Was ist Ihre Prognose für die Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung?
Weber: Der Ukraine-Krieg führt zu einer erheblichen Belastung der deutschen Wirtschaft. Angesichts der stabilen Verfassung des Arbeitsmarkts erwarten wir aber kein Einknicken der Beschäftigung, die kurzfristig bei Bedarf durch Kurzarbeit stabilisiert werden dürfte. Trotz der wirtschaftlichen Rückschläge geht es am Arbeitsmarkt tendenziell weiter aufwärts. Für den Jahresdurchschnitt 2022 gehen wir, auch aufgrund der sehr günstigen Ausgangsposition zu Jahresbeginn, von einem Rückgang der Arbeitslosigkeit um 350.000 Personen aus. Die Erwerbstätigkeit liegt im Jahresdurchschnitt 2022 um 510.000 Personen über dem Vorjahr.
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie werden jetzt massiv gelockert. Wie wirkt sich das auf die deutsche Wirtschaft aus?
Die Konsumnachfrage wurde durch die Corona-Regeln deutlich gedämpft. Im Gastgewerbe und im Handel machen sich nun die Lockerungen der coronabedingten Einschränkungen bemerkbar. Die Covid-19-Pandemie beeinflusst aber weiterhin die wirtschaftlichen Aktivitäten. Derzeit breitet sich der Omikron-Subtyp BA.2 aus. Es wird aber erwartet, dass im Laufe des zweiten Quartals das Infektionsgeschehen wieder abnehmen wird. Vor allem die kontaktintensiven Dienstleistungsbranchen dürften dann deutlich aufholen. Ab Herbst ist mit einer neuen Corona-Welle zu rechnen. Deren Auswirkung hängt unter anderem von der dann zirkulierenden Corona-Variante ab und von der dann erreichten Immunisierungsquote.
Die deutsche Wirtschaft leidet derzeit unter Materialengpässen und Lieferschwierigkeiten. Wie sehen Sie hier die weitere Entwicklung? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt?
Die Industrie wird insbesondere durch coronabedingte Lieferengpässe gebremst, die sich auch nur sehr langsam auflösen. Die Lieferengpässe haben zudem die Entlassungen und Einstellungen beeinflusst, vor allem aber die Kurzarbeit erhöht. Wenn sich die Lage entspannt, wäre also auch mit einem deutlichen Rückgang der Kurzarbeit und einem moderaten Effekt auf die Senkung der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Umgekehrt ist allerdings mit einem stärkeren Einsatz von Kurzarbeit zu rechnen, wenn sich Lieferengpässe infolge des Ukraine-Kriegs verschärfen oder die Produktion wegen hoher Energiekosten zurückgefahren wird. Gerade energieintensive Betriebe können erhebliche Schwierigkeiten bekommen.
Die Inflation ist in den letzten Monaten nach oben geschnellt, insbesondere durch explodierende Energiepreise. Sehen Sie die Gefahr, dass die Konjunktur dadurch ausgebremst werden könnte?
Inflationsrisiken trübten schon zum Ende des letzten Jahres die konjunkturelle Entwicklung ein, weil die hohe Inflation die Konsumnachfrage hemmt. Die kräftig steigenden Energiepreise im Zuge des Ukraine-Kriegs schwächen die Kaufkraft noch weiter. Allerdings gibt es staatliche Ausgleichsmaßnahmen, etwa im Entlastungspaket der Bundesregierung und bei der aktuell diskutierten Unterstützung bei Mobilitätskosten. Durch die Konsumzurückhaltung während der Corona-Krise sind zudem jetzt Ersparnisse verfügbar.
Seit Ende Februar tobt der Krieg in der Ukraine, gegen Russland wurden schärfste Sanktionen verhängt. Die weitere Entwicklung ist völlig offen. Lassen sich die ökonomischen Folgen dieses Konflikts für Deutschland denn auch nur annähernd prognostizieren?
Während die wirtschaftlichen Aussichten zu Jahresbeginn optimistisch waren, ist infolge des Ukraine-Kriegs insgesamt eine Abschwächung der globalen und deutschen Konjunktur zu erwarten. Wir gehen bei der Prognose davon aus, dass der geopolitische Konflikt nicht zusätzlich eskaliert, der Krieg aber auch nicht schnell beendet ist. Wir erwarten für Deutschland für 2022 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,5 Prozent. Der direkte Effekt des Rückgangs der Exporte nach Russland bleibt zwar relativ begrenzt. Die Abkühlung der Weltwirtschaft und des Welthandels verstärkt jedoch den direkten Effekt auf die Exporte. Außerdem besteht das Risiko, dass sich Engpässe durch Störungen der Energieversorgung sowie der Lieferketten im internationalen Handel weiter verschärfen, wodurch es in betroffenen Betrieben zeitweise zu deutlichen Produktionsausfällen kommen kann. Angesichts der stabilen Verfassung erwarten wir keine gravierenden Folgen des Kriegs und der Sanktionen für die Höhe der Arbeitslosigkeit, aber schon eine gewisse Dämpfung der Arbeitskräftenachfrage. Wahrscheinlich ist dabei, dass sich die besonders betroffenen Wirtschaftszweige bei Einstellungen zurückhalten und weniger Zeitarbeit einsetzen. Alle Prognosen sind aufgrund der Situation in der Ukraine allerdings mit ungewöhnlich großen Unsicherheiten behaftet.
In Deutschland steigt der gesetzliche Mindestlohn in diesem Jahr relativ kräftig auf 12 Euro. Inwiefern ist das in Ihre Prognosen eingeflossen? Und inwiefern wird sich das in der Beschäftigungsentwicklung niederschlagen?
Vom Anstieg des gesetzlichen Mindestlohns könnten sechs bis sieben Millionen Personen betroffen sein – vor allem in den Bereichen Verkauf, Reinigung, Gastronomie, Lagerei, Gütertransport, Gesundheit und Pflege – und besonders die geringfügig Beschäftigten. Der Anstieg der Lohnsumme dürfte damit höher liegen als bei der Mindestlohn-Einführung 2015. Die Abschätzung der Folgen des Mindestlohns auf die Beschäftigung ist mit großer Unsicherheit behaftet. Der aktuellen Prognose liegt zugrunde, dass sich der dämpfende Effekt auf die Erwerbstätigkeit – überwiegend bei geringfügiger Beschäftigung – im niedrigen sechsstelligen Bereich bewegt. Die Arbeitslosigkeitsentwicklung wäre deutlich weniger betroffen, da sich etwa Minijobber oder Personen im Rentenalter kaum arbeitslos melden würden.
Literatur
Fuchs, Johann; Gartner, Hermann; Hellwagner, Timon; Hummel, Markus; Hutter, Christian; Wanger, Susanne; Weber, Enzo; Zika, Gerd (2022): IAB-Prognose 2022: Konjunkturaufschwung ausgebremst, IAB-Kurzbericht Nr. 7.
doi: 10.48720/IAB.FOO.20220325.01
Schludi, Martin (2022): IAB-Prognose 2022: Konjunkturaufschwung ausgebremst, In: IAB-Forum 25. März 2022, https://www.iab-forum.de/iab-prognose-2022-konjunkturaufschwung-ausgebremst/, Abrufdatum: 18. December 2024
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Autoren:
- Martin Schludi