23. September 2020 | Serie „Corona-Krise: Folgen für den Arbeitsmarkt“
Kurzarbeit im Juni 2020: Rückgang auf sehr hohem Niveau
Kurzarbeit bleibt bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie eine der wichtigsten Maßnahmen, um Arbeitsplätze zu erhalten und Entlassungen zu vermeiden. Betriebe werden finanziell entlastet, indem die Bundesagentur für Arbeit den Beschäftigten für die ausgefallenen Arbeitsstunden Kurzarbeitergeld zahlt. Dem Betrieb werden zudem (zumindest derzeit) alle anfallenden Sozialversicherungsbeiträge mit Ausnahme der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erstattet, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Um den Arbeitsmarkt in der nahen Zukunft zu stabilisieren, hat das Bundeskabinett beschlossen – befristet bis zum 31. Dezember 2021 – die maximale Bezugsdauer auf 24 Monate zu verlängern. Kurzarbeit soll auch zur Einkommenssicherung von Beschäftigten beitragen: Bereits im Mai 2020 wurde die Bezugshöhe des Kurzarbeitergeldes zeitlich gestaffelt, sodass es für Personen, deren Anspruch bis 31. März 2020 entstanden ist, ab dem vierten und dem siebten Bezugsmonat ansteigen kann, wenn der Arbeitsausfall mindestens 50 Prozent beträgt. Das Kurzarbeitergeld kann dann bis zu 87 Prozent des letzten Nettolohns ausmachen und durch den Arbeitgeber zusätzlich aufgestockt werden.
Eine ausführliche Beschreibung der Voraussetzungen, unter denen Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen werden kann, findet sich im Beitrag „Kurzarbeit in der Corona-Krise: Wer ist wie stark betroffen“, der ebenfalls im IAB-Forum erschienen ist. Darin wurden auch erste Ergebnisse zu Kurzarbeit aus der IAB-Befragung „Leben und Erwerbstätigkeit in Zeiten von Corona“ vorgestellt.
Im Folgenden werden Befunde aus dieser Erhebung präsentiert, die sich auf die Inanspruchnahme von Kurzarbeit im Juni 2020 beziehen. Befragungen sind hier insbesondere deswegen von Bedeutung, weil die Statistik der Bundesagentur für Arbeit die tatsächliche Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld wegen des speziellen Abrechnungsverfahrens erst mit einem Zeitverzug von mehreren Monaten ermitteln kann (Details zu Datenerhebung und Datengrundlage finden sich im Kasten „Daten und Methoden“).
Deutlich mehr Männer als Frauen in Kurzarbeit
Insgesamt waren dieser Befragung zufolge (auch wenn diese nur eine Annäherung an die tatsächlichen Werte darstellt) etwa 16 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Juni 2020 in Kurzarbeit – nach circa 20 Prozent im Mai. Dabei war der Anteil bei den Männern mit 18,5 Prozent deutlich höher als bei den Frauen mit 13,4 Prozent. Im Mai waren es bei den Männern noch 23,1 Prozent, bei den Frauen 17,7 Prozent. Der damit einhergehende Arbeitsausfall wurde im Juni nicht erhoben. Im Mai lag dieser bei durchschnittlich 58 Prozent der Arbeitszeit. Frauen waren davon mit einem Ausfall von 62 Prozent stärker betroffen als Männer mit 55 Prozent. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit geht aufgrund ihrer Hochrechnung für den Juni von einem Rückgang des durchschnittlichen Arbeitsausfalls um circa 3 Prozentpunkte aus.
Den Befragungsergebnissen aus dem Mai zufolge stockten die Betriebe das Kurzarbeitergeld für 49 Prozent der Beschäftigten über tarif- oder einzelvertragliche Regelungen auf. Geht man davon aus, dass diejenigen, die im Mai eine Aufstockung erhielten und im Juni noch in Kurzarbeit waren, weiterhin von der Aufstockung profitierten, lag der Anteil im Juni bei 46 Prozent. Während dies im Mai noch bei 52 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen in Kurzarbeit der Fall war, fiel dieser Anteil im Juni auf 50 Prozent bei den Männern und 39 Prozent bei den Frauen.
Welche Faktoren Kurzarbeit begünstigen
Darüber hinaus ist aufschlussreich, welche Personengruppen sich überproportional häufig in Kurzarbeit befunden haben. Dies lässt sich mithilfe einer sogenannten multivariaten Analyse ermitteln (siehe Infokasten „Daten und Methoden“). Damit lässt sich beziffern, wie stark die Wahrscheinlichkeit, in Kurzarbeit zu sein, von bestimmten Faktoren abhängt. Hier die wichtigsten Ergebnisse für den Monat Juni:
- Netto-Haushaltseinkommen: Beschäftigte aus finanziell schlechter gestellten Haushalten waren im Juni häufiger von Kurzarbeit betroffen als Beschäftigte aus Haushalten mit höherem Einkommen. Für Personen aus Haushalten mit einem Einkommen von bis zu 1.500 Euro netto war die Wahrscheinlichkeit, in Kurzarbeit zu sein, um knapp 13 Prozentpunkte höher als bei einem Haushalts-Nettoeinkommen von 2.000 Euro bis unter 3.000 Euro.
- Berufsabschluss: Im Vergleich zu Personen mit abgeschlossener Ausbildung waren sowohl Geringqualifizierte, also Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, als auch Personen mit Universitätsabschluss im Juni seltener in Kurzarbeit – erstere um 9 Prozentpunkte, letztere um knapp 7 Prozentpunkte seltener.
- Kinder im Haushalt: Personen, bei denen mindestens ein Kind unter 18 Jahren im Haushalt lebt, waren im Juni mit einer um 5 Prozentpunkte höheren Wahrscheinlichkeit in Kurzarbeit als Beschäftigte ohne Kinder.
- Bundesländer: Im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen, dem einwohnerstärksten Bundesland mit den meisten Befragten, waren Beschäftigte in Baden-Württemberg und Hessen im Juni mit einer um 8 beziehungsweise 12 Prozentpunkte höheren Wahrscheinlichkeit von Kurzarbeit betroffen.
- Wirtschaftszweige: Im Vergleich zum Verarbeitenden Gewerbe, in dem die meisten Befragten arbeiten, waren im Juni vor allem das Gastgewerbe, der Bereich Verkehr und Logistik, der Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie die sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen ähnlich stark betroffen. In allen anderen Wirtschaftszweigen waren die Beschäftigten deutlich seltener in Kurzarbeit. Am wenigsten betroffen waren hier mit einer um 25 Prozentpunkten niedrigeren Wahrscheinlichkeit Beschäftigte im Energiesektor, in der Grundstücks- und Immobilienwirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung sowie den Sozialversicherungen.
Etwa 80 Prozent der Betroffenen nahmen während der Kurzarbeit keine zusätzlichen Aktivitäten auf
Etwa 80 Prozent der Betroffenen gingen während der Kurzarbeit keinen neuen zusätzlichen Aktivitäten nach. Zwei Prozent nahmen seit Beginn der coronabedingten Kurzarbeit eine weitere sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, drei Prozent einen Minijob auf. In der Summe kompensierten also Stand Juni dieses Jahres rund fünf Prozent der Betroffenen den finanziellen Ausfall durch Kurzarbeit mit einer zusätzlichen Beschäftigung. Jeweils weniger als ein Prozent begann mit einer selbstständigen Tätigkeit oder planten dies zumindest. Knapp sechs Prozent übten neue ehrenamtliche Tätigkeiten aus.
Fünf Prozent der Betroffenen nutzen die Zeit während der Kurzarbeit, um sich beruflich weiterzubilden. Allerdings waren die Möglichkeiten, an einer Weiterbildung teilzunehmen, zu Beginn der Covid-19-Pandemie deutlich eingeschränkt. Aufgrund der Lockerungen der Beschränkungen gäbe es mithin noch viel Potenzial, den Zeitgewinn für Weiterbildung zu nutzen. Sie sollte staatlich gefördert werden, denn nicht nur Betriebe und Beschäftigte profitieren von Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung, sondern langfristig auch die öffentliche Hand (lesen Sie dazu auch den Beitrag „Qualifizierung senkt die Nettokosten der Kurzarbeit“ von Thomas Kruppe, Enzo Weber und Jürgen Wiemers im IAB-Forum).
Fazit
Im Juni dieses Jahres waren schätzungsweise noch rund 16 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Kurzarbeit. Damit war die Zahl der Kurzarbeitenden gegenüber dem Vormonat zwar rückläufig, bewegte sich aber nach wie vor auf einem extrem hohen Niveau. Dass nur ein kleiner Teil der Betroffenen eine zusätzliche Beschäftigung aufgenommen hat, um den Einkommensausfall durch Kurzarbeit auszugleichen, kann angesichts des dramatischen Einbruchs am Arbeitsmarkt nicht überraschen, obwohl der Gesetzgeber die Regelungen zu Hinzuverdienstmöglichkeiten bei Kurzarbeit im Mai vereinfacht hat. Anzunehmen ist, dass es gerade zu Beginn der Krise schlicht zu wenige offene Stellen gab.
Weniger offensichtlich ist, warum nur jeder Zwanzigste die ausgefallene Arbeitszeit nutzt, um sich beruflich weiterzubilden. Pandemiebedingte Einschränkungen dürften dies nur zum Teil erklären, denn auch während der Finanzkrise 2009 wurde Kurzarbeit nur im Ausnahmefall für berufliche Weiterbildung genutzt. Daher gilt es, die entsprechenden Anreize für Beschäftigte und Betriebe weiter zu verbessern. Ob die jüngst von der Bundesregierung beschlossenen Fördermaßnahmen sich diesbezüglich als ausreichend erweisen werden, bleibt abzuwarten.
Daten und Methoden
Für diesen Beitrag wurden Daten aus dem Hochfrequenten Online-Personen-Panel (HOPP) „Leben und Erwerbstätigkeit in Zeiten von Corona“ des IAB verwendet, mit dem die Folgen der Covid-19-Pandemie für den Arbeitsmarkt so zeitnah wie möglich erfasst werden sollen. Das Panel ist eine Online-Befragung, die auf einer repräsentativen, proportional geschichteten Zufallsstichprobe der Personen besteht, die im Jahr 2018 in den Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des IAB erfasst waren. Die IEB basieren auf administrativen Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) und umfassen alle Episoden sozialversicherungspflichtiger sowie geringfügiger Beschäftigung, des Arbeitslosengeld- und Arbeitslosengeld-II-Bezugs, der Arbeitssuche und Arbeitslosigkeit sowie der Teilnahme an durch die BA administrierten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Nicht in den Daten enthalten sind Informationen zu Selbständigen und Beamten sowie zu Personen, die sich (zeitweilig) aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen haben.
Das IAB befragt im Rahmen des Panels überwiegend abhängig Beschäftigte monatlich zu Veränderungen ihres Sozial- und Arbeitslebens im Zuge der Covid-19-Pandemie. Beispielhafte Aspekte sind die Entwicklung von Beschäftigungsverhältnissen, Kurzarbeit, sozialer und finanzieller Absicherung, Arbeitszeiten, Home-Office und Kinderbetreuung. Die hier genutzten Daten stammen aus der ersten und zweiten Erhebungswelle und wurden zwischen dem 8. und 26. Juni 2020 erhoben. Die Ergebnisse lassen sich auf die erwerbstätige Bevölkerung des Jahres 2018 – mit Ausnahme Selbständiger und Beamter – hochrechnen. Kleinere Differenzen zur entsprechenden Bevölkerungsgruppe im Jahr 2020 könnten vor allem an den Rändern der Altersverteilung, aber auch bei der Verteilung auf Wirtschaftszweige und Bundesländer auftreten. Wegen der Nichtteilnahme an Folgewellen der Befragung etc. ist für die zweite Welle eine etwas andere Gewichtung als für die erste Welle notwendig. Die Ergebnisse in diesem Beitrag unterscheiden sich daher geringfügig von den Ergebnissen in bisherigen Veröffentlichungen zum Thema Kurzarbeit.
Die multivariate Analyse wurde als gewichtete Probitschätzung durchgeführt, bei der die abhängige Variable die Betroffenheit von Kurzarbeit ist (1 = ja, 0 = nein). Probit-Schätzungen dienen dazu, den Zusammenhang zwischen dem Eintritt von bestimmten (binär kodierten) Ereignissen und anderen Faktoren zu modellieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt – hier der Sachverhalt, dass eine Person von Kurzarbeit betroffen ist – wird mittels verschiedener unabhängiger Variablen erklärt. Dadurch lässt sich inhaltlich zeigen, welche Personengruppen systematisch häufiger oder seltener von Kurzarbeit betroffen sind. Dabei werden marginale Effekte („average marginal effects“) ausgewiesen. Diese geben an, um wie viele Prozentpunkte sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, von Kurzarbeit betroffen zu sein, wenn sich der Wert einer unabhängigen Variablen um eine Einheit erhöht (mehr dazu unter „Aktuelle Daten und Indikatoren“ auf der IAB-Website).
Literatur
Bundesagentur für Arbeit (2020): Kurzarbeitergeld.
Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2020): Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt– Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Nürnberg, August 2020.
Kruppe, Thomas; Osiander, Christopher (2020): Kurzarbeit in der Corona-Krise: Wer ist wie stark betroffen? In: IAB-Forum, 30.06.2020,
Kruppe, Thomas; Weber, Enzo; Wiemers, Jürgen (2020): Qualifizierung senkt die Nettokosten der Kurzarbeit. In: IAB-Forum, 24.08.2020.
Kruppe, Thomas; Osiander, Christopher (2020): Kurzarbeit im Juni 2020: Rückgang auf sehr hohem Niveau, In: IAB-Forum 23. September 2020, https://www.iab-forum.de/kurzarbeit-im-juni-2020-rueckgang-auf-sehr-hohem-niveau/, Abrufdatum: 17. November 2024
Autoren:
- Thomas Kruppe
- Christopher Osiander