In Deutschland war eine Eingliederungsvereinbarung zwischen Jobcentern und Arbeitslosen bisher gesetzlich vorgeschrieben. Sie soll im Rahmen der Bürgergeld-Reform durch einen sogenannten Kooperationsplan abgelöst werden. Ein Forschungsteam hat mittels einer Interventionsstudie (IAB-Forschungsbericht 16/2022) untersucht, inwieweit Eingliederungsvereinbarungen im bisherigen System der Grundsicherung für Arbeitsuchende, dem Sozialgesetzbuch II (SGB II), tatsächlich zu einer besseren Integration in den Arbeitsmarkt beitragen konnten. Die Forum-Redaktion hat dazu bei den IAB-Forscherinnen Sarah Bernhard und Gesine Stephan nachgefragt.

Was ist denn überhaupt eine Eingliederungsvereinbarung?

Prof. Dr. Gesine Stephan

Prof. Dr. Gesine Stephan leitet den Forschungsbereich „Arbeitsförderung und Erwerbstätigkeit” am IAB.

Gesine Stephan: Die Eingliederungsvereinbarung ist ein Vertrag zwischen dem Jobcenter und den Arbeitsuchenden. Er soll dazu beitragen, die Idee von Fördern und Fordern im Jobcenter umzusetzen. In diesem Vertrag steht zum einen das gemeinsame Ziel, also beispielsweise eine Jobaufnahme in der Pflege. Zum anderen ist dort schriftlich fixiert, was die Arbeitsuchenden und das Jobcenter dazu beitragen müssen, um das Ziel zu erreichen.

Sarah Bernhard: Am Beispiel fiktiver Personen könnte dort stehen: Das Jobcenter finanziert die Weiterbildung zum Pflegehelfer und die Fahrtkosten für Yusuf Yilmaz. Er nimmt regelmäßig an der Weiterbildung teil und verschickt ab dem letzten Quartal vor Ende der Weiterbildung monatlich eine bestimmte Anzahl von Bewerbungen an Pflegedienste in der Region. Oder für das Ziel Helfertätigkeit könnte dort für Sabine Müller stehen, sie soll zum Kennenlernen des regionalen Arbeitsmarktes in der Logistikbranche an einem dreitägigen Kurs teilnehmen und pro Monat zwei Initiativbewerbungen verschicken.

Die Eingliederungsvereinbarung ist mit Funktionen überfrachtet.

Warum schließt man solche Vereinbarungen?

Portrait Sarah Bernhard

Dr. Sarah Bernhard ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Arbeitsförderung und Erwerbstätigkeit” am IAB.

Bernhard: Die Eingliederungsvereinbarung strukturiert den Beratungs- und Vermittlungsprozess. Durch die Schriftform sollte für Sabine Müller und Yusuf Yilmaz sowie ihre Jobcenter-Beraterin oder ihren Jobcenter-Berater jederzeit transparent sein, wer was zu erledigen hat. Wichtig ist auch das gemeinsame Ziel. In der Idealvorstellung entspricht der Beruf des Pflegehelfers den Interessen und Kompetenzen von Yusuf Yilmaz und er konnte sich im Gespräch mit seiner Beraterin oder seinem Berater entsprechend aktiv einbringen.

Stephan: Bis Mitte dieses Jahres konnte in der Eingliederungsvereinbarung aber auch stehen, dass das Arbeitslosengeld II bis zu 30 Prozent gekürzt werden könnte, wenn jemand zum Beispiel unentschuldigt bei Kursen fehlt oder keinen Nachweis für Bewerbungsaktivitäten erbringt. Aus ökonomischer Sicht haben Arbeitsuchende aufgrund dieser möglichen Sanktionen einen stärkeren materiellen Anreiz, den vereinbarten Pflichten nachzukommen.

Bernhard: Letztlich ist die Eingliederungsvereinbarung jedoch mit Funktionen überfrachtet. Sie soll das gemeinsame Ziel, die Leistungen des Jobcenters, die Pflichten der Arbeitsuchenden und auch noch die rechtsverbindliche Ankündigung von Arbeitslosengeld-II-Kürzungen schriftlich fixieren. Damit ist sie zu einem recht langen, unübersichtlichen und mit juristischen Fachbegriffen gespickten Dokument geworden, das Yusuf Yilmaz vielleicht gar nicht ganz durchliest oder Sabine Müller nicht so gut versteht.

Wie sind Sie vorgegangen, um herauszufinden, welchen Beitrag Eingliederungsvereinbarungen zum Vermittlungserfolg leisten?

Bernhard: Dies lässt sich gut anhand medizinischer Interventionsstudien zur Wirksamkeit von Impfstoffen erklären. Sehr vereinfacht beschrieben bekommen zwei zufällig ausgewählte Gruppen entweder den Impfstoff oder eine wirkungslose Injektion mit Kochsalzlösung. Nach mehreren Monaten erfolgt die Auswertung zum Beispiel über den Anteil der bis dahin schwer Erkrankten oder Verstorbenen. Wenn also in der Impfstoff-Gruppe statistisch signifikant mehr Personen überlebt haben oder weniger Personen im Krankenhaus behandelt wurden als in der Kochsalz-Gruppe, wurde ein wirksamer Impfstoff gefunden. Dieses Prinzip haben wir auf das Jobcenter übertragen, um die Wirksamkeit der Eingliederungserklärung zu testen. Arbeitsuchende, die neu im Jobcenter Arbeitslosengeld II beantragen wollten, wurden mit einem digitalen Würfel zufällig in drei Gruppen eingeteilt: Eine erste Gruppe bekam die übliche Eingliederungsvereinbarung. Diese war die sogenannte Kontrollgruppe, vergleichbar mit der Kochsalz-Gruppe. Eine zweite Gruppe bekam eine Eingliederungsvereinbarung ohne die sogenannte Rechtsfolgenbelehrung. Das heißt, in dieser Gruppe entfiel die Option, das Arbeitslosengeld II bei Pflichtverletzungen zu kürzen. Und dementsprechend war die Eingliederungsvereinbarung auch deutlich kürzer. Und die dritte Gruppe erhielt für ein halbes Jahr noch keine Eingliederungsvereinbarung.

Anschließend haben wir für einen Zeitraum von zwei Jahren ausgewertet, wie lange diese drei Gruppen jeweils durchschnittlich in versicherungspflichtiger Beschäftigung, in Minijobs und im Arbeitslosengeld-II-Bezug waren.

Wir konnten in unserer Studie keine Wirkung der Art der Eingliederungsvereinbarung auf künftige Arbeitsmarkterfolge nachweisen.

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Stephan: In den 730 Tagen seit der Zufallszuweisung waren die Teilnehmenden in unserer Studie rund 200 Tage in versicherungspflichtiger Beschäftigung und rund 80 Tage in Minijobs. Rund 430 Tage bezogen sie Arbeitslosengeld II. Die Gruppenzuweisung machte dabei keinen Unterschied. Es war also für diese Arbeitsmarktergebnisse egal, ob Personen der Gruppe ohne Eingliederungsvereinbarung, ohne Rechtsfolgenbelehrung oder mit regulärer Eingliederungsvereinbarung zugeteilt wurden.

Sarah Bernhard: Wir konnten also in unserer Studie keine Wirkung der Art der Eingliederungsvereinbarung auf künftige Arbeitsmarkterfolge nachweisen. Besonders interessant erschien uns außerdem folgendes Ergebnis: Ob das Arbeitslosengeld II in der Zeit gekürzt wurde oder nicht, unterschied sich zwischen den drei Gruppen ebenfalls nicht signifikant. Und dies, obwohl nach den Vorgaben unserer Studie solche Kürzungen aufgrund von Pflichtverletzungen nur für die Kontrollgruppe mit der üblichen Eingliederungsvereinbarung möglich waren. Deshalb hätten wir erwartet, dass in dieser Gruppe auch relativ häufiger das Arbeitslosengeld II gekürzt wird. Da jedoch auch hier sehr wenige Sanktionen erfolgten, ergibt sich im Vergleich mit den anderen beiden Gruppen eben kein nennenswerter Unterschied. Neue Arbeitslosengeld-II-Beziehende erhalten also nur selten Leistungskürzungen, weil sie ihre Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung nicht erfüllt haben.

Aktuell ist vorgesehen, die Eingliederungsvereinbarung durch einen Kooperationsplan abzulösen.

Welche Folgen hat das aus Ihrer Sicht für die künftige Bewertung dieses Arbeitsmarktinstruments?

Bernhard: Die Eingliederungsvereinbarung ist ja derzeit ein Pflichtinstrument für alle Arbeitslosengeld-II-Beziehenden. Da wir im Hinblick auf die Arbeitsmarktchancen der Eingliederungsvereinbarung keine Wirksamkeit nachweisen konnten, lohnt es sich in jedem Fall, ihren Einsatz ganz grundsätzlich zu überdenken. Wir haben dazu zusammen mit unserer IAB-Kollegin Monika Senghaas mehrere Ideen entwickelt. Eine Idee war, die kooperativen und die Kontroll-Elemente der Eingliederungsvereinbarung stärker zu trennen und zielgerichtet einzusetzen. Beispielsweise kann die Aufklärung über mögliche Geldkürzungen – die sogenannte Rechtsfolgenbelehrung – gleich bei der ersten Beratung im Jobcenter den Aufbau einer vertrauensvollen Beratungsbeziehung behindern. Hier sollte es besser darum gehen, gemeinsam eine Idee zum Prozess einer nachhaltigen Arbeitsmarktintegration zu entwickeln. Daneben wäre es natürlich wünschenswert, ein kurzes und leicht verständliches Dokument für die nächsten Schritte zu haben. Dies wäre auch für Menschen, denen die deutsche Sprache schwerfällt, verständlich. Und alle mit wenig Zeit könnten es besser als Gedächtnisstütze nutzen. Eine rechtsverbindliche schriftliche Belehrung zu möglichen Geldkürzungen könnte unabhängig von diesem leicht verständlichen Dokument eingesetzt werden.

Stephan: Aktuell ist vorgesehen, die Eingliederungsvereinbarung durch einen Kooperationsplan abzulösen. Er soll von rechtlichen Folgen entlastet sein und die gemeinsam entwickelte Eingliederungsstrategie klar und verständlich dokumentieren. A priori ist nicht bekannt, wie sich die Neugestaltung auswirken wird. Wir raten daher dazu, in Zukunft auch die Wirksamkeit des Kooperationsplans mithilfe einer Interventionsstudie wissenschaftlich zu überprüfen.

Bernhard: Die Bürgergeldreform sieht für Personen, die neu in die Grundsicherung kommen, zudem eine sechsmonatige Vertrauenszeit vor. In dieser treten bei Pflichtverletzungen keine Rechtsfolgen ein. Sehr interessant fände ich, mittelfristig außerdem zu erproben, wie sich leicht unterschiedliche Dauern der Vertrauenszeit auswirken würden. Hierfür könnte in einigen Jobcentern ein zufällig ausgewählter Teil der Neuzugänge etwas längere oder erweiterte Vertrauenszeiten erhalten. Im Anschluss ließe sich durch einen Vergleich mit denjenigen, die nicht ausgewählt wurden, der Effekt alternativ gestalteter Vertrauenszeiten auf die Arbeitsmarktergebnisse ermitteln. Ähnlich wie in medizinischen Interventionsstudien, wo Teilnehmende nicht wissen, ob sie in der Placebo- oder in der Wirkstoffgruppe sind, sollten für ein möglichst aussagekräftiges Forschungsdesign eigentlich nur die unmittelbar beteiligten Jobcenter-Beschäftigte über die Gruppenzuteilung informiert sein. Wenn das Projekt selbst beispielsweise zum Teil einer öffentlichen Kontroverse wird, so birgt dies die Gefahr, dass es allein dadurch nicht mehr so funktioniert wie intendiert. Da bestünde also in vielfacher Hinsicht eine große Herausforderung. Zunächst wäre zu prüfen, ob das juristisch geht, ethische Fragen stellen sich, und auch in wissenschaftlicher Hinsicht wäre das alles andere als trivial. Aus meiner Sicht wäre dies mittelfristig jedenfalls ein sehr vielversprechender Forschungsansatz – ich weiß aber auch, dass andere Forschende so einen Untersuchungsansatz aus juristischen, ethischen oder wissenschaftlichen Gründen kritisch sehen.

Literatur

Bernhard, Sarah; Senghaas, Monika (2021): Eingliederungsvereinbarungen im Jobcenter schaffen Verbindlichkeit, aber die Mitwirkungspflichten dominieren. In: IAB-Forum, 07.07.2021.

Bernhard, Sarah; Stephan, Gesine; Uhlendorff, Arne; van den Berg, Gerard (2022): Verträge zwischen Arbeitslosen und ihrem Jobcenter: Die Wirkung von Eingliederungsvereinbarungen im Rechtskreis SGB II. IAB-Forschungsbericht Nr. 16.

Senghaas, Monika; Bernhard, Sarah (2021): Arbeitsvermittlung im Spannungsfeld von Dienstleistung und Kontrolle – Eine multimethodische Studie zu Eingliederungsvereinbarungen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. In: Sozialer Fortschritt, Vol. 70, No. 9, S. 487-507.

Senghaas, Monika; Bernhard, Sarah; Freier, Carolin (2020): Eingliederungsvereinbarungen aus Sicht der Jobcenter: Pflichten der Arbeitsuchenden nehmen viel Raum ein. IAB-Kurzbericht Nr. 5.

 

doi: 10.48720/IAB.FOO.20221005.01