Ähnlich wie in Deutschland hat die Corona-Krise auch in anderen Ländern Lücken in der sozialen Absicherung bestimmter Beschäftigtengruppen offenbart. Um diese in der Krise besser zu schützen, wurde eine Reihe von Sozialleistungen länderübergreifend ausgeweitet. Gleichwohl besteht auch über die Krise hinaus Handlungsbedarf. So bedarf es etwa in Deutschland vor allem einer grundlegenden Reform der Minijobs und einer besseren Absicherung von Solo-Selbstständigen.

Die Corona-Krise wirkt in vielen Bereichen wie ein Brennglas, unter dem bereits vorhandene Probleme noch deutlicher als zuvor sichtbar werden. So offenbart sie Schwächen, vor allem in der sozialen Absicherung von atypisch Beschäftigten und (Solo-)Selbstständigen – Schwächen, die es in vielen Ländern der Europäischen Union (EU) zu beklagen gibt.

Im Folgenden werden nach einer Beschreibung der Entwicklung bei der atypischen Beschäftigung die in fünf ausgewählten EU-Ländern ergriffenen Sofortmaßnahmen zur Einkommenssicherung im Überblick dargestellt. Neben Deutschland sind dies Frankreich, Finnland, Italien und das Vereinigte Königreich – Länder, die unterschiedliche Wohlfahrtsstaatsmodelle repräsentieren. Anschließend wird die Frage erörtert, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich im internationalen Vergleich zeigen und welcher Anpassungsbedarf in den sozialen Sicherungssystemen in Deutschland – auch über die Krise hinaus – möglicherweise besteht.

Atypische Beschäftigungsverhältnisse: Formen und Verbreitung im Ländervergleich

In allen europäischen Ländern ist die Bedeutung unterschiedlicher Erwerbsformen jenseits der klassischen unbefristeten Vollzeitbeschäftigung in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Allerdings ist der Anteil an atypisch Beschäftigten seit der letzten Wirtschaftskrise 2008/2009 im EU-Durchschnitt, mit Ausnahme von Teilzeitarbeit und sehr kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen, kaum mehr angestiegen. In einigen Ländern war er sogar rückläufig (siehe Abbildung 1).

In Deutschland ist vor allem Teilzeitbeschäftigung weit verbreitet. Der Anteil regulärer Teilzeitbeschäftigter steigt weiter an, während die Zahl der ausschließlich geringfügigen Teilzeitbeschäftigten, sogenannte Minijobber, seit 2015 sinkt.

Auch der Anteil der befristet Beschäftigten ist seit 2017 rückläufig. Nach Angaben des europäischen Labour Force Surveys waren im Jahr 2019 noch gut 10 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland befristet beschäftigt. In dieser Statistik werden auch Ausbildungsverhältnisse und befristet beschäftigte Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer als befristet beschäftigt („temporary employed“) erfasst. In der Regel ist der Vertrag mit der Leiharbeitsfirma in Deutschland allerdings unbefristet. So waren im Jahr 2019 knapp 60 Prozent aller von Leiharbeitnehmern aufgenommenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse unbefristet.

Sehr kurzfristige Beschäftigungsverträge mit einer Dauer von unter drei Monaten spielen in Deutschland hingegen kaum eine Rolle. In Frankreich und Finnland hingegen sind diese mit 5 beziehungsweise 4 Prozent aller Erwerbstätigen deutlich stärker verbreitet. Im Vereinigten Königreich und vor allem in Italien wiederum sind vor allem Solo-Selbstständige eine sehr häufige Form von atypischer Beschäftigung (siehe Abbildung 1).

IAB-Forum vom 02.10.2020; Kerstin Bruckmeier, Regina Konle-Seidl: Folgen der Corona-Krise für die sozialen Sicherungssysteme im Ländervergleich. Die Abbildung zeigt die Verbreitung unterschiedlicher Formen atypischer Beschäftigung im Ländervergleich jeweils für das Jahr 2008 und 2019. Angegeben sind die Anteile der Beschäftigten an allen Beschäftigten in den folgenden Beschäftigungsformen: Teilzeitbeschäftigung, befristete Beschäftigung kürzer als drei Monate, befristete Beschäftigung länger als drei Monate, Solo-Selbstständige. Ausgewertet wurden Daten für Deutschland, Frankreich, Italien, Finnland, Vereinigtes Königreich und der Europäischen Union. Es fällt auf, dass Teilzeitbeschäftigung mit Anteilen von 23 Prozent im Jahr 2008 und 25,6 Prozent im Jahr 2019 in Deutschland im Ländervergleich am stärksten verbreitet ist. In Italien gibt es hingegen mit 16,2 beziehungsweise 14,9 Prozent im Vergleich am meisten Solo-Selbstständige. Befristete Beschäftigung, die kürzer als drei Monate dauert, ist hingegen in allen Ländern und in der EU insgesamt selten. Die höchsten Werte erreicht Frankreich mit 4,3 beziehungsweise 4,7 Prozent. Quelle: European Labour Force Survey (EU-LFS), eigene Auswertung.

Forderungen nach einer besseren sozialen Absicherung von atypisch Beschäftigten haben die sozialpolitischen Debatten und Reformen in vielen europäischen Ländern schon während der letzten Jahre geprägt. Dies dürfte auch damit zu tun haben, dass international neue Formen der Arbeitszeitflexibilisierung an Bedeutung gewonnen haben, beispielsweise die „Arbeit auf Abruf“ (Zero Hour Contracts).

Plattformarbeit und flexible Arbeitsverhältnisse gewinnen an Bedeutung

Verstärkt durch die voranschreitende Digitalisierung sind auch Tätigkeiten in der Plattformökonomie oder freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Werk- oder Dienstverträgen in den Blickpunkt gerückt. Sie rangieren zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit.

Im Vergleich zu den herkömmlichen Formen atypischer Beschäftigung ist die statistische Erfassung dieser als flexibel bezeichneten Arbeitsverhältnisse allerdings schwieriger. Eine Umfrage unter Internetnutzenden zwischen 16 und 74 Jahren in 16 EU-Ländern im Jahr 2018 lässt allerdings vermuten, dass nur circa 1,4 Prozent der Erwerbstätigen hauptsächlich in der Plattformökonomie tätig sind. Weitere 4,1 Prozent erwirtschaften zwischen 25 und 50 Prozent ihres Einkommens durch digitale Aufträge, wie eine 2020 erschienene Studie von Cesira Urzì Brancati und Kollegen zeigt.

Bei Arbeit auf Abruf gaben 4,5 Prozent der im Rahmen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) 2016 befragten Beschäftigten an, derartige Tätigkeiten auszuüben. Ähnliche Größenordnungen gibt es in anderen EU-Staaten. In den Niederlanden sind 6,4 Prozent (2016), in Großbritannien 3,2 Prozent (2018) und in Finnland 4 Prozent (2015) der Beschäftigten in ähnlichen Arbeitsverhältnissen tätig. Dies zeigt eine Auswertung von Nikhil Datta, Gulia Giupponi und Stephan Machin aus dem Jahr 2019.

Diese Beschäftigungsverhältnisse sind allerdings im Ländervergleich arbeitsrechtlich unterschiedlich reguliert und auch unterschiedlich sozial abgesichert. Hierzulande sind Beschäftigte, die Arbeit auf Abruf verrichten, arbeitsrechtlich geschützt und mit Ausnahme von Minijobs auf Abruf regulär sozialversicherungspflichtig beschäftigt, während „Zero Hour Contracts“ beispielsweise im Vereinigten Königreich als prekäre Beschäftigungsform gelten.

Absicherung von Nichtstandard-Arbeitnehmern in der Krise

Etwaige Lücken bei der Absicherung von Erwerbstätigen, die ihre Beschäftigung verlieren, können auf mehreren Ebenen auftreten. In Deutschland, Frankreich, Italien, Finnland und dem Vereinigten Königreich gibt es ein zweistufiges Sicherungssystem. In diesem stellt eine der Grundsicherung oder Arbeitslosenhilfe vorgelagerte Arbeitslosenversicherung die erste Säule des Unterstützungssystems für Arbeitslose dar. Sie finanziert sich in der Regel durch die Beiträge von Arbeitgebern und Beschäftigten, teilweise auch über staatliche Zuschüsse wie in Finnland. Die Arbeitslosenversicherung unterscheidet im Allgemeinen nicht zwischen verschiedenen Beschäftigungsformen innerhalb der Versichertengemeinschaft. Grundsätzlich steht sie auch befristet Beschäftigten oder Teilzeitbeschäftigten offen, sofern diese Beiträge einzahlen.

In den meisten Ländern sind bestimmte Rahmenfristen und Anwartschaftszeiten (Mindestbeschäftigungszeiten) Voraussetzung für den Bezug von Leistungen. Diese variieren von Land zu Land erheblich. Während in Deutschland Beschäftigte in den letzten 30 Monaten vor der Arbeitslosmeldung mindestens 12 Monate beschäftigt sein mussten, sind dies in Frankreich 6 Monate innerhalb der letzten 24 Monate. Auch die Bezugsdauer variiert erheblich: Während in Großbritannien nur sechs Monate lang Arbeitslosengeld als Versicherungsleistung gewährt wird, sind es in Deutschland im Regelfall 12 Monate und in Frankreich 24 Monate.

Bei denjenigen, die nur kurze Zeit beschäftigt waren oder einen befristeten Vertrag haben, besteht das Risiko, dass sie die Anspruchskriterien nicht erfüllen können. Dies traf in Deutschland auf rund ein Drittel der Personen zu, deren versicherungspflichtige Beschäftigung in den Jahren 2016 oder 2017 endete. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Gesine Stephan, die als IAB-Kurzbericht 9/2019 erschienen ist. Selbst wenn diese Personen einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hätten, reichen die gewährten Leistungen nicht immer zur Sicherung des Lebensunterhalts aus – etwa, wenn sie zuvor geringe Löhne bezogen haben oder teilzeitbeschäftigt waren.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass dieser Personenkreis ohne jegliche soziale Absicherung ist. Je nach Bedarf im Haushaltskontext haben sie Anspruch auf ergänzende Grundsicherungsleistungen in Form von Arbeitslosengeld II. Die Simulationsrechnungen des IAB zeigen: Durch kürzere Anwartschaftszeiten in der Vergangenheit hätten zwar mehr neue Arbeitslose Anspruch auf Arbeitslosengeld. Voraussichtlich wäre es aber nur einem Teil dieser Arbeitslosen gelungen, ihren Lebensunterhalt dadurch tatsächlich zu decken. Der andere Teil hätte trotzdem ergänzend Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen müssen, da das versicherungsbasierte Arbeitslosengeld nicht ausgereicht hätte.

Selbstständige sind häufig nicht ausreichend abgesichert

Eine größere Gruppe, bei denen die Mitgliedschaft in der Arbeitslosenversicherung meistens nicht gegeben ist, sind Selbstständige – beispielsweise selbstständige Kleinunternehmer, oft Solo-Selbstständige ohne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie erzielen häufig nur geringe Einkommen und sind daher bei einem starken Rückgang oder Ausfall von Aufträgen und fehlender Unterstützung durch andere Haushaltsmitglieder nicht ausreichend abgesichert. Wie in Deutschland sind in den meisten EU-Ländern Selbstständige traditionell nicht in der Arbeitslosenversicherung pflichtversichert. Allerdings ist in den meisten Ländern eine freiwillige Mitgliedschaft in der Arbeitslosenversicherung möglich.

Hierzulande ist eine freiwillige Versicherung für Gründerinnen und Gründer möglich. Allerdings wurde die freiwillige Versicherung 2018 nur von rund 4 Prozent genutzt. Im Vereinigten Königreich gibt es keine Zugangswege für Selbstständige in die staatliche Arbeitslosenversicherung. In Italien sind sogenannte „scheinabhängige Arbeitnehmer“ durch einen spezifischen Fonds (Gestione Seperata) abgesichert.  Anders als in Deutschland, umfasst die Künstlersozialversicherung in Frankreich (Intermittents du spectacle) auch spezifische Regelungen bei Arbeitslosigkeit.

Nicht abgesichert in der Arbeitslosenversicherung sind Erwerbstätige, die (freiwillig oder unfreiwillig) keine Beiträge bezahlen. In Deutschland sind dies zum Beispiel geringfügig Beschäftigte mit Verdiensten bis 450 Euro – sogenannte Minijobber. Ihre Zahl belief sich im Jahr 2019 auf 4,57 Millionen. Bei dieser in Europa nur noch in Österreich vorhandenen Form der Teilzeitbeschäftigung sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der Sozialversicherungspflicht und der Einkommensteuer befreit. Abgesichert werden die ausschließlich geringfügig Beschäftigten durch andere Einkommenstransfers, zum Beispiel Arbeitslosengeld II oder durch andere Haushaltsmitglieder, beispielsweise durch das Einkommen des Partners oder der Partnerin.

In Finnland ist die freiwillige Mitgliedschaft in einem Arbeitslosenfond Voraussetzung, um das einkommensabhängige Arbeitslosengeld zu erhalten. Im Jahr 2015 waren circa 90 Prozent aller Beschäftigten Mitglied in einem Arbeitslosenfonds.

Die Grundsicherungssysteme in Deutschland und dem Vereinigten Königreich sind im internationalen Vergleich sehr umfassend

Arbeitslose, die nicht oder nicht ausreichend über die Arbeitslosenversicherung abgesichert sind oder deren Anspruch ausgelaufen ist, können in allen hier betrachteten Ländern nachrangige bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen beantragen. Diese Leistungen können entweder als Arbeitslosenhilfe ausschließlich Arbeitslosen gewährt werden wie zum Beispiel das Basisarbeitslosengeld in Finnland oder – wie in Deutschland – in ein Grundsicherungssystem integriert sein. Leistungen werden dann unabhängig vom Arbeitslosigkeitsstatus all denjenigen gewährt, die eine bestimmte Einkommensgrenze bezogen auf den gesamten Haushalt unterschreiten.

Die Grundsicherungssysteme sind in den europäischen Mitgliedsstaaten unterschiedlich stark ausgebaut. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende in Deutschland und der Universal Credit im Vereinigten Königreich sind Beispiele für zwei sehr umfassende Grundsicherungssysteme. Sie sichern auch Selbstständige oder Geringverdiener bei geringem (Haushalts-)Einkommen ab. In Italien wurde hingegen erstmals im Jahr 2019 eine landesweit verfügbare bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung (Reddito di Cittadinanza) eingeführt.

Atypisch Beschäftigte arbeiten häufig in den von Corona besonders betroffenen Branchen

Im Zuge der Covid-19-Krise hat die Absicherung atypisch Beschäftigter besondere Aufmerksamkeit erhalten. Denn Teilzeitbeschäftigte, Selbstständige und befristet Beschäftigte (einschließlich Leiharbeitnehmenden) sind überproportional in Sektoren beschäftigt, die unmittelbar von den Eindämmungsmaßnahmen betroffen waren oder sind. Dazu zählen das Hotel- und Gastgewerbe, in manchen Ländern wie Italien das Bau- und Immobiliengewerbe, die Kultur- und Unterhaltungsindustrie sowie der Groß- und Einzelhandel.

Atypisch Beschäftigte machen im Durchschnitt der europäischen Länder rund 40 Prozent der Beschäftigung in diesen Sektoren aus. In Italien, den Niederlanden, Spanien und Griechenland erreichen sie sogar mehr als 50 Prozent. In Deutschland liegt dieser Anteil ebenfalls über 40 Prozent. Dies zeigen Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2020.

In Deutschland arbeiten fast 60 Prozent der atypisch Beschäftigten in den besonders betroffenen Sektoren in Teilzeit – ein im internationalen Vergleich relativ hoher Anteil (siehe Abbildung 2). Dazu zählen allerdings auch geringfügig Beschäftigte (Minijobber).

IAB-Forum vom 02.10.2020; Kerstin Bruckmeier, Regina Konle-Seidl: Folgen der Corona-Krise für die sozialen Sicherungssysteme im Ländervergleich. Die Abbildung zeigt die Anteile atypisch Beschäftigter in den von den Corona-Eindämmungsmaßnahmen am meisten betroffenen Sektoren in folgenden Ländern: Deutschland, Frankreich, Italien, Finnland, Vereinigtes Königreich und der Europäischen Union insgesamt. Es fällt auf, dass in Deutschland fast die Hälfte dieser Beschäftigten in Teilzeit arbeitet (48,1 Prozent). Im Vereinigten Königreich ist dieser Anteil mit 43,3 Prozent ähnlich hoch, während der Anteil in Frankreich, Finnland, Italien und der EU die 30 Prozent nicht übersteigt. Ebenfalls relativ hoch fällt der Anteil Selbstständiger aus. Am höchsten ist dieser in Italien (53,1 Prozent), Finnland (42,1 Prozent) und der Europäischen Union (45,8 Prozent). Quelle: European Labour Force Survey (EU-LFS), eigene Auswertung.

Viele Länder haben den Zugang zu Kurzarbeit auf atypisch Beschäftigte erweitert

Kurzarbeitergeld oder vergleichbare Leistungen sind in nahezu allen europäischen Ländern in der aktuellen Krise das Mittel der Wahl, um die betroffenen Beschäftigten vor allzu großen Einkommensverlusten und vor allem vor Arbeitslosigkeit zu schützen. In Ländern ohne traditionelle Kurzarbeitsprogramme wie in Großbritannien oder Finnland wurden ähnlich gelagerte zeitlich befristete Sonderprogramme aufgelegt. Diese werden aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert und haben keinen direkten Bezug zum Arbeitslosenversicherungssystem.

In Deutschland müssen die von Kurzarbeit betroffenen Arbeitskräfte in jedem Fall in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stehen, da während der Kurzarbeit die Leistungen üblicherweise aus dem allgemeinen Beitragsaufkommen der Arbeitslosenversicherung finanziert werden (einen Überblick bietet der IAB-Forschungsbericht 4/2020). Deshalb können Minijobber im Gegensatz zu regulär Teilzeitbeschäftigten in der Regel kein Kurzarbeitergeld beziehen.

Anders als in der Finanzkrise 2008/2009 haben viele Länder den Zugang zu Kurzarbeitergeld auf mehr Beschäftigungsgruppen und Wirtschaftssektoren ausgedehnt, um auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzusichern, die bisher keinen Anspruch hatten. So haben beispielsweise in Deutschland inzwischen auch Leiharbeitnehmende Anspruch auf Kurzarbeitergeld. In Frankreich wurden neben Leiharbeitnehmenden auch Hausangestellte, in Italien und Großbritannien auch Arbeiter auf Abruf in die jeweiligen Kurzarbeitsprogramme einbezogen (siehe Infokasten).


Temporäre Maßnahmen zur sozialen Absicherung von Erwerbstätigen in der Corona-Krise in ausgewählten Ländern

Sofortprogramm für Solo-Selbstständige

  • Deutschland (DEU): Soforthilfen; Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) für bis zu 5 (10) Vollzeitbeschäftigte; ein einmaliger Zuschuss für 3 Monate bis zu 9.000 Euro, (15.000 Euro) bei bis zu 5 (10) Vollzeitbeschäftigten
  • Frankreich (FRA): Solidaritätsfonds, Arbeitslosengeld unter bestimmten Bedingungen
  • Finnland (FIN): Arbeitslosengeld bei Einkommen < 1.090 Euro
  • Italien (IT): Zulagen in Höhe von 500-1.000 Euro im März und April auch für Saisonarbeiter
  • Vereinigtes Königreich (UK): Self-Employment Income Support Scheme (SEISS): Zuschuss von 80 Prozent der entgangenen Umsätze bis zu einem Höchstbetrag von 2.500 Pfund pro Monat für 3 Monate

Einführung/Ausdehnung von Kurzarbeit auf

  • DEU: Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer
  • FRA: Leih- und Saisonarbeiterinnen und -arbeiter, Hausangestellte und Kinderbetreuende, Handelsvertreterinnen und Handelsvertreter
  • IT: Beschäftigte auf Abruf, Hausangestellte, Ausdehnung auf alle Wirtschaftssektoren
  • UK: Beschäftigte mit Zero-hour-Verträgen

Arbeitslosenversicherung

  • DEU: Bezugsdauer um drei Monate verlängert
  • FRA: Reduzierte Mindestbeitragszeiten; temporäre Nichtanrechnung auf Höchstbezugsdauer
  • FIN: Reduzierte Mindestbeitragszeiten; temporäre Nichtanrechnung auf Höchstbezugsdauer
  • IT: Bezugsdauer um zwei Monate verlängert

Bedarfsgeprüfte Hilfesysteme

  • DEU: Zeitlich befristete Aussetzung der Vermögensprüfung und Anerkennung und Erstattung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft als angemessen; Notfall-Kinderzuschlag
  • UK: Erhöhung der Einkommensobergrenze, Erhöhung des monatlichen Regelsatzes um rund 100 Pfund.

In allen Ländern gab es schon vor Corona Lücken bei der Absicherung von Kleinunternehmerinnen und Kleinunternehmern sowie freiberuflich Tätigen. In der Krise haben deshalb alle fünf Länder zeitlich befristete Maßnahmen eingeführt, um diese Gruppe besser zu unterstützen. Die einschlägigen Sofortprogramme unterscheiden sich jedoch bei den Anspruchsvoraussetzungen und bei der Leistungshöhe deutlich voneinander (siehe Infokasten).

Vier der fünf Vergleichsländer haben zudem zeitlich befristete Anpassungen im Arbeitslosenversicherungssystem vorgenommen, um bei Arbeitsplatzverlust den geringeren Chancen auf Wiederbeschäftigung Rechnung zu tragen. In Finnland und Frankreich wurden die Mindestbeitragszeiten halbiert. Außerdem haben diese beiden Länder die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld faktisch verlängert, indem die Zeiten des Leistungsbezugs während der Krise temporär nicht auf die Anspruchsdauer angerechnet werden. Auch in Italien wurde der Bezug von Arbeitslosengeld um zwei Monate verlängert. In Deutschland verlängerte die Bundesregierung zeitlich befristet die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um drei Monate.

In Ländern mit einem stark ausgebauten Grundsicherungssystem wie im Vereinigten Königreich (Universal Credit) oder Deutschland (Grundsicherung für Arbeitsuchende) wurden auch Maßnahmen im nachgelagerten bedürftigkeitsgeprüften Sicherungssystem ergriffen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, den Zugang zu Sozialleistungen für Gruppen zu erleichtern, die nicht unter die Kurzarbeiterregelungen fallen oder bei Arbeitsplatzverlust keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.

Großbritannien hat die Obergrenze für Sozialleistungen gelockert und den Regelsatz um knapp 100 Pfund erhöht. In Deutschland hat die Bundesregierung unter anderem die Vermögensprüfung in der Grundsicherung temporär ausgesetzt.  Mit dem „Notfall-Kinderzuschlag“ wurde zudem der Zugang zum Kinderzuschlag für Familien mit geringem Einkommen von April bis Ende September 2020 erleichtert.

Kurzfristige Auswirkungen der Pandemie in Deutschland: Viele Kurzarbeitende, aber auch mehr Arbeitslose

Die langfristigen Folgen der durch die Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise können jetzt noch nicht abgeschätzt werden. Zu unsicher ist die weitere Entwicklung. Für die ersten Monate der Eindämmungsmaßnahmen liegen allerdings bereits Arbeitsmarktzahlen vor: Im Mai (April) wurde laut Hochrechnung der Bundesagentur für Arbeit für 5,8 Millionen (6,0 Millionen) Beschäftigte in gut 500.000 Betrieben Kurzarbeitergeld bezahlt. Zuletzt ist die Zahl der Kurzarbeiter im Juni auf 5,4 Millionen zurückgegangen. Auch weil die Betriebe Kurzarbeit intensiv nutzten, stieg die Arbeitslosigkeit bisher nur moderat.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit dürfte die Corona-Krise die Zahl der Arbeitslosen bis August 2020 um schätzungsweise 637.000 erhöht haben („Corona-Effekt“). Die Zunahme der Arbeitslosigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverlustes geht überwiegend auf einen Anstieg der im Rechtskreis der Arbeitslosenversicherung (SGB III) registrierten Arbeitslosen zurück. Somit erfolgt die Einkommenssicherung neben dem Kurzarbeitergeld bisher hauptsächlich durch die Arbeitslosenversicherung: Im Juni stieg die Zahl der Arbeitslosengeldempfänger um etwa 350.000 (+50 %) gegenüber Juni 2019 auf etwas mehr als eine Million.

Da Minijobber kein Arbeitslosengeld erhalten, meldet sich erfahrungsgemäß auch nur ein geringer Anteil von ihnen arbeitslos, weshalb im Juni (April) lediglich 1.900 (3.800) ehemals geringfügig Beschäftigte in der Arbeitslosenstatistik neu registriert wurden. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass weitaus mehr Minijobber ihre Beschäftigung verloren haben, darunter Schüler, Studenten und Rentner. Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten hat sich im Juni 2020 nach Hochrechnungen der Statistik der Bundesagentur für Arbeit im Vorjahresvergleich um 346.000 oder 7,4 Prozent verringert. Der Rückgang der geringfügig Beschäftigten im Nebenjob fiel mit 8,5 Prozent noch höher aus.

Der Grundsicherung für Arbeitsuchende kommt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Absicherung von Erwerbstätigen in der Krise zu, wenngleich das Ausmaß der Inanspruchnahme nicht mit den Leistungen des SGB III vergleichbar ist. Im Juni waren gut 200.000 mehr Arbeitslose in der Grundsicherung gemeldet (+14 %).

Tatsächlich geht die Grundsicherung über die Absicherung von Arbeitslosen hinaus und unterstützt zahlreiche weitere Gruppen. In der Krise gehören dazu insbesondere Bezieher von Kurzarbeitergeld, die unter das in der Grundsicherung festgelegte Mindesteinkommen fallen, sowie Selbstständige.

Auswertungen der Statistik der Bundesagentur für Arbeit zur Meldedauer von Grundsicherungsbeziehenden legen nahe, dass zwischen April und Juni 2020 im Vorjahresvergleich etwa 73.000 mehr abhängig Beschäftigte in der Grundsicherung registriert wurden. Bei den Selbstständigen betrug der Anstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum circa 60.000 Personen.

Müssen die sozialen Sicherungssysteme langfristig angepasst werden?

Durch die Sofortmaßnahmen, die ergriffen wurden, und insbesondere die Ausdehnung des Kurzarbeitergeldes auf Teile der atypisch Beschäftigten konnte verhindert werden, dass sich die Segmentierung zwischen Beschäftigten in regulären Jobs und solchen in atypischer Beschäftigung weiter verstärkt.

Dennoch hat die Krise vorher schon bekannte Lücken des sozialen Sicherungssystems noch einmal deutlicher hervortreten lassen. Perspektivisch stellt sich die Frage, welche der außerordentlichen Krisen-Maßnahmen zur sozialen Absicherung Beschäftigter auch nach der Krise beibehalten werden sollten.

Minijobs bewähren sich in der Krise nicht

Im deutschen versicherungsbasierten Arbeitslosengeld- und Kurzarbeitergeld-System sind Minijobber häufig Verlierer der Krise. Da sie weder Arbeitslosengeld bekommen noch durch das Kurzarbeitergeld in Beschäftigung gehalten werden, erleiden sie oft Einkommenseinbußen, wenn sie ihre Arbeit verlieren.

Damit Minijobber Zugang zu Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld bekommen, müssten die spezifischen Steuer- und Abgabenregelungen von Minijobs abgeschafft und diese sozialversiche­rungspflichtiger Arbeit gleichgestellt werden. Jede Stunde Arbeit wäre dann voll sozialversicherungs- und steu­erpflichtig.

Allerdings ist zu bedenken: Selbst wenn Minijobber Zugang zur Arbeitslosenversicherung hätten, wäre die Leistung nicht existenzsichernd. Fraglich ist zudem, ob alle Minijobber besonders schutzbedürftig sind. Viele dürften durch den Partner oder die Partnerin oder andere Sozialleistungen abgesichert sein.

Gleichzeitig sind Minijobs nicht nur aufgrund mangelnder finanzieller Absicherung problematisch, sondern auch aus gleichstellungspolitischen Gründen. Minijobs „pur“ werden mehrheitlich von Frauen ausgeübt. Sie entwickeln sich beruflich häufig zur Sackgasse, da sie kaum Aufstiegschancen bieten und ungeeignet sind, um eine eigen­ständige wirtschaftliche Absicherung und den Aufbau hinreichender Rentenansprüche zu ermöglichen. Aufgrund der steuerlichen und sozialversicherungs­rechtlichen Sonderstellung lohnt sich zudem eine Erhöhung der Arbeitszeit meist nicht.

Wer die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung stärken will, müsste die Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen aufbrechen

Stärker als in anderen EU-Ländern ist das deutsche System von der Versicherungslogik geprägt, also einer engen Verknüpfung von Beiträgen und Leistungen. Nach dieser Logik müsste aus einer Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auch eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes folgen. Andernfalls würde das Kurzarbeitergeld zu einem verlängerten, großzügig ausgestatteten Arbeitslosengeld werden.

Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld sind also zusammenhängende Systeme. Sie sollen die kurzfristigen Einkommensrisiken aufgrund von Arbeitsausfall abfedern, ohne zugleich den Anreiz zu mindern, die Arbeit im bisherigen oder einem anderen Betrieb möglichst rasch wieder aufzunehmen. Die zeitlich befristete Erhöhung des Kurzarbeitergeldes nach dem vierten und siebten Monat wurde deshalb mit einer Besserstellung von Arbeitslosengeldbeziehenden verbunden, indem das Arbeitslosengeld zeitlich befristetet um drei Monate verlängert wurde.

Eine Ausweitung des Systems der Arbeitslosenversicherung würde in der Folge die Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen aufbrechen. Durch kürzere Mindestbeschäftigungszeiten könnten mehr atypisch Beschäftigte in die Arbeitslosenversicherung einbezogen und die Leistungsdauer ausgedehnt werden.

Die Diskussion um eine Ausweitung des Empfängerkreises der Arbeitslosenversicherung wurde hierzulande bereits vor der Krise geführt. Berechnungen des IAB zeigen: Insbesondere kürzere Anwartschaftszeiten von 4 Monaten innerhalb einer Rahmenfrist von 36 Monaten würden auch sol­chen Personen den Zugang zum Arbeitslosengeld eröffnen, die sonst nie eine Gegenleistung für ihre Beitragszahlungen erhalten (näheres zur Studie können Sie im IAB-Kurzbericht 9/2019 nachlesen).

Andererseits würden aber Personen, die nur ab und zu kurz beschäftigt sind und dann regelmäßig erworbene Ansprüche einlösen, überproportional von der Arbeitslosenversicherung profitieren. Allerdings würde eine kürzere Anwartschaftszeit nach dem Äquivalenzprinzip auch zu relativ kurzen Anspruchsdauern führen. Somit ließe sich der Bezug von Arbeitslosengeld II in diesen Fällen kaum vermeiden.

Neben Gerechtigkeitsüberlegungen sind auch Anreizprobleme nicht außer Acht zu lassen. Erleichterte Zugangsbedingungen zur Arbeitslosenversicherung können höhere Anspruchslöhne und damit mehr Arbeitslosigkeit nach sich ziehen.

Der erleichterte Zugang zu Leistungen der Arbeitslosenversicherung durch kürzere Mindestbeschäftigungszeiten birgt zudem die Gefahr einer Verringerung der Beschäftigungswahrscheinlichkeit. Dies zeigt die Evaluation einer Reform der Zugangsvoraussetzungen durch Laura Khoury und Co-Autoren in Frankreich. Die Mindestbeschäftigungszeit war im April 2009 von 6 Monaten (innerhalb der letzten 22 Monate) auf 4 Monate (innerhalb der letzten 28 Monate) verkürzt worden.

Selbstständige müssen besser abgesichert werden

Die Corona-Krise hat für eine zweite Gruppe Lücken in der Absicherung deutlich gemacht: die der Selbstständigen, insbesondere der Solo-Selbstständigen. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zunahme beruflicher Selbstständigkeit in Deutschland fast nur auf Selbstständige ohne weitere Beschäftigte zurückzuführen (lesen Sie hierzu auch den IAB-Kurzbericht 12/2013). Inzwischen sind laut der europäischen Arbeitskräfteerhebung die Solo-Selbststän­digen in der Überzahl.

Bei Selbstständigen hat die Corona-Krise massive Lücken in der Absicherung gegen unerwartete Einkommensverluste aufgezeigt. Zwar können Existenzgründerinnen und -gründer freiwillig in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung bleiben, allerdings spielt diese Möglichkeit fast keine Rolle mehr. So wurden 2019 nur 2.600 Selbstständige in diese Versicherung aufgenommen. Das dürfte wohl an den als zu hoch empfundenen Beiträgen liegen und an der Unsicherheit über die Höhe der Leistungen, wie auch Elke Jahn und Michael Oberfichtner in einem IAB-Kurzbericht aus dem Jahr 2020 argumentieren.

Bei der derzeitigen Ausgestaltung stehen Beiträge und Leistungen nicht in einem festen Verhältnis. Der Beitrag ist für alle Selbstständigen gleich hoch. Die Höhe des Arbeitslosengeldes orientiert sich dagegen am erzielbaren Lohn in abhängiger Beschäftigung und variiert mit dem früheren Arbeitseinkommen oder der beruflichen Qualifikation.

In Zukunft wird die Frage der sozialen Absicherung Selbstständi­ger, insbesondere Solo-Selbstständiger weiter an Bedeutung gewin­nen – etwa durch die fortschreitende Digitalisierung, durch die sich Erwerbsformen wie Crowdworking weiter verbreiten werden. Auf EU-Ebene werden schon länger Forderungen erhoben, Solo-Selbstständige besser sozial abzusichern. Eine der größten Heraus­forderungen hierzulande besteht darin, sich darauf zu verständigen, wie die Ausweitung der staatlichen Rentenversicherung auf alle Selbstst­ändigen konkret ausgestaltet werden sollte.

Während die Diskussion um die Einbeziehung von Selbstständigen in die Rentenversicherung in vollem Gange ist, sind auch in der Arbeitslosenversicherung entsprechende Nachbesserungen nötig. Durch eine sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung von Selbstständigen und abhängig Beschäftigten könnten die dadurch entstehenden Sicherungslücken vermieden werden.

Damit würde zudem dem Um­stand Rechnung getragen, dass eine klare Grenze zwischen ab­hängiger und selbstständiger Erwerbsarbeit immer schwerer zu ziehen ist. Mit dem Wandel der Erwerbsformen gibt es mehr Selbstständige mit arbeitnehmerähnlichen Eigenschaften, für die Arbeitnehmerschutzrechte häufig nicht gelten und deren soziale Absicherung oft unzu­reichend ist. Ähnliche Entwicklungen gibt es in anderen europäischen Ländern. Ein OECD-Bericht aus dem Jahr 2018 zu den Erfahrungen mit einer freiwilligen Arbeitslosenversicherung in verschiedenen Ländern kommt zu der Einschätzung, dass eine freiwillige Versicherung – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung – nirgendwo gut funktioniert.

Diskussion um einen universellen Sozialschutz

Weitergehende Forderungen beispielsweise der OECD, den Sozialschutz universeller zu gestalten, würden den Sozialschutz und das Arbeitsverhältnis entkoppeln. Damit gewönne das nachgelagerte System der steuerfinanzierten Grundsicherung an Bedeutung.

Grundsätzlich stellt sich dabei die Frage, ob dieses universeller oder bedürftigkeitsgeprüft ausgestaltet werden sollte. Vor der Krise wurde die Notwendigkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens unter anderem im Zusammenhang mit drohenden Arbeitsplatzverlusten durch Digitalisierung diskutiert (lesen Sie dazu auch den 2019 erschienenen Beitrag „Reformen der Grundsicherung im internationalen Vergleich“ im IAB-Forum).

Die internationale Diskussion um die Ausgestaltung sozialer Schutzsysteme hat der Forderung nach einer bedingungslosen Grundsicherung neuen Auftrieb gegeben. Darin wäre die gesamte Bevölkerung einbezogen, was eine große finanzielle Herausforderung für die öffentlichen Haushalte mit sich brächte. Würde beispielsweise ein Pauschalbetrag – ohne Erhöhung der allgemeinen Steuern – alle bestehenden Leistungen für Personen im erwerbsfähigen Alter so ersetzen, dass keine Mehrbelastung für die öffentlichen Haushalte entsteht, würde dies in allen OECD-Ländern zu Leistungsniveaus führen, die unterhalb der Armutsgrenze liegen. Dies ergaben Berechnungen der OECD aus dem Jahr 2017.

Hierzulande war die Diskussion um die Zukunft der sozialen Sicherung bereits vor der Krise stark von Gerechtigkeitsüberlegungen geprägt. Ein Beispiel ist die bessere Anerkennung von Lebensleistungen auch in der Grundsicherung. So empfinden es viele als ungerecht, dass es für die Höhe der SGB-II-Leistungen gleichgültig ist, wie lange Transferempfänger vorher gearbeitet haben. Dabei wäre eine bessere Absicherung langjährig Berufstätiger, zum Beispiel durch eine erhöhte Freistellung von Vermögen bei der Berechnung eines Grundsicherungsanspruches, durchaus denkbar. Optionen für künftige Reformen könnten an dieser Stelle ansetzen, ohne grundsätzlich auf Aktivierung und Unterstützung durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu verzichten.

Fazit

Durch die Corona-Krise haben viele Menschen sehr schnell ihr Erwerbseinkommen ganz oder teilweise verloren. Viele Länder haben rasch reagiert und eine Reihe von Instrumenten eingesetzt, um diejenigen zu unterstützen, die ihre Existenzgrundlage eingebüßt haben. So haben mittlerweile nahezu alle EU-Staaten Kurzarbeitsprogramme eingeführt. Einige gestalteten auch ihre Arbeitslosenunterstützungs- und Grundsicherungssysteme großzügiger und erleichterten die Zugangsvoraussetzungen.

Anpassungsbedarf in den sozialen Sicherungssystemen besteht hierzulande über die Krise hinaus bei den geringfügig Beschäftigten (Minijobber) und bei Selbstständigen, insbesondere Solo-Selbstständigen, die durch die fortschreitende Digitalisierung, etwa in Form von Crowdworking, voraussichtlich weiter zunehmen werden.

Eine weitreichendere Ausdehnung der Zugangsmöglichkeiten von atypisch Beschäftigten zur Arbeitslosenversicherung kann allerdings zur Aufgabe des Äquivalenzprinzips führen. Zudem wäre eine Stärkung der Grundsicherung denkbar, beispielsweise durch eine bessere Anerkennung von Lebensleistungen von langjährig Berufstätigen etwa durch eine höhere Freistellung von Vermögen bei der Berechnung des Grundsicherungsanspruchs.

Eine Absicherung über ein bedingungsloses Grundeinkommen ist dagegen teuer und angesichts sinkender finanzieller Spielräume weniger denn je zu finanzieren. Darüber hinaus widerspricht ein bedingungsloses Grundeinkommen auch dem Aktivierungsgedanken. Ziel sollte weiterhin sein, mehr Menschen in existenzsichernde Arbeit zu bringen, statt Arbeitslosigkeit über eine Grundsicherung ohne jede Vorbedingung zu finanzieren.

Literatur

Bruckmeier, Kerstin; Konle-Seidl, Regina (2019): Reformen der Grundsicherung im internationalen Vergleich: neue Wege ja, Systemwechsel nein (Serie „Zukunft der Grundsicherung“). In: IAB-Forum vom 10.7.2019.

Datta, Nikhil; Giupponi, Gulia; Machin, Stephan (2019): Zero hours contracts and labour market policy. In: Economic Policy, Volume 34, Issue 99, S. 369–427 .

Evers, Katalin; Schleinkofer, Michael; Wießner, Frank (2013): Freiwillige Arbeitslosenversicherung für Existenzgründer: Etwas mehr Sicherheit, IAB-Kurzbericht Nr. 12.

Jahn, Elke; Oberfichtner, Michael (2020): Freiwillige Arbeitslosenversicherung: Nur wenige Selbstständige versichern sich gegen die Folgen von Arbeitslosigkeit, IAB-Kurzbericht Nr. 11.

Khoury, Laura; Brébion, Clément; Briole, Simon (2019): Entitled to Leave: the Impact of Unemployment Insurance Eligibility on Employment Duration and Job Quality. ‌halshs-02393383‌.

Konle-Seidl, Regina (2020): Kurzarbeit in Europa: Die Rettung in der aktuellen Corona-Krise?, IAB-Forschungsbericht Nr. 4.

OECD (2020): Distributional risks associated with non-standard work: Stylised facts and policy considerations, OECD Publishing, Paris, 12. June 2020 https://www.oecd.org/coronavirus/policy-responses/distributional-risks-associated-with-non-standard-work-stylised-facts-and-policy-considerations-68fa7d61/

OECD (2018): The Future of Social Protection. What Works for Non-standard Workers? OECD Publishing, Paris. https://www.oecd.org/els/the-future-of-social-protection-9789264306943-en.htm

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Bruckmeier, Kerstin; Konle-Seidl, Regina (2020): Folgen der Corona-Krise für die sozialen Sicherungssysteme im Ländervergleich, In: IAB-Forum 2. Oktober 2020, https://www.iab-forum.de/folgen-der-corona-krise-fuer-die-sozialen-sicherungssysteme-im-laendervergleich/, Abrufdatum: 17. November 2024