Aktuelle Fragen und Trends der Zeitarbeitsbranche standen im Mittelpunkt des „Interdisziplinären Forums zur Zeitarbeit“ am 4. Dezember 2020. Branchenvertreter der Zeitarbeit, Mitglieder der Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit und Forschende verschiedener Disziplinen waren zum mittlerweile neunten Mal der Einladung des IAB gefolgt. Wegen der Covid-19-Pandemie wurde die Tagung erstmals in einem virtuellen Format durchgeführt.
IAB-Vizedirektor Prof. Dr. Ulrich Walwei freute sich über das anhaltende Interesse an der Veranstaltung und hob in seiner Begrüßung hervor, dass die Arbeitnehmerüberlassung mit einem Beschäftigungsrückgang von 14 Prozent die am stärksten von der Covid-19-Krise betroffene Branche sei.
Qualifizierung spielt vor allem im Helferbereich eine wichtige Rolle
Daniel Terzenbach, Vorstand Regionen der Bundesagentur für Arbeit, analysierte in seinem Einleitungsvortrag die aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt. „Wir sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen“, stellte er mit Blick auf die Zunahme der Arbeitslosigkeit zwischen April und November 2020 fest. Die Zahl der Arbeitslosen ist diesem Zeitraum zwar um 520.000 gestiegen, dies war aber nur teilweise durch die Corona-Krise bedingt.
Dass im April 2020 knapp sechs Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit waren, ist historisch gesehen ohne Beispiel. Wie in der Großen Rezession 2008/2009 war auch die Zeitarbeit mit 140.000 Kurzarbeitenden in der Arbeitnehmerüberlassung stark betroffen. Der Beschäftigungsrückgang in der Arbeitnehmerüberlassung habe jedoch bereits vor der Covid-19-Krise durch die Transformation der Automobilindustrie begonnen, so Terzenbach.
Er appellierte an die Branchenvertreter in der Zeitarbeit, die Qualifizierung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor allem im Helferbereich fortzusetzen. Dem Megatrend des Fachkräftemangels müsse auch durch die Weiterqualifizierung von Geringqualifizierten und Personen mit Migrationserfahrung begegnet werden.
Auf die Frage, ob die neuen Regeln für die Fleischindustrie geeignet seien, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, antwortete Terzenbach, er würde es bevorzugen, wenn die Sozialpartner bessere Bedingungen aushandelten.
Kurzarbeit hat in der Krise viele Leiharbeiter vor der Arbeitslosigkeit bewahrt
Ingrid Hofmann, Vizepräsidentin des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister (BAP) und Inhaberin der Firma Hofmann Zeitarbeit, berichtete, dass die Corona-Krise die Branche von heute auf morgen mit voller Wucht getroffen habe. Viele Arbeitnehmer seien aus der Zeitarbeit abgemeldet worden. Wie in der Großen Rezession 2008/2009 war es möglich, Zeitarbeitnehmer in die Kurzarbeit einzubeziehen und sie dadurch vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren. Auf der anderen Seite habe es auch Einstellungen gegeben, weil in den systemrelevanten Berufen Arbeitskräfte gesucht wurden. Der Strukturwandel in manchen Branchen führe unabhängig von der aktuellen Krise dazu, dass Firmen nicht selber einstellen, weil sie erwarten, dass bestimmte Tätigkeiten mittelfristig wegfallen.
Schwer nachvollziehbar sei für den Verband, dass Verstöße einzelner Unternehmen beim Arbeits- und Gesundheitsschutz zu einem Verbot der Zeitarbeit in der Fleischbranche geführt hätten. Zudem seien die neuen gesetzlichen Regelungen zu kompliziert. Die Einführung der Höchstüberlassungsdauer im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz führe beispielsweise dazu, dass viele eingearbeitete Arbeitnehmer den Entleihbetrieb, in dem sie beschäftigt seien, gegen ihren Willen verlassen müssten. Dieser Anteil liege bei einem Drittel, wie eine Befragung von Zeitarbeitenden aus dem Jahr 2019 durch das Institut für Wirtschaft (IW) Köln gezeigt habe. Hoffmann unterstützt daher den Vorschlag des IW, die Regelungen zur Höchstüberlassungsdauer während der Corona-Krise auszusetzen.
Beschäftigung in der Zeitarbeit ist schon vor der Krise stark zurückgegangen
Christian Baumann, Bundesvorsitzender des Interessensverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen und Inhaber der Firma pluss Personalmanagement, bestätigte die Einschätzungen von Ingrid Hofmann zum Beschäftigungsabbau in der Branche. Er bezifferte diesen auf fast 23 Prozent für den Zeitraum zwischen November 2017 und November 2019. Gründe für diese Entwicklung sind die Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes mit der Begrenzung der Höchstüberlassungsdauer und der Einführung des Equal Pay, die digitale Transformation und konjunkturelle Faktoren.
Es sei allerdings schwierig, die Bedeutung der einzelnen Gründe für den Beschäftigungsrückgang in der Zeitarbeit anzugeben, so Baumann. So habe es bereits 2019 konjunkturelle Dämpfer gegeben, die eine wachsende Dynamik entfaltet hätten. Zudem werde die Entwicklung der Zeitarbeit von den größeren Unternehmen als negativ eingeschätzt. Selbst wenn ein Impfstoff zur Verfügung stehe, könnten die Einschränkungen noch Monate oder sogar länger dauern. Diese Entwicklung werde durch die schlechte Verfügbarkeit von Fachkräften verstärkt. Ihm sei unklar, so Baumann, warum die Zeitarbeitsbranche keine Rekrutierungen aus dem Ausland durchführen dürfe – im Unterschied zu Kliniken, deren Kernkompetenz nicht in diesem Bereich liege.
Baumann ging außerdem auf die Entwicklung in den einzelnen Wirtschaftsbereichen ein. Die Automobilindustrie und der Fahrzeugbau seien als Ankerindustrie in Deutschland in der Vergangenheit sehr personalintensiv gewesen. Mit dem E-Antrieb sei das aber nicht mehr der Fall. In der Pflege sei der Bedarf an Leasingkräften überraschend gesunken. Baumann berichtete, dass hier bei einzelnen Firmen die Vermittlung von Fachkräften eingebrochen sei und Zeitarbeitsunternehmen Kurzarbeit angemeldet hätten.
Leiharbeit steht verschiedenen Problemen gegenüber
Johannes Jakob, Abteilungsleiter Arbeitsmarktpolitik beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sieht in der Schwäche des Verarbeitenden Gewerbes den Treiber des Beschäftigungsrückgangs in der Leiharbeit, denn seit circa zwei Jahren gehe die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten dort zurück. Erfreulich sei es, dass Entlassungen vermieden werden könnten, weil Leiharbeitnehmer in die Regelungen zur Kurzarbeit einbezogen werden können.
Jakob hätte sich mehr Übernahmen von Leiharbeitnehmern in den Verleihbetrieben gewünscht, wenn bei ihnen die Höchstüberlassungsdauer erreicht worden sei. Leider hätten sich die Lohnabstände zwischen Leiharbeitnehmern und der Stammbelegschaft durch die Reformen nicht reduziert, so der Gewerkschaftsvertreter.
Der DGB fordere nicht das Verbot der Leiharbeit in der Pflege, sondern mehr Sensibilität im Umgang mit den Beschäftigten in der Stammbelegschaft, die gerade in der Covid-19-Krise einen hohen Einsatz gezeigt hätten. Die Anwerbung aus Drittstaaten sei nicht sinnvoll, weil für die folgende Anpassungsqualifikation Sprachkenntnisse erforderlich seien.
Jakob wies darauf hin, dass in der Corona-Krise Geringqualifizierte und Flüchtlinge als erste entlassen worden seien. Für dringend erforderliche Qualifizierungsmaßnahmen habe das „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ die Grundlage geschaffen. Der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit habe hierfür zusätzliche Mittel bereitgestellt.
Arbeitsschutzvereinbarungen sind wegen der geteilten Verantwortung von Verleih- und Entleihbetrieben von großer Bedeutung
Dr. Anita Tisch, Leiterin der Forschungsgruppe „Wandel der Arbeit“ bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), wies in ihrem Beitrag zunächst darauf hin, dass die meisten Betriebe entweder Werkvertragsnehmer oder -geber oder häufig sogar beides seien. Die Unterschiede zwischen Arbeitskräften gemäß Werkvertrag und Beschäftigten in der Stammbelegschaft würden unterschiedlich eingeschätzt.
Laut Tisch gibt es wiederkehrende Hinweise darauf, dass Arbeitsschutzstandards unterlaufen würden. Dies betreffe vor allem Manipulationen der Arbeitszeit und die Umgehung von Vorschriften des Arbeitsschutzes. Das Unfallgeschehen in der Leiharbeit sei leicht rückläufig – ähnlich wie bei anderen Gruppen von Beschäftigten. Es gebe jedoch Erkenntnisse, dass bei Leiharbeitnehmern häufiger Unfälle auf dem Weg zur Arbeit auftreten.
Die Erwerbstätigenbefragung des Bundesinstituts für Berufsbildung und der BAuA aus dem Jahr 2018 habe bei Leiharbeitnehmern Arbeitsbelastungen durch die Arbeitsumgebung, eine niedrigere Arbeitsintensität, eine höhere Monotonie sowie weniger soziale Unterstützung von Vorgesetzten, aber keine Unterschiede bei der Unterstützung durch Kollegen gezeigt. Es würden zudem häufigere Muskel-Skelett-Erkrankungen auftreten. Nennenswerte Unterschiede bei psychosomatischen Erkrankungen gebe es dagegen nicht.
Anita Tisch betonte außerdem die Bedeutung von Arbeitsschutzvereinbarungen. Sie seien bei der geteilten Verantwortung von Verleih- und Entleihbetrieben sowie von Werkvertragsnehmern und -gebern besonders wichtig. Christian Baumann wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es keine Arbeitnehmerüberlassung ohne Arbeitsschutzvereinbarung gebe.
Das „Interdisziplinäre Forum zur Zeitarbeit“ wurde im Jahr 2011 von Prof. Manfred Bornewasser, mittlerweile emeritierter Inhaber eines Lehrstuhls für Psychologie der Universität Greifswald, Prof. Ricarda Bouncken, Inhaberin eines Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre der Universität Bayreuth, und Prof. Lutz Bellmann, Leiter des IAB-Forschungsbereichs „Betriebe und Beschäftigung“ und Inhaber eines Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ins Leben gerufen.
Bellmann, Lutz (2021): Zeitarbeit ist durch die Corona-Krise stark betroffen, In: IAB-Forum 18. August 2021, https://www.iab-forum.de/zeitarbeit-ist-durch-die-corona-krise-stark-betroffen/, Abrufdatum: 5. November 2024
Autoren:
- Lutz Bellmann