Die deutsche Wirtschaft steckt weiter in einer Schwächephase fest. Diese schlägt zunehmend auch auf den Arbeitsmarkt durch. Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am IAB, spricht im Interview über die aktuelle IAB-Prognose zur Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt.

Herr Weber, die deutsche Wirtschaft steckt mittlerweile seit zwei Jahren in einer Schwächephase fest. Woran liegt das?

Die Hauptursachen sehe ich in der Konsumzurückhaltung, der schwachen Investitionstätigkeit und dem verhaltenen Außenhandel. Insbesondere die Industrie ist durch Umbrüche stark belastet. Generell sollten wir die bisherigen Stärken der deutschen Wirtschaft nicht als selbstverständlich betrachten und darauf vertrauen, dass Deutschland wie bisher automatisch von einer Erholung des Welthandels profitiert.

Portraitfoto Prof. Enzo Weber

Prof. Dr. Enzo Weber leitet den Forschungsbereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am IAB.

Können Sie das genauer ausführen?

Handelskonflikte und zunehmender Protektionismus bergen die Gefahr, dass Deutschlands Firmen dauerhaft Weltmarktanteile verlieren. Und sinkende Zinsen sowie steigende Reallöhne sorgen nicht automatisch für mehr Investitionen und Konsum, wenn die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen unsicher sind. Zudem gilt es immense Herausforderungen durch den Strukturwandel zu meistern.

Wie schlägt das auf den Arbeitsmarkt durch?

Der zähe Wirtschaftsabschwung hat die Arbeitsmarktentwicklung gedämpft. Die Arbeitslosigkeit nimmt bereits seit Mitte 2022 zu. Im verarbeitenden Gewerbe, auf dem Bau, in der Zeitarbeit und im Handel hat sich eine negative Entwicklung festgesetzt. Im längerjährigen Vergleich liegt das Entlassungsrisiko aber immer noch niedrig.

Trotz des hohen Arbeitskräftebedarfs zeigen sich bei der Langzeitarbeitslosigkeit Verfestigungstendenzen.

In einer wirtschaftlichen Schwächephase verfestigt sich oft die bereits bestehende Arbeitslosigkeit. Sehen Sie das in Ihren Daten? Wie ist da Ihre Prognose?

Die Jobchancen von Arbeitslosen, die mit Pandemiebeginn und im Jahr 2022 eingeknickt waren, haben sich tatsächlich nicht wieder nachhaltig erholt. Die Unternehmen melden der Bundesagentur für Arbeit mittlerweile historisch wenige neue Stellen. Entsprechend liegt die Langzeitarbeitslosigkeit deutlich über dem Vor-Corona-Niveau. Trotz des insgesamt hohen Arbeitskräftebedarfs zeigen sich hier Verfestigungstendenzen. Dies spiegelt sich auch in der Arbeitslosigkeit von Niedrigqualifizierten, die ebenfalls deutlich über dem Stand von 2019 liegt. Da die wirtschaftliche Schwächephase erst einmal anhalten wird, rechnen wir in diesem und im nächsten Jahr mit einem weiteren Anstieg der Zahl der Arbeitslosen.

Die regelmäßig kräftigen Zuwächse des vergangenen Jahrzehnts werden wir bei der Beschäftigung nicht mehr erreichen.

In den letzten zwei Jahren blieb die Entwicklung der Beschäftigung robust – aller wirtschaftlichen Entwicklung zum Trotz.  Können wir uns auch im nächsten Jahr darauf verlassen?

Die Beschäftigung steigt nur noch verhalten, hält sich gemessen an der negativen Konjunktur dennoch vergleichsweise gut. Trotz der angespannten wirtschaftlichen Situation gehen wir davon aus, dass das so bleibt. Grundsätzlich ist der Arbeitsmarkt in Deutschland relativ robust. Außerdem wächst der Bedarf an Arbeitskräften in einigen Bereichen: in der Pflege aufgrund der Alterung, in der Erziehung mit dem Kita-Ausbau, im Handwerk unter anderem wegen der Energiewende und in der IT im Zuge der Digitalisierung. Dabei wird sich die Arbeitskräfteknappheit noch verschärfen, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Betriebe halten ihre Beschäftigten, weil sie schwer wiederzubekommen sind. Das sichert zwar die Einkommen und bewahrt die Volkswirtschaft vor einer ausgeprägten Rezession.

Aber?

Gerade die Industrie verliert kontinuierlich an Produktion und Beschäftigung. Die regelmäßigen kräftigen Zuwächse des vergangenen Jahrzehnts werden wir bei der Beschäftigung deshalb nicht mehr erreichen. Die Zunahmen beruhten zuletzt allein auf der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung, die Zahl der Vollzeitbeschäftigten sinkt in beiden Prognosejahren leicht.

Sie sprachen vorhin von immensen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft durch den Strukturwandel. Was meinen Sie damit?

Die Wirtschaft befindet sich gerade durch Künstliche Intelligenz und die grüne Transformation in fundamentalen Umbrüchen. Das bedeutet außergewöhnliche Chancen auf die Entwicklung neuartiger Wertschöpfung. Werden diese Chancen nicht hinreichend ergriffen, impliziert das allerdings auch außergewöhnliche Risiken, angestammte Stärken zu verlieren. Um hochwertige Jobs in Deutschland weiterzuentwickeln und zu etablieren, müssen neue Geschäftsfelder besetzt und damit auch wirtschaftliche Umbrüche initiiert werden.

Für den Erfolg der Transformation kommt es auch auf die Arbeitsmarktpolitik an.

Wie kann das von der Politik unterstützt werden?

Wir brauchen eine entschiedene Förderung von Investitionen und Technologieentwicklung sowie Infrastrukturentwicklung. Auch eine vorübergehende Unterstützung bei den Energiekosten wäre denkbar. Aber die wirtschaftliche Zukunft liegt nicht im Bewahren, sondern in der Transformation. Falls es eine solche Unterstützung gibt, sollten deshalb im Sinne von Produktionsprämien die Preisanreize für Transformation, Dekarbonisierung und Energieeffizienz voll intakt bleiben und als Kriterium die Aufrechterhaltung der Produktion belohnt werden.

Für den Erfolg der Transformation kommt es auch auf die Arbeitsmarktpolitik an. Die wirtschaftlichen Veränderungen betreffen auch die Beschäftigung, und umgekehrt sind Kompetenzen zentral für wirtschaftliche Innovationsprozesse. Wichtig ist bei Umbrüchen deshalb, die Beschäftigten gezielt in verwandten aufstrebenden Bereichen weiterzubilden, in denen ihre Fähigkeiten und ihre Arbeitserfahrung weiter genutzt werden können.

Literatur

Bauer, Anja et al. (2024): IAB-Prognose 2024/2025: Zähe Wirtschaftsschwäche beeinträchtigt den Arbeitsmarkt. IAB-Kurzbericht Nr. 19.

 

DOI: 10.48720/IAB.FOO.20240923.02