Daten des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) zeigen, dass Arbeitslose, die Leistungen der Grundsicherung beziehen, eine hohe Bereitschaft haben, eine neue Arbeitsstelle auch unter schlechteren Bedingungen anzunehmen. Bei dieser sogenannten Konzessionsbereitschaft gibt es allerdings große Unterschiede zwischen Männern und Frauen, vor allem unter Berücksichtigung des familiären Kontextes.

In der aktuellen Diskussion um das Bürgergeld wird nicht selten die Ansicht vertreten, dass ein Teil der Leistungsbeziehenden nicht wirklich arbeitswillig sei und Leistungen missbräuchlich in Anspruch nehme. Dieses Narrativ ist nicht neu. Empirisch lässt sich dieses für die Mehrheit der Leistungsbeziehenden indes nicht bestätigen. Bereits in einer 2010 erschienenen Studie (IAB-Kurzbericht 15/2010) kamen Jonas Beste, Arne Bethmann und Mark Trappmann zu dem Ergebnis, dass die Arbeitsmotivation und die Konzessionsbereitschaft von Arbeitslosen, die SGB-II-Leistungen beziehen, vergleichsweise hoch sind.

Eine Auswertung von Befragungsdaten der Wellen 4 bis 16 des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS), die in den Jahren 2010 bis 2022 erhoben wurden, zeigt ebenfalls, dass Leistungsbeziehende laut eigener Aussage mehrheitlich bereit sind, eine neue Arbeitsstelle auch unter schlechteren Bedingungen anzunehmen. Allerdings variiert die Bereitschaft, bestimmte Erschwernisse in Kauf zu nehmen, je nach Geschlecht und Familiensituation erheblich.

Abbildung1 zeigt die Anteile der konzessionsbereiten arbeitslosen Grundsicherungsbeziehenden im Vergleich zu den arbeitssuchenden Beschäftigten nach Art der Einschränkung. Es wird deutlich, dass arbeitslose Grundsicherungsbeziehende in allen Fragen zur Konzessionsbereitschaft deutlich höhere Werte aufweisen als beschäftigte Personen ohne Grundsicherungsbezug, mit Ausnahme des Wohnortwechsels, bei dem die Unterschiede nur gering und nicht signifikant sind. Die hohe Konzessionsbereitschaft der Arbeitslosen wird auch deutlich, wenn man betrachtet, wie viele Personen zu keiner der hier untersuchten Konzessionen bereit sind. In der Gruppe der Beschäftigten sind es 15 Prozent, bei den Arbeitslosen nur vier Prozent.

Arbeitslose Grundsicherungsbeziehende weisen eine deutlich höhere Konzessionsbereitschaft auf als Beschäftigte ohne Leistungsbezug

Zunächst zeigt sich, dass arbeitslose Grundsicherungsbeziehende bei fast allen Fragen zur Konzessionsbereitschaft deutlich höhere Werte aufweisen als Beschäftigte (siehe Abbildung 1). Eine Ausnahme bildet der arbeitsbedingte Wechsel des Wohnorts, bei dem die Unterschiede allerdings nur gering und statistisch nicht signifikant sind.

Arbeitslose, die Leistungen der Grundsicherung beziehen, würden also für eine neue Arbeitsstelle schlechtere Bedingungen in Kauf nehmen als Beschäftigte. Das gilt vor allem für die Bereitschaft, eine Tätigkeit unter dem eigenen fachlichen Können (75 % gegenüber 38 %) anzunehmen. Ähnlich große Unterschiede zeigen sich bei der Bereitschaft, einen langen Arbeitsweg (53 % gegenüber 30 %) oder ungünstige Arbeitszeiten (54 % gegenüber 36 %) in Kauf zu nehmen. Auch beim Einkommen ist ein weitaus höherer Anteil der arbeitslosen Leistungsbeziehenden bereit, Abstriche zu machen, als es bei Beschäftigten der Fall ist (43 % gegenüber 20 %). Diese hohe Konzessionsbereitschaft ist auch daran ersichtlich, dass der Anteil derjenigen, die zu keinen Konzessionen bereit sind, sehr viel geringer ist als bei den Beschäftigten (4 % gegenüber 15 %).

Männer und Frauen würden an unterschiedlichen Stellen Abstriche machen

Abbildung 2 zeigt die Anteile der konzessionsbereiten arbeitslosen Männer und Frauen im Grundsicherungsbezug. Zwischen Männern und Frauen zeigen sich große Unterschiede bei der Akzeptanz ungünstiger Arbeitszeiten und langer Arbeitswege.

Zugleich zeigen sich bezüglich der Konzessionsbereitschaft unter arbeitslosen Leistungsbeziehenden Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen (siehe Abbildung 2). Die größte Bereitschaft, Zugeständnisse zu machen, besteht bei beiden Geschlechtern darin, eine Arbeit unterhalb des eigenen fachlichen Könnens anzunehmen. Dazu sind jeweils gut drei Viertel der Befragten nach eigenen Angaben bereit.

Belastungen am Arbeitsplatz wie Lärm, Schmutz oder körperliche Anstrengung werden ebenfalls mehrheitlich in Kauf genommen, wenn auch etwas häufiger von Männern (67 % gegenüber 59 %). Die geringste Konzessionsbereitschaft besteht bei einem Wechsel des Wohnorts. Hier gibt nur knapp ein Drittel der Männer und nur jede fünfte Frau an, einen solchen zu akzeptieren.

Große Unterschiede zwischen Männern und Frauen zeigen sich bei der Akzeptanz ungünstiger Arbeitszeiten und langer Arbeitswege: Während jeweils über 60 Prozent der Männer hier zu Zugeständnissen bereit wären, würden bei den Frauen nur 41 Prozent lange Arbeitswege und 38 Prozent ungünstige Arbeitszeiten akzeptieren. Demgegenüber ist fast jede zweite Frau bereit, ein geringes Einkommen zu akzeptieren, jedoch nur knapp 40 Prozent der Männer.

Dieses Muster könnte auf geschlechtsspezifische Unterschiede bei der familiären Rollenverteilung hinweisen. So dürften für Frauen insbesondere diejenigen Stelleneigenschaften relevant sein, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Demgegenüber scheinen Männer, die sich etwas häufiger als Frauen als „Haupternährer“ der Familie sehen, monetäre Aspekte tendenziell höher zu gewichten.

Die Geschlechterunterschiede bei der Konzessionsbereitschaft hängen stark von der familiären Situation ab

Abbildung 3 zeigt die Anteile der konzessionsbereiten arbeitslosen Männer und Frauen im Grundsicherungsbezug je nach Familienstand. Dabei wird deutlich, dass kinderlose Männer und Frauen relativ ähnlich antworten und insbesondere kompromissbereit sind bei der Arbeit unter dem eigenen fachlichen Können, bei ungünstigen Arbeitszeiten und langen Arbeitswegen. Väter und Mütter unterscheiden sich jedoch deutlich voneinander. So sind Väter eher bereit, den Wohnort zu wechseln, lange Arbeitswege und ungünstige Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen; Mütter hingegen akzeptieren diese Einschränkungen deutlich seltener, dafür aber geringere Einkommen.

Dass der familiäre Kontext bei der Konzessionsbereitschaft in der Tat eine große Rolle spielt, illustriert Abbildung 3. So antworten kinderlose Männer und Frauen, die arbeitslos sind und Leistungen der Grundsicherung beziehen, relativ ähnlich. Sie zeigen sich insbesondere dann kompromissbereit, wenn es um Arbeit unter dem eigenen fachlichen Können, ungünstige Arbeitszeiten und lange Arbeitswege geht. Die geringste Konzessionsbereitschaft weisen Kinderlose beiderlei Geschlechts bei Wohnortwechseln auf. Auch ein geringes Einkommen würde von den meisten nicht akzeptiert.

Bei arbeitslosen Leistungsbeziehenden mit Kindern besteht die größte Kompromissbereitschaft ebenfalls bei einer Arbeit unter dem fachlichen Können sowie bei Belastungen am Arbeitsplatz – und zwar relativ unabhängig vom Geschlecht. Bei allen anderen Aspekten unterscheiden sich Väter und Mütter jedoch deutlich voneinander. So sind Väter eher als Mütter bereit, den Wohnort zu wechseln, sowie lange Arbeitswege und ungünstige Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen. Ein geringes Einkommen akzeptieren sie jedoch deutlich seltener als Mütter.

Diese Befunde sprechen dafür, dass die Konzessionsbereitschaft von arbeitslosen Leistungsbeziehenden zumindest teilweise ein klassisches Rollenverständnis widerspiegelt, demzufolge die Aufgabe der Kinderbetreuung überwiegend den Müttern obliegt (lesen Sie dazu auch eine 2017 publizierte Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung). Folglich weisen Mütter eine höhere Bereitschaft auf, schlechter bezahlte Jobs anzunehmen, sofern diese eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Vätern hingegen wird häufiger die Rolle des Familienernährers zugeschrieben, sodass sie monetäre Aspekte im Schnitt höher gewichten als Mütter.

Fazit

In der aktuellen Debatte um Leistungsminderungen beim Bürgergeld wird manchen Leistungsbeziehenden häufig eine mangelnde Arbeitsbereitschaft unterstellt. Die Analysen zur Konzessionsbereitschaft zeigen jedoch insgesamt eine vergleichsweise hohe (geäußerte) Bereitschaft von Betroffenen, eine neue Arbeitsstelle gegebenenfalls auch unter bestimmten ungünstigen Bedingungen anzunehmen. Fast alle befragten Arbeitslosen sind eigenen Angaben zufolge grundsätzlich konzessionsbereit.

Gleichzeitig unterscheidet sich die Konzessionsbereitschaft von Männern und Frauen, vor allem wenn der familiäre Kontext berücksichtigt wird. Frauen mit Kindern legen insbesondere auf Stelleneigenschaften Wert, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. So sind lange Arbeitswege und ungünstige Arbeitszeiten gerade für Mütter häufig problematisch. Umgekehrt geben Väter häufiger als Mütter und häufiger als Kinderlose an, dass ein gering bezahlter Job für sie nicht in Frage kommt.

Sich dieser Unterschiede bewusst zu sein, ist für den Integrations- und Vermittlungsprozess von zentraler Bedeutung. Denn die Tatsache, dass bestimmte Stellen aus Sicht der Betroffenen nicht in Frage kommen, beeinflusst auch die beruflichen Chancen im weiteren Erwerbsverlauf und kann so zu langfristigen Nachteilen insbesondere für Mütter führen.

Umso wichtiger ist es, dass die Jobcenter den familiären Kontext bei der Vermittlung und Aktivierung einbeziehen und auf die individuelle Situation der zu vermittelnden Personen eingehen. Dies betrifft auch die momentan diskutierten Verschärfungen der Zumutbarkeitsregelungen im Bürgergeldbezug. So würde eine pauschale Erhöhung der zumutbaren täglichen Pendelzeit für Personen mit Betreuungspflichten, also insbesondere Mütter, zu unverhältnismäßigen Härten führen.

Nur wenn die Jobcenter berücksichtigen, dass die Bedarfe von arbeitslosen Leistungsbeziehenden ebenso  unterschiedlich sind wie deren Konzessionsmöglichkeiten, insbesondere wenn es um Jobs mit ungünstigen Arbeitszeiten und langen Arbeitszeiten geht, lässt sich die Vermittlung von Stellen und die Qualität der Integration in den Arbeitsmarkt gezielt und passgenau gestalten. Ein solcher Ansatz trägt auch dazu bei, Geschlechterungleichheiten effektiv zu bekämpfen.

Daten und Methoden

Um die Konzessionsbereitschaft von arbeitsuchenden Beschäftigten ohne Grundsicherungsbezug und arbeitslos gemeldeten Grundsicherungsbeziehen zu untersuchen, wurden Daten des Panels „Arbeitsmarkt und soziale Sicherung“ (PASS) ausgewertet. Dabei wurden die Wellen 4 bis 16 von PASS, die in den Jahren 2010 bis 2022 erhoben wurden, kumuliert verwendet, um eine für die statistischen Analysen ausreichend hohe Fallzahl zu erhalten.

Bei PASS handelt es sich um eine jährliche Panelbefragung der Wohnbevölkerung in Deutschland ab 15 Jahren. Leistungsberechtigte der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind stark überrepräsentiert, sodass im Vergleich zu anderen Befragungsdaten präzisere Aussagen über diese Gruppe möglich sind.

Die Frage zu den akzeptablen Erschwernissen können auf einer vierstufigen Skala beantwortet werden: „Nehme ich ,auf jeden Fall‘, ,eher‘, ,eher nicht‘ oder ,auf keinen Fall‘ in Kauf“. In den Abbildungen ist der Anteil der Personen dargestellt, die angegeben haben, diese Einschränkung „auf jeden Fall“ oder „eher“ zu akzeptieren. Die Ergebnisse werden mittels Gewichtungsfaktoren hochgerechnet auf alle Arbeitsuchenden. In den Analysen wird unterschieden zwischen gemeldeten arbeitslosen Personen im Grundsicherungsbezug einerseits, und beschäftigten Personen ohne Leistungsbezug mit einer Wochenarbeitszeit von mindestens 20 Stunden, die nach einer neuen Arbeit suchen, andererseits. Der Leistungsbezug wird jeweils zum Zeitpunkt der Befragung gemessen. Einen kurzen Überblick über die Methodik gibt der Artikel von Trappmann et al. 2019.

In aller Kürze

  • Fast alle arbeitslose Grundsicherungsbeziehende sind nach eigener Aussage bereit, eine neue Arbeitsstelle auch bei ungünstigeren Arbeitsbedingungen anzunehmen.
  • Nach eigener Auskunft wären für sie beispielsweise eine Tätigkeit unterhalb des eigenen fachlichen Könnens, zu ungünstigen Arbeitszeiten oder mit langen Arbeitswegen akzeptabel.
  • Die Konzessionsbereitschaft unterscheidet sich zwischen Männern und Frauen und hängt dabei stark von der jeweiligen Familiensituation ab.
  • Für Frauen mit Kindern sind insbesondere diejenigen Stelleneigenschaften relevant, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen.

Literatur

Beste, Jonas; Bethmann, Arne; Trappmann, Mark (2010): Arbeitsmotivation und Konzessionsbereitschaft: ALG-II-Bezug ist nur selten ein Ruhekissen. IAB-Kurzbericht Nr. 15.

Beste, Jonas; Trappmann, Mark (2017): Analysen zu Stellenbesetzungsproblemen: Konzessionsbereitschaft, Reservationslohn und Suchwege von Arbeitssuchenden. In: IAB-Forum, 13.7.2017.

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2017). Familienleitbilder. Alles wie gehabt? Partnerschaft und Elternschaft in Deutschland. Wiesbaden.

Trappmann, Mark; Bähr, Sebastian; Beste, Jonas; Eberl, Andreas; Frodermann, Corinna; Gundert, Stefanie; Schwarz, Stefan; Teichler, Nils; Unger, Stefanie; Wenzig, Claudia (2019): Data Resource Profile: Panel Study Labour Market and Social Security (PASS). In: International Journal of Epidemiology, 48 (5), S. 1411-1411g.

Trappmann, Mark; Bähr, Sebastian; Beste, Jonas; Bömmel, Nadja; Coban, Mustafa; Collischon, Matthias; Dummert, Sandra; Frodermann, Corinna; Gundert, Stefanie; Küfner, Benjamin; Mackeben, Jan; Malich, Sonja; Müller, Bettina; Schwarz, Stefan; Stegmaier, Jens; Teichler, Nils; Wenzig, Claudia; Wunder, Anja; Berg, Marco; Cramer, Ralph; Dickmann, Christian; Gilberg, Reiner; Jesske, Birgit; Kleudgen; Martin (2023): Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung (PASS) – Version 0622 v1. Forschungsdatenzentrum der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). DOI: 10.5164/IAB.PASS-SUF0622.de.en.v1

 

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DOI: 10.48720/IAB.FOO.20241120.01

Frodermann, Corinna (2024): Arbeitslose im Grundsicherungsbezug: Väter nehmen ungünstige Arbeitszeiten und lange Arbeitswege eher in Kauf als Mütter, In: IAB-Forum 20. November 2024, https://www.iab-forum.de/arbeitslose-im-grundsicherungsbezug-vaeter-nehmen-unguenstige-arbeitszeiten-und-lange-arbeitswege-eher-in-kauf-als-muetter/, Abrufdatum: 20. November 2024