10. September 2025 | Interviews
Erste Ergebnisse der neuen BA-BIBB-IAB-Bewerberstudie: Erfahrungen bei der Berufsorientierung machen den Unterschied

Herr Professor Ertl, Herr Professor Fitzenberger, das BIBB und das IAB arbeiten seit vielen Jahren erfolgreich zusammen und beweisen ihre enge Zusammenarbeit nun aufs Neue mit der BA-IAB-BIBB-Bewerberstudie. Was ist für Sie das Besondere an dem neuen Befragungsformat?

Prof. Dr. Hubert Ertl ist seit 2017 Forschungsdirektor und Ständiger Vertreter des Präsidenten am BIBB.
Hubert Ertl: Die BA-BIBB-IAB-Bewerberstudie ist aus der BA/BIBB-Bewerberbefragung entstanden, die wir seit fast dreißig Jahren durchführen. Mit ihr wollen wir seit jeher das Geschehen auf dem Ausbildungsmarkt transparenter machen und die amtliche Statistik durch Informationen über die Bewerber ergänzen.
Durch unsere neue Kooperation mit dem IAB haben wir nun die Möglichkeit, die Befragungsdaten mit Daten aus dem operativen Geschäft der Bundesagentur für Arbeit (BA) und administrativen Daten zu Beschäftigungsverläufen zu verknüpfen. Damit erschließen sich für uns nicht nur weitere wichtige und spannende Forschungsfelder. Mit den gemeinsamen Ressourcen beider Institute können wir diese auch auf hohem wissenschaftlichem Niveau bearbeiten. Unsere Ergebnisse können dadurch noch besser von der Politik genutzt werden, um passgenaue Maßnahmen für die wachsenden Herausforderungen am Ausbildungsmarkt zu entwickeln.

Prof. Bernd Fitzenberger, PhD, leitet seit 2019 das IAB.
Bernd Fitzenberger: Diese Herausforderungen sind für uns als Forschungsinstitut längerem ein wichtiges Thema. Wir sehen zum Beispiel, dass einerseits Betriebe ihre Ausbildungsstellen nicht besetzen können, während gleichzeitig bestimmte Gruppen von Ausbildungssuchenden dennoch Schwierigkeiten haben, einen geeigneten Ausbildungsplatz zu finden – das sogenannte Mismatch-Problem. Daher war es für uns naheliegend, uns an der Bewerberstudie zu beteiligen, um so einen Datensatz zu erhalten, mit dem wir die Entwicklungen am Ausbildungsmarkt zeitnah beobachten können.
Laut Statistik der BA war bei 55.000 Ausbildungsplatzsuchenden im Jahr 2023 der Verbleib nicht bekannt.
Insbesondere eine Gruppe junger Menschen, die vorher schwer zu fassen war, kann nun von der Befragung abgebildet werden: die unbekannt Verbliebenen. Wer ist das eigentlich?
Fitzenberger: Die „unbekannt Verbliebenen“ sind Personen, die sich zunächst bei der BA gemeldet und über diesen Kanal einen Ausbildungsplatz gesucht haben. Irgendwann im Prozess haben diese Personen dann keine weitere Vermittlung mehr gewünscht, und der Kontakt zwischen den Ausbildungsplatzsuchenden und der BA ist abgebrochen. Daher ist nicht bekannt, was aus diesen Personen geworden ist, ob sie zum Beispiel erfolgreich bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle waren oder nicht – und wenn nicht, was sie stattdessen gemacht haben.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir hier von einer relevanten Größenordnung sprechen: Laut Zahlen der Statistik der BA war bei 55.000 von gut 430.000 Ausbildungsplatzsuchenden im Jahr 2023 der Verbleib nicht bekannt. Das ist eine erhebliche Informationslücke, und die versuchen wir mit der Bewerberstudie zu schließen.
Ertl: Aus den vorangegangenen BA-BIBB-Bewerberbefragungen wissen wir, dass gerade die Gruppe der unbekannt Verbliebenen Gefahr läuft, häufiger ohne Ausbildung und vermehrt in prekären Situationen, wie beispielsweise Arbeitslosigkeit, zu verbleiben. Darauf weisen auch die aktuellen Ergebnisse wieder hin. Es ist daher wichtig, diese Gruppe in den Blick zu nehmen – auch vor dem Hintergrund der mit knapp drei Millionen viel zu hohen Zahl junger Erwachsener im Alter von 20 bis 34 Jahren ohne Berufsabschluss in Deutschland.
Der Anteil der Arbeitslosen ist bei den unbekannt Verbliebenen mehr als viereinhalb Mal so hoch wie bei den übrigen Befragten.
Wie zeigt sich das in Ihren aktuellen Ergebnissen?
Ertl: Wir sehen, dass von den unbekannt Verbliebenen nur 13 Prozent zum Zeitpunkt der Befragung in einer Ausbildung waren. Bei den Ausbildungssuchenden mit bekanntem Verbleib sind es hingegen 57 Prozent. Gleichzeitig ist der Anteil der Arbeitslosen oder Arbeitsuchenden bei den unbekannt Verbliebenen mehr als viereinhalb Mal so hoch wie bei den übrigen Befragten.
Wir haben die Ausbildungssuchenden auch nach ihrer Zufriedenheit mit ihrer aktuellen Situation gefragt, und da spiegelt sich die Ungleichheit ebenfalls wider: Von den unbekannt Verbliebenen bezeichnet sich nicht einmal die Hälfte als zufrieden, während bei den Befragten mit bekanntem Verbleib drei von vier zufrieden sind. All das spricht aus meiner Sicht dafür, dass ein Großteil der unbekannt Verbliebenen den Kontakt zur BA nicht deswegen abgebrochen hat, weil die eigene Ausbildungsplatzsuche erfolgreich war oder weil eine attraktivere Alternative zu einem betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden wurde, sondern eher aufgrund von Erfolglosigkeit.
Fitzenberger: Aktuelle Studien etwa von der Bertelsmann-Stiftung zeigen, dass viele junge Menschen heutzutage direkt von der Schule in eine unqualifizierte Beschäftigung übergehen. Individuell mag das zunächst kurzfristig sinnvoll erscheinen, da man erst einmal mehr verdient als in einer Ausbildung und keine Prüfungen mehr ablegen muss. Langfristig ist man aber, wie wir aus anderer Forschung wissen, mit einer Ausbildung deutlich besser aufgestellt und hat sowohl ein höheres Einkommen als auch ein geringeres Arbeitslosigkeitsrisiko.
Unsere aktuellen Ergebnisse aus der Bewerberstudie zeigen, dass dies bei den Befragten mit unbekanntem Verbleib ein besonderes Problem zu sein scheint: Hier sind zum Zeitpunkt der Befragung 17 Prozent der Befragten erwerbstätig und damit gut 10 Prozentpunkte mehr als bei denjenigen mit bekanntem Verbleib – die allermeisten davon vermutlich ohne Ausbildung. Das bedeutet, dass diese Gruppe allenfalls nur kurzfristig finanziell besser dasteht als andere. Gleichzeitig steht allerdings zu befürchten, dass ein erheblicher Teil der unbekannt Verbliebenen längerfristig mit einem höheren Arbeitslosigkeitsrisiko und einem geringeren Einkommen rechnen muss.
Es ist wichtig, jungen Geflüchteten die hohe Bedeutung der beruflichen Ausbildung im hiesigen Arbeitsmarkt deutlich zu machen.
Neben dieser Gruppe haben Sie eine weitere Gruppe in den Blick genommen, die ebenfalls besondere Hürden zu überwinden hat: Jugendliche mit Fluchthintergrund. Vor welchen Herausforderungen stehen diese?
Fitzenberger: Für Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, ist die Integration in Beschäftigung eine wichtige Voraussetzung für ihre gesellschaftliche Integration. Wer eigenes Geld verdient, kann für sich selbst sorgen. Das ist nicht nur für die Geflüchteten wichtig, sondern auch für deren Akzeptanz in der Gesellschaft. Eine Berufsausbildung ermöglicht den Betroffenen dabei Zugang zu einer qualifizierten Tätigkeit, welche zusätzlich zu den eben genannten Vorteilen auch einen höheren Lohn und ein geringeres Arbeitslosigkeitsrisiko mit sich bringt.
Gerade für jüngere Geflüchtete gibt es dabei aber Hürden. Häufig sind es Sprachbarrieren, vor allem, wenn sie erst seit Kurzem in Deutschland sind – wie aktuell viele junge Menschen aus der Ukraine. Außerdem ist unser duales Ausbildungssystem in vielen Herkunftsländern völlig unbekannt und akademische Bildung genießt eine wesentlich höhere Wertschätzung als berufliche Bildung. Deshalb ist es umso wichtiger, diese Gruppe klar und zielgruppengerecht über Ausbildungswege und weitergehende berufliche Chancen zu informieren und die hohe Bedeutung der beruflichen Ausbildung im hiesigen Arbeitsmarkt deutlich zu machen.
Neu hinzugezogene Geflüchtete sollten bestimmte Berufsorientierungsmaßnahmen nachholen können.
Gerade hier scheint allerdings ein Problem zu liegen. Ihr Bericht zeigt ja auch, dass geflüchtete Jugendliche seltener von Berufsorientierungsangeboten an ihrer Schule berichten.
Ertl: Das ist in der Tat ein überraschendes Ergebnis. Wir vermuten, dass insbesondere erst kürzlich nach Deutschland gezogene Flüchtlinge diese Angebote schlicht verpasst haben. Maßnahmen wie etwa Praktika finden ja in der Regel bereits im vorletzten Schuljahr statt, und da waren manche der Geflüchteten vielleicht noch nicht in Deutschland. Dafür spricht auch, dass die Geflüchteten, die an einer Maßnahme teilgenommen haben, diese durchaus positiv bewerten. Es ist also eher unwahrscheinlich, dass Geflüchtete die Maßnahmen aus Desinteresse ignorieren.
Einen Ansatz, derartigen Problemen zu begegnen, sehe ich darin, die Berufsorientierungsangebote für diese Personengruppe zu optimieren und einfacher zugänglich zu machen. Insbesondere könnte man darüber nachdenken, die Möglichkeit zu schaffen, dass neu Hinzugezogene bestimmte Berufsorientierungsmaßnahmen nachholen können.
Wie Sie gerade angesprochen haben, Herr Ertl: In der Studie haben Sie auch nachgefragt, wie die Jugendlichen diese schulischen Angebote bewerten. Gibt es einen Zusammenhang darin, wie die Jugendlichen die Angebote bewerten, und ihrem Erfolg beim Übergang in eine Ausbildung?
Ertl: Unsere Ergebnisse zeigen tatsächlich, dass Personen, die die Berufsorientierungsangebote als unterstützend wahrgenommen haben, häufiger einen Ausbildungs- oder Studienplatz gefunden haben und auch generell zufriedener mit dem Ergebnis der Stellensuche sind. Im Gegensatz dazu waren Personen, die die Berufsorientierungsangebote als bevormundend oder unter Druck setzend empfunden haben, seltener erfolgreich beim Übergang in Ausbildung oder Studium. Sie waren auch weniger zufrieden mit dem Erreichten.
Fitzenberger: Hier legen unsere Ergebnisse somit nahe, dass wir gerade diese Personen noch besser abholen sollten, mit Angeboten, die ihre Lebensrealität ernst nehmen und ihre Eigenverantwortung stärken.
Im nächsten Schritt planen wir, die Befragungsdaten mit administrativen Daten zu verknüpfen.
Wie geht es mit der BA-BIBB-IAB-Bewerberstudie weiter?
Fitzenberger: Aufgrund des sehr guten Auftakts der neuen Kooperation sind wir uns einig, diese in Zukunft fortzuführen und gemeinsam auszubauen. Ganz konkret planen wir, im nächsten Schritt die Befragungsdaten mit den bei uns im Haus verfügbaren administrativen Daten zu verknüpfen. Das erweitert die Analysemöglichkeiten substanziell und erlaubt uns auch, die längerfristigen Entwicklungen zu untersuchen.
Ertl: Wie schon die Vorgängerstudie, die Bewerberbefragung, ist auch die Bewerberstudie keine einmalige Angelegenheit. Alle drei Jahre befragen wir eine neue Stichprobe aus allen, die sich im Befragungsjahr um eine Ausbildungsstelle beworben haben. Gemeinsam werden wir für die nächste Studie erhebungsmethodische Optimierungen vornehmen und weitere bildungs- und arbeitsmarktpolitisch interessante Themen identifizieren. Voraussichtlich im Jahr 2027 wird es wieder eine neue BA-BIBB-IAB-Bewerberstudie geben, auf deren Basis wir dann aktuelle Informationen zur Ausbildungsstellensuche bereitstellen können.
Informationen zur Studie
Bei der BA-BIBB-IAB-Bewerberstudie 2024 handelt es sich um eine schriftlich-postalische Repräsentativbefragung von Ausbildungssuchenden, die im Vermittlungsjahr 2023/2024 bei der BA als ausbildungsstellensuchend gemeldet waren. Angeschrieben wurden 60.000 zufällig ausgewählte Menschen, die eine Ausbildungsstelle suchten. Der Erhebungszeitraum war von Mitte November 2024 bis Ende Januar 2025. Nach Abschluss der Feldphase lagen 6.011 auswertbare Fälle vor. Die bereinigte Rücklaufquote beträgt somit 10 Prozent.
Literatur
Informationen zur Studie
Bei der BA-BIBB-IAB-Bewerberstudie 2024 handelt es sich um eine schriftlich-postalische Repräsentativbefragung von Ausbildungssuchenden, die im Vermittlungsjahr 2023/2024 bei der BA als ausbildungsstellensuchend gemeldet waren. Angeschrieben wurden 60.000 zufällig ausgewählte Menschen, die eine Ausbildungsstelle suchten. Der Erhebungszeitraum war von Mitte November 2024 bis Ende Januar 2025. Nach Abschluss der Feldphase lagen 6.011 auswertbare Fälle vor. Die bereinigte Rücklaufquote beträgt somit 10 Prozent.
Ertl, Hubert; Fitzenberger, Bernd; Anger, Silke; Christ, Alexander; Christoph, Bernhard; Gei, Julia; Holleitner, Julia; Keßler, Catie; Leber, Ute; Schels, Brigitte; Seegers, Marco (2025): BA-BIBB-IAB-Bewerberstudie zum Ausbildungsmarkt: Ausbildungssuchende ohne Kontakt zur Arbeitsagentur und Geflüchtete sind oft im Nachteil. IAB-Kurzbericht Nr. 18.
Bild: Robert Kneschke / stockadobe.com
DOI: 10.48720/IAB.FOO.20250909.01
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Autoren:
- Christiane Keitel