einführung künstlicher Intelligenz und umfassenderer Digitalisierungsbemühungen. Außerdem ging es auf dem Panel auch um eine Reihe potenzieller politischer Maßnahmen, die darauf abzielen, den Arbeitskräftemangel zu lindern und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu fördern.

Arbeitskräfte- und Qualifikationsdefizite in der EU

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Dr. Barbara Kauffmann leitet die Direktion für Beschäftigung und sozialpolitische Steuerung und Analyse in der Europäischen Kommission.

Barbara Kauffmann hielt einen Vortrag zum Thema „Arbeitskräfte- und Qualifikationsdefizite in der EU“. Darin thematisierte sie den zunehmenden Arbeitskräftemangel in den EU-Mitgliedstaaten im vergangenen Jahrzehnt. Diese Engpässe seien eine potenzielle Herausforderung für Geschäftstätigkeit, Investitionen und die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der EU. Dabei spielen mehrere wichtige Faktoren eine Rolle. Einer davon ist der demografische Wandel, insbesondere der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Ein weiterer Faktor sind laut Kauffmann die schlechten Arbeitsbedingungen in Branchen, in denen großer Mangel herrscht. Außerdem sieht Kauffmann einige Gruppen auf dem Arbeitsmarkt unterrepräsentiert, etwa Menschen mit Behinderungen und Ältere. Kauffmann wies auch darauf hin, dass die Knappheit durch strukturelle Veränderungen hinsichtlich der geforderten Qualifikationen, insbesondere in den Bereichen Umwelt und digitaler Wandel, verstärkt wird. Zu den genannten politischen Lösungen zählen insbesondere Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, zur Förderung der Mobilität innerhalb der EU, zur Unterstützung von Weiterbildung und zur Anwerbung von Arbeitskräften von außerhalb der EU. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen schlug sie Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, zur Förderung der Mobilität innerhalb der EU, zur Unterstützung der Ausbildung von Fachkräften und zur Gewinnung von Talenten von außerhalb der EU vor.

Barbara Kauffmanns Vortrag

Arbeitskräftemangel in der OECD

Das Bild zeigt in grauer Farbe die schemenhafte Silhouette eines Mannes mit kurzen Haaren.

Dr. Stéphane Carcillo leitet in der OECD die Direktion für Beschäftigung, Arbeit und Soziales.

Stéphane Carcillo sprach über den „Arbeitskräftemangel in der OECD“. Anhand von Daten aus dem OECD-Beschäftigungsausblick für 2024 gab er einen Überblick über die Herausforderungen, mit denen die OECD-Länder auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind. Obwohl es Anzeichen für eine Entspannung gibt, bleibt der Arbeitsmarkt insbesondere in bestimmten Branchen angespannt. Carcillo stellte heraus, dass Niedriglohnbranchen zwar nicht mehr so stark von Engpässen betroffen sind, dafür aber Bereiche wie das Gesundheits- und Bildungswesen sowie freiberufliche Dienstleistungen weiterhin unter erheblichem Druck stehen. Carcillo nannte mehrere Hauptursachen für diese Engpässe, darunter die Überalterung der Bevölkerung und Veränderungen bei der Erwerbsbeteiligung, neue Qualifikationsanforderungen aufgrund von KI, digitaler und ökologischer Transformation, strukturelle Veränderungen und Beschäftigungsübergänge sowie veränderte Prioritäten der Arbeitskräfte, wie die Forderung nach guten Arbeitsbedingungen. Zu den genannten politischen Lösungen zählen insbesondere Maßnahmen zur Förderung der geografischen Mobilität, zur Aktivierung unterrepräsentierter Gruppen in der Erwerbsbevölkerung und zur Verbesserung der Arbeitsplatzqualität.

Stéphan Carcillos Vortrag 

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Tito Boeri ist Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Bocconi-Universität in Mailand.

Vom Arbeitskräfteüberschuss zum Arbeitskräftemangel

Tito Boeris Vortag „Vom Arbeitskräfteüberschuss zum Arbeitskräftemangel“ befasste sich mit dem weit verbreiteten Arbeitskräftemangel, von dem diverse Branchen in ganz Europa betroffen sind. Boeri vertrat die Ansicht, dass diese Engpässe eher strukturell als konjunkturell bedingt seien, da viele stark nachgefragte Berufe bereits vor der Erholung nach der COVID-19-Krise mit ähnlichen Problemen zu kämpfen gehabt hätten. Er nannte in seinem Vortrag einige der Schlüsselfaktoren für diesen Mangel, darunter ein Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage, demografische Veränderungen wie eine alternde Bevölkerung sowie schlechte Arbeitsbedingungen bei Niedriglohntätigkeiten wie Verkauf, Reinigung und Kochen, die potenzielle Arbeitskräfte abschrecken. Es gäbe auch Hinweise darauf, dass der Arbeitskräftemangel in bestimmten Bereichen durch einen Mangel an spezialisierter Ausbildung verstärkt werde. Dies sei insbesondere im Gesundheitswesen und im Ingenieurwesen der Fall. Als Politikmaßnahmen empfahl er insbesondere eine Ausweitung der Berufsausbildung, die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung (insbesondere von Frauen), eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine verstärkte Zuwanderung, um den Auswirkungen einer alternden Erwerbsbevölkerung entgegenzuwirken.

Tito Boeris Vortrag

Portrait Picture of Bernd Fitzenberger

Prof. Bernd Fitzenberger, PhD, ist Direktor des IAB und Professor für Quantitative Arbeitsökonomik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Arbeitskräftemangel in Deutschland

Bernd Fitzenberger befasste sich mit dem Thema „Arbeitskräftemangel in Deutschland“. In seinem Vortrag sprach er über die Herausforderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. In Deutschland herrscht, trotz eines Beschäftigungsniveaus auf Rekordhöhe, ein gravierender Fachkräftemangel, insbesondere in Branchen wie dem Bau- und Gastgewerbe. Dieser Mangel wird durch eine anhaltende Diskrepanz zwischen den offenen Stellen und den Qualifikationen der Arbeitssuchenden noch verschärft, wie die hohen Arbeitslosenzahlen bei ungelernten Arbeitskräften zeigen. Zu den weiteren strukturellen Herausforderungen zählen ein Rückgang der Mobilität von Arbeitskräften, die alternde Bevölkerung sowie ein Rückgang von Ausbildungsangeboten. Zwar gab es im zweiten Quartal 2024 weniger offene Stellen als im Vorjahr, dennoch dürfte der Arbeitskräftemangel auch in den kommenden Jahren anhalten.

Bernd Fitzenbergers Vortrag

Ausblick

Arbeitskräftemangel ist ein gravierendes Problem in vielen OECD- und EU-Ländern. Zu den wichtigsten Erklärungen gehören die Alterung der Bevölkerung, veränderte Präferenzen von Beschäftigten und strukturelle Veränderungen der benötigten Qualifikationen durch den Übergang zu digitalen und grünen Technologien. Zu den vorgeschlagenen Lösungen zählen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Förderung der Mobilität von Arbeitskräften und der Erwerbsbeteiligung, insbesondere von Älteren.

Die nächste Jahreskonferenz der EALE findet vom 27. bis 29. Juni 2025 als gemeinsame Konferenz mit der SOLE und der AASLE in Toronto (Kanada) statt. Die ELMI-Konferenz 2025 wird – mitorganisiert durch das IAB – am Institute for Structural Research (IBS) in Warschau (Polen) stattfinden.

 

Bild: Andrii Yalanskyi/stock.adobe.com

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20241122.01

Fitzenberger, Bernd (2024): ELMI Policy Panel: Fehlen überall Arbeitskräfte?, In: IAB-Forum 22. November 2024, https://www.iab-forum.de/elmi-policy-panel-fehlen-ueberall-arbeitskraefte/, Abrufdatum: 22. November 2024